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Kein WM-Bonus für die Präsidentin
Konkurrentinnen: Die amtierende Staatspräsidentin Dilma Rousseff (links) von der Arbeiterpartei (PT) und ihre Gegenkandidatin Marina Silva von der sozialistischen PSB.
Foto: Antonio Lacerda, dpa | Konkurrentinnen: Die amtierende Staatspräsidentin Dilma Rousseff (links) von der Arbeiterpartei (PT) und ihre Gegenkandidatin Marina Silva von der sozialistischen PSB.
reda
 |  aktualisiert: 03.10.2014 17:49 Uhr

Bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien Ende Oktober deutet vieles auf einen Zweikampf zweier Frauen hin. Amtsinhaberin Dilma Rousseff hat indes viel Vertrauen verspielt.

Frage: Staatspräsidentin Dilma Rousseff hat gehofft, dass eine erfolgreiche Weltmeisterschaft im eigenen Land ihre Wiederwahl begünstigt. Brasilien hat aber nicht gewonnen. Wie hat sich das Turnier für Rousseff ausgewirkt?

Irma de Melo-Reiners: Eher negativ. Weil die brasilianische Nationalmannschaft verloren hat, haben viele Brasilianer wieder Schwierigkeiten und Probleme gesehen. Sie haben angefangen nachzudenken: „Wir haben viel Geld ausgegeben und uns auch noch blamiert, wozu das alles?“ Wenn Brasilien gewonnen hätte, würden wir uns nur freuen und stolz auf das Land sein. Und wir hätten diesen Erfolg sozusagen Dilma Rousseff zugeschrieben.

Nach der WM steht mit den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 das nächste Großprojekt an. Roussef hat den Besuch des Internationalen Olympischen Komitees in dieser Woche genutzt, um Werbung für sich zu machen. Kann sie dadurch die Stimmung noch ändern?

De Melo-Reiners: In diesem Zusammenhang denke ich nicht. Was Wissenschaftler betrifft, hat Dilma Rousseff schon vieles getan, damit wir Brasilianer auf dem internationalen Parkett wahrgenommen werden. Aber die Mehrheit der Leute sagt: „Sie kann dieses und jenes erzählen, wir wissen, wie es wirklich war.“ Etwa dass es viele Korruptionsskandale gab oder viele Bauprojekte nicht fertig wurden. Die Brasilianer stehen dem skeptisch gegenüber.

Es fehlt also an Vertrauen?

De Melo-Reiners: Ja, denn das hat mit der Niederlage bei der WM noch mehr gelitten. Das Volk ist mutlos. Das ist der Eindruck, den ich hatte, als ich zuletzt im September in Brasilien war. Ein ganz wichtiger Punkt für mich persönlich ist ein Stopp der Gewalt. Jedes Mal, wenn ich nach Brasilien komme, habe ich mehr Angst, und ich höre von immer mehr Leuten, wie gefährlich das Land ist und dass sie überfallen wurden. Sogar einige Optimisten würden das Land verlassen, wenn sie könnten. Einige sagen, dass sie nicht einmal wählen würden, andere, dass sie nicht wüssten, wen sie wählen sollen.

Der Wahlkampf hatte durch den Tod des sozialistischen Gegenkandidaten Eduardo Campos im August eine neue Dynamik bekommen. Ist das brasilianische Volk dadurch nicht erwacht?

De Melo-Reiners: Campos war nicht so bekannt in Brasilien wie seine Nachfolgerin und jetzige Gegenkandidatin Marina Silva. Nachdem sie an seine Stelle gerückt ist und und noch vor Aécio Neves von der sozialdemokratischen PSDB-Partei Hauptkonkurrentin Rousseffs wurde, hat sie die Aufmerksamkeit geweckt. Sie hat das Mitgefühl bekommen nach dem Motto: „Campos wäre ein großartiger Kandidat oder sogar Präsident gewesen. Dann müssen wir jetzt seine Vertreterin wählen.“ Aber im September haben die Leute angefangen nachzudenken: Was kann Marina Silva, was bringt sie uns?

Für einige Brasilianer verkörpert Silva all das, was sie nicht mit guter Politik verbinden.

De Melo-Reiners: Marina Silva ist konservativer als Dilma Rousseff. Sie gehört den Evangelikalen an, die in gesellschaftlichen Fragen sehr konservative Positionen einnehmen, beispielsweise in Bezug auf Homosexualität. Viele Brasilianer haben Angst, dass so eine konservative Politik zu Rückschritten in der Demokratie führen könnte. Silva mag eine gute Politikerin und eine intelligente Frau sein. Aber sie hat keine Lobby.

Was spricht dennoch für Marina Silva?

De Melo-Reiners: Sie kommt aus armen Verhältnissen und hat es zur Präsidentschaftskandidatin gebracht. Sie verkörpert die Hoffnung, dass alles möglich ist.

Irma de Melo-Reiners

Die Juristin wurde in Sao Bernardo do Campo im Bundesstaat Sao Paulo geboren. Melo-Reiners promovierte 2008 an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität in Frankfurt. Seit 2000 unterstützt sie den Ausbau von politischen und akademischen Partnerschaften zwischen Brasilien und Deutschland. Sie hat seit 2007 kontinuierlich das Bayerische Hochschulzentrum für Lateinamerika (BAYLAT) aufgebaut und damit den Grundstein für seine institutionelle Etablierung gelegt. Seit 2008 ist sie BAYLAT-Geschäftsführerin. Text: MF

 
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