Nach dem Aus für das umstrittene Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht zeichnet sich neues Gezerre um die milliardenschwere Familienleistung ab. Das CSU-regierte Bayern will die monatlich 150 Euro für Kleinkinder in Eigenregie weiterzahlen – und fordert dafür Geld vom Bund. Die SPD und mehrere rot-grüne Landesregierungen wollen das Karlsruher Urteil nutzen, um frei werdende Bundesmittel etwa für den Ausbau von Kita-Plätzen umzuwidmen. Die bisher 455 000 Bezieher von Betreuungsgeld können auf eine Weiterzahlung hoffen.
Nicht der Bund, sondern die Länder seien für diese Familienleistung zuständig, urteilte das Verfassungsgericht am Dienstag über das 2013 eingeführte Betreuungsgeld. Die obersten Richter erklärten aus formalen Gründen die entsprechenden Normen für nichtig und gaben einstimmig einer Klage Hamburgs recht (Az.: 1 BvR 2/13).
Das Betreuungsgeld werde es für bayerische Familien auf jeden Fall auch künftig geben, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nach einer Klausur des bayerischen Kabinetts am Tegernsee. „Nun ist der Bund in der Pflicht, den Ländern die bisher für das Betreuungsgeld eingesetzten Mittel in vollem Umfang zur Verfügung zu stellen.“
Allein für 2015 waren dafür 900 Millionen Euro veranschlagt, ab 2016 sogar eine Milliarde. Das Betreuungsgeld geht an Eltern, die ihr Kind nicht in eine Kita bringen oder von einer Tagesmutter betreuen lassen – maximal vom 15. Lebensmonat bis zum dritten Geburtstag.
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigte in Berlin an, sie werde „nach einer Lösung suchen, damit Familien, die das Betreuungsgeld bereits beziehen, es bis zum Ende bekommen“. Über die Umsetzung werde sie mit den Regierungsfraktionen von CDU, CSU und SPD am 13. August beraten.
Die Verfassungsrichter hatten keine Übergangsfrist für die Fortgeltung festgesetzt. Sie überließen es dem Bund und der Verwaltung, über eine weitere Geltung bereits bewilligter Leistungen zu entscheiden. Schwesig begrüßte das Urteil: Das Betreuungsgeld sei der falsche Weg, es habe keine Zukunft. Frei werdende Mittel sollten Kindern und Familien zugutekommen, zum Beispiel durch eine verbesserte Betreuung.
Ihre Kabinettskollegin, Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU), sagte: „Wir müssen darauf achten, mit frei werdenden Mitteln gezielt Bildungsgerechtigkeit und qualitativ gute Bildungsangebote zu fördern. Ich denke da zum Beispiel an Projekte, die Kinder für das Lesen oder für Technik und Naturwissenschaften begeistern.“ Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „guten Botschaft für den Föderalismus“. Die Entscheidung sei auch „eine gute Botschaft für die Entwicklung der Kinderbetreuung und die Gleichstellung in unserem Land“. Dagegen nannte CDU-Generalsekretär Peter Tauber das Urteil „sehr bedauerlich“. Er sagte der „Huffington Post“: „Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass diese über 450 000 Familien nun nicht in die Röhre schauen.“
Das Betreuungsgeld sei nicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse notwendig, entschieden die Karlsruher Richter. Sie trafen keine inhaltliche Entscheidung, ob die von Gegnern auch als „Herdprämie“ geschmähte Leistung gegen Grundrechte der Bürger verstößt.
Mehrere rot-grün regierte Länder lehnten es umgehend ab, das Betreuungsgeld weiterzuführen. „Die Anti-Bildungsprämie Betreuungsgeld ist vom Tisch“, sagte Nordrhein-Westfalens grüne Schulministerin Sylvia Löhrmann. Die CDU-geführten Regierungen in Sachsen und Saarland würden das Geld ebenfalls gerne für sich beanspruchen. Dies sei wichtig, „damit dort passgenaue Hilfen für Familien geleistet werden können“, sagte Saar-Familienministerin Monika Bachmann (CDU). Die katholische Kirche bedauert das Aus für das Betreuungsgeld. Die Leistung sei Ausdruck der Wertschätzung für Eltern gewesen, die ihre Kinder zu Hause betreuen.
Kompetenzen abgesteckt
Das Bundesverfassungsgericht hat schon mehrfach die Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern abgesteckt. Kampfhunde: 2004 erklärten die Richter Teile des Kampfhundegesetzes für nichtig, weil der Bund dafür keine Kompetenzen hatte. Das betraf das in dem Gesetz enthaltene Hundezuchtverbot (Az.: 1 BvR 1778/01). Juniorprofessur: Ebenfalls 2004 erklärte das Gericht das Bundesgesetz zur Einführung der Juniorprofessur für nichtig, da es die Rechte der Bundesländer verletzt sah (Az.:2 BvF 2/02).
Studiengebühren: 2005 machte Karlsruhe den Weg für die Einführung von Studiengebühren in den Ländern frei. Es kippte das bundesweite Verbot, da dieses das Gestaltungsrecht der Länder verletze. Eine bundesweit einheitliche Studiengebührenregelung war danach weder zur „Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ noch zur „Wahrung der Wirtschaftseinheit“ erforderlich (Az.: 2 BvF 1/03). Betreuungsgeld: Auch für das Betreuungsgeld sind die Länder zuständig, nicht der Bund. Aus diesem formalen Grund kippte das Gericht nun die Leistung (Az.: 1 BvF 2/13).