Im Kriegsgebiet im Donbass nutzen die Konfliktparteien die vereinbarte Feuerpause zum Durchatmen. Alle reden vom Abzug schwerer Waffen. Taten aber fehlen. Der Minsker Friedensplan gerät mit jedem Tag stärker in Gefahr. Wie lange dauert die Ruhephase noch?
Die Gesten von Kremlchef Wladimir Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko im Konflikt um das Kriegsgebiet Donbass könnten widersprüchlicher kaum sein. Beide reden von Ringen um Frieden. Der eine, Putin, sitzt gelassen beim Interview des russischen Staatsfernsehens, mahnt Poro-schenko, er solle Waffen, Krieg und Revanchismus vergessen. Er möge doch lieber auf „zivilisierte Weise“ mit den Menschen in den abtrünnigen Gebieten Lugansk und Donezk reden über ihre Rechte und Interessen, ihre Zukunft. Putin spricht wieder einmal von Dialog.
Poroschenko bei Waffenschau
Poroschenko hingegen tritt am Dienstag in Abu Dhabi bei einer Waffenschau auf. Er wirbt diesmal bei den Vereinigten Arabischen Emiraten darum, der Ukraine Rüstungsgüter zu liefern. Was in der ukrainischen Hauptstadt Kiew als verzweifeltes Bemühen des Präsidenten aufgenommen wird, trotz schwerer Finanzprobleme das Militär besser auszustatten, verstehen die prorussischen Separatisten einmal mehr als große Drohgebärde.
Im Kriegsgebiet schweigen die Waffen anderthalb Wochen nach dem nächtlichen Krisengipfel in der weißrussischen Hauptstadt Minsk zwar weitgehend. Dass aber der von Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande, Poroschenko und Putin vereinbarte Friedensplan auf der Kippe steht, ist unübersehbar. In Paris pochen die Außenminister der vier Länder darauf, dass die Minsker Verhandlungen schleunigst umgesetzt werden. Eine „höchst fragile“ Situation gebe es in der Ukraine, mahnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nach dem Treffen.
Doch Regierungstruppen und prorussische Separatisten werfen sich gegenseitig weiter massive Verstöße vor. Das Militär kritisiert, dass weiter „keine volle Waffenruhe“ herrsche. Erst dann wollen die Regierungstruppen schwere Technik abziehen.
Die Aufständischen hingegen behaupten, nur sie würden bisher Kriegsgerät von den Frontlinien entfernen. „Wenn Kiew seinen Beschuss der Positionen der Donezker Volksrepublik und den Städten fortsetzt, wird die ganze Technik, die wir heute abgezogen haben, zurückverlegt“, droht „Verteidigungsminister“ Eduard Bassurin.
Keine unabhängigen Zeugen
Unabhängige Zeugen für einen Abzug der Technik gibt es bisher nicht. Zwar registrieren Beobachter die Verlagerung von Waffen. Die Ukrainer sehen darin allerdings ein Täuschungsmanöver der Separatisten. Der Gegner verlege Technik und Personal vielmehr in Richtung der Hafenstadt Mariupol, sagt Militärsprecher Andrej Lyssenko. Der Ort am Asowschen Meer gilt seit langem vor allem aus russischer Sicht als strategisch wichtiger Ort.
Die Russen wollen von ihrem Festland über das Asowsche Meer eine Brücke nach Kertsch bauen. Solange die Ukraine Anrainer des Gewässers ist, sagt der kremlkritische Politologe Dmitri Oreschkin, müsse sie aber einem solchen Bau zustimmen. Doch das gilt als unwahrscheinlich. Der Küstenort Kertsch liegt auf der vor einem Jahr von Russland gegen internationalen Protest einverleibten Schwarzmeerhalbinsel Krim. Die Brücke soll die neue Lebensader der Krim werden.
Wegen des geplanten Milliardenprojekts sieht das ukrainische Militär die Separatisten weiter als kämpferischen Stoßtrupp der Russen, um solche strategischen Ziele durchzusetzen. Gleichwohl beteuern die Aufständischen auch am Dienstag wieder, Mariupol nicht ins Visier zu nehmen. Sie fordern die ukrainische Führung vielmehr erneut auf, den Konflikt friedlich auf dem Verhandlungsweg zu lösen.
Beobachter auf beiden Seiten des Konflikts gehen allerdings davon aus, dass auch diesmal die Feuerpause wieder nur dazu dient, Kräfte neu zu ordnen.
„Internetarmee“ für den Informationskrieg
Die Ukraine hat eine „Internetarmee“ gegründet und sucht für den Informationskrieg gegen Russland nun Freiwillige. Das Ministerium für Informationspolitik in Kiew eröffnete eine Internetseite für Nachrichten gegen den Feind, wie es in dem Aufruf heißt. Demnach erhalten die Cyberkrieger per E-Mail Aufgaben, die sie abarbeiten sollen. Die Freiwilligen sind aufgerufen, dem „Informationskampf“ täglich Zeit zu widmen. Auf der Internetseite des Ministeriums ist als Illustration eine Handgranate mit Computertasten zu sehen. Mit der Initiative will die Ukraine Medien zufolge der Kremlpropaganda über die umstrittene Ukraine-Politik Russlands etwas entgegensetzen. Text: dpa