
Irgendwann ist Winfried Kretschmann bei Jesus angelangt. Jesus Christus habe immer Menschen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft geholt. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident betont am Pult des Bundesrats, er sehe es auch als eine christliche Verpflichtung an, gleichgeschlechtlichen Paaren endlich die Ehe und das Adoptieren von Kindern zu ermöglichen. Er sei ausdrücklich auch als gläubiger Katholik für eine Gleichbehandlung in Deutschland, „auch wenn dies in Differenz zu meiner Kirchenführung steht“.
Die lange Liste der Staaten, die das genauso wie er sehen, reiche inzwischen „von Finnland bis Uruguay“. An die Adresse der Union appelliert Kretschmann: „Das sind Menschenrechte, die wir endlich gewähren müssen.“ Kinder wachsen in Familien allemal besser auf als in Heimen, sagt der 67 Jahre alte Vater von drei Kindern. Das gelte auch für gleichgeschlechtliche Paare. Es lägen keine Erkenntnisse vor, dass sie für das Wohl der Kinder schlecht seien. Man könne ihnen nicht „aufgrund von Spekulationen“ Adoptionsrechte verweigern.
„Idee, deren Zeit gekommen ist“
Thüringens linker Regierungschef Bodo Ramelow meint als nächster Redner, das sei das Gedankengut der 50er und 60er Jahre, dass Ehe nur aus Mann und Frau bestehe. „Ich weiß auch nicht, warum ich einen Steuervorteil habe, nur weil ich verheiratet bin.“ Er ist dafür, dass Ehegattensplitting abzuschaffen und stattdessen Steuervorteile zu gewähren für die, die Kinder großziehen. Und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagt pathetisch: „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“
Der unterfränkische Abgeordnete Alexander Hoffmann (CSU) spricht sich gegen eine Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften aus: Es sei Aufgabe der Politik, einen gesellschaftlichen Wandel zu begleiten, „jedoch nicht die Gesellschaft zu verändern“, so der 40-Jährige aus dem Wahlkreis Main-Spessart vor dem Plenum. Gleichgeschlechtliche Partnerschaften seien zwar in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagte der CSU-Politiker, doch in der Debatte etwa um das Adoptionsrecht müsse das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehen.
Es ist eine intensive, argumentativ ansprechende Debatte, die am Freitag im Bundesrat stattfindet. Und die Befürworter führen das jüngste Referendum im katholischen Irland an.
Am Ende steht ein klares Ergebnis. 40 Stimmen gibt es für einen Antrag Niedersachsens, der die Bundesregierung auffordert, „die verfassungswidrige Diskriminierung eingetragener Lebenspartnerschaften zu beenden und eine vollständige Gleichbehandlung der Ehe von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Paaren im gesamten Bundesrecht herzustellen“. Dies umfasse die Öffnung der Ehe und ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Damit wird in der Länderkammer die Mehrheit von 35 Stimmen klar geschafft – denn alle Länder mit Regierungsbeteiligungen von SPD, Grünen und Linken ziehen an einem Strang. Aber die Sache hat einen Haken.
Zwar muss nun Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Stellung beziehen. Aber da die „Ehe für alle“ nicht Teil des Koalitionsvertrages ist, wird der Antrag von der Regierung wohl ignoriert werden. „Es geht um einen Angriff auf die Ehe. (...) Es geht um ein durchsichtiges politisches Manöver“, wettert Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU).
Aus Rücksicht auf die SPD, die im Bund mit CDU und CSU koaliert, wird von der rot-rot-grünen Länderallianz nicht ein vor zwei Jahren schon einmal beschlossener Gesetzentwurf erneuert, der die vollständige Gleichbehandlung vorsieht. Der wird nur noch einmal in den Bundesratsausschüssen beraten. Übersetzt heißt das: Er schmort da vor sich hin.
Wäre mit Mehrheit ein Gesetzentwurf beschlossen worden, hätte der Bundestag dazu in einer Abstimmung Stellung beziehen müssen. Dann hätte die SPD dort entgegen ihrer eigenen Überzeugung diesen ablehnen müssen. „Es ist schon absurd: Die Union verhält sich beim Thema Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule stur, und die SPD spielt Kasperletheater. Am Ende bleibt es bei der Diskriminierung“, kritisiert der Linken-Bundestagsabgeordnete Harald Petzold.
Ist 2017 Schluss mit der Blockade?
Aber die Frage ist, wie lange sich die Union gegen diese scheinbar große Koalition für die Homosexuellen-Ehe stemmen kann – zumal diese bis in die eigenen Reihen hinein unterstützt wird. Zwar steht für die Union im Bund derzeit eine klare Mehrheit, die sich auch aus der hohen Zustimmung in ländlichen Regionen und in Bayern speist. Aber in keiner der zehn größten Städte Deutschlands gibt es noch einen CDU- oder CSU-Bürgermeister. Vielleicht ist spätestens 2017 Schluss mit der Blockade. Denn wenn es zu einer Koalition mit den Grünen kommen soll, wäre das Nein kaum zu verteidigen. Kretschmann könnte die Christlich Demokratische Union dann wieder an Jesus erinnern. Mitarbeit: Ach