Wer ist mein Vater? Eine Antwort auf diese Frage können Kinder nicht erzwingen. Das haben die Richter des Bundesverfassungsgerichtes am Dienstag entschieden. Eine 66-Jährige wollte ihren heute fast 90 Jahre alten mutmaßlichen Vater zum Gentest zwingen – ist aber gescheitert. Die Begründung: Das Recht, die eigene Abstammung zu kennen, ist laut der Karlsruher Richter nicht absolut. Es müsse ein Abgleich mit den Grundrechten der anderen Betroffenen stattfinden.
Damit habe sich das Gericht im Rahmen der derzeitigen Gesetzeslage bewegt, sagt Anja Amend-Traut vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht der Uni Würzburg. „Wenn sich Grundrechte gegenüberstehen, muss man abwägen“, sagt die Professorin mit Schwerpunkt Familienrecht. Das ist im Fall der Klägerin aus Nordrhein-Westfalen geschehen. Sie hatte seit Jahrzehnten versucht herauszufinden, ob der Mann, den sie für ihren Vater hält, das wirklich ist.
Mit einer sogenannten rechtsfolgenlosen Abstammungsklärung wollte sie Klarheit schaffen, einen Gentest erzwingen. Anspruch darauf hat sie aber nicht, da der fast 90-Jährige rechtlich außerhalb der Familie steht – eine Abstammungsklärung kann aber nur im engsten Kreis zwischen Vater, Mutter und Kind durchgesetzt werden.
Hier könnte der Gesetzgeber nachlegen und etwa den Kreis erweitern, sagt Amend-Traut. Allerdings müsste bei einer Änderung sehr behutsam vorgegangen und genaue Regeln für Überprüfungen abgesteckt werden. Sonst droht eine Welle an Vaterschaftstests. Im Bundesjustizministerium lotet derzeit ein Arbeitskreis die Möglichkeiten einer solchen Reform des Abstammungsrechts aus. Ergebnisse sollen Mitte 2017 vorliegen.
Aus Sicht der Karlsruher Richter ist die derzeit enge Begrenzung des Anspruchs auf Klärung der Abstammung mit dem Grundgesetz vereinbar. Mit ihrem Urteil nehmen sie vor allem die Grundrechte der anderen Beteiligten in den Blick. In diesem Fall sei das der vermeintliche Vater, der sich auf sein Persönlichkeitsrecht und die Wahrung seiner Privatsphäre berufen habe, sagt Amend-Traut.
Generell gibt es für Kinder bei unklaren Herkunftsverhältnissen auch den Weg über eine Vaterschaftsklage, die zwangsläufig rechtliche Konsequenzen hat. Dieser ist der 66-Jährigen jedoch verbaut. Bereits 1955 hatte ein Gericht eine Untersuchung nach den medizinischen Methoden der damaligen Zeit abgelehnt. In Würzburg sei ein ähnlich gelagerter Fall wie der der hartnäckigen Klägerin nicht bekannt, sagt Peter Wohlfahrt, stellvertretender Amtsgerichtsdirektor in Würzburg. Er war selbst 13 Jahre lang Familienrichter.
Warum aber treibt die Suche nach dem leiblichen Vater eine Frau bis ins hohe Alter um? Warum ist es für Menschen so wichtig, zu wissen, wer die Eltern sind? „Unser Gefühlsleben ist darauf ausgerichtet, dass es Eltern gibt“, sagt Professor Frank Schwab, Medienpsychologe mit Schwerpunkt auf evolutionspsychologischen Aspekten an der Uni Würzburg. Beim Menschen sei die Eltern-Kind-Bindung sehr eng, Säuglinge seien hochgradig abhängig von elterlicher Fürsorge.
„Deshalb reagieren wir sensibel, wenn da irgendetwas nicht passt.“ Und: Zu Trieben und Instinkten kommt beim Menschen die kognitive Ebene dazu – und damit die Frage, „wo komme ich her und wo gehe ich hin“, sagt Schwab. Das sei eine Kernfrage. Gibt es darauf keine klare Antwort, geht die Geborgenheit verloren und weicht einer Art Fremdheit. Das könne Menschen umtreiben, auch ein Leben lang. Mit Infos von dpa