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ISTANBUL
Kanzlerin Merkel sagt der Türkei neue EU-Verhandlungen zu
reda
 |  aktualisiert: 24.05.2022 09:37 Uhr

Eine neue Todesnachricht unterstrich am Sonntag beim Besuch von Angela Merkel in Istanbul die grausige Realität des Flüchtlingsdramas in der Ägäis. Während die Bundeskanzlerin am Ufer des Bosporus mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu über Wege sprach, den Flüchtlingsstrom von Syrien nach Europa einzudämmen, meldete die griechische Küstenwache, fünf Flüchtlinge – darunter drei Kinder – seien auf dem Weg aus der Türkei auf EU-Gebiet ums Leben gekommen.

Merkel und Davutoglu betonten in einer gemeinsamen Pressekonferenz den Willen, gemeinsam zu einer Lösung des „humanitären Dramas“ zu kommen, wie der türkische Premier sagte. Details gab es aber nur wenige. Das zeigte vor allem eines: Wenn die EU geglaubt haben sollte, ihre am Freitag verkündete Rahmenvereinbarung mit der Türkei in der Flüchtlingskrise sei die halbe Miete für ein Gesamtpaket, dann hat sie sich getäuscht.

Der Besuch der Bundeskanzlerin in Istanbul demonstrierte, dass die wirklichen Verhandlungen über Zugeständnisse der EU im Gegenzug für Schritte der Türkei zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms gerade erst beginnen.

Dabei ist Geld ein wichtiges Thema: Drei Milliarden Euro an Finanzhilfe reiche längst nicht aus, sagt die türkische Regierung. Allenfalls als Zahlung in einer „Anfangsphase“ der geplanten Zusammenarbeit wäre die Summe annehmbar, sagt Außenminister Feridun Sinirlioglu.

Präsident Recep Tayyip Erdogan und Davutoglu fordern zudem Fortschritte im EU-Beitrittsprozess sowie Reiseerleichterungen für Türken in Europa. Davutoglu bekräftigte zudem die türkische Forderung nach Einrichtung einer Pufferzone in Syrien.

In jüngster Zeit hatte die EU signalisiert, dass sie die Beziehungen zur Türkei trotz vieler Beschwerden über autoritäre Tendenzen Erdogans und demokratische Rückschritte im Bewerberland am Bosporus intensivieren will. Laut Presseberichten verschob die EU aus Rücksicht auf Erdogan den jährlichen Fortschrittsbericht zur Türkei, der offenbar sehr ungünstig für die türkische Regierung ausfällt. Merkel sagte der Türkei am Sonntag zudem noch für dieses Jahr die Eröffnung eines neuen Verhandlungskapitels in den Beitrittsverhandlungen zu, die seit 2005 laufen, aber kaum von der Stelle kommen. Bei Merkels Zusage geht es um das Kapitel 17, das die Wirtschaftspolitik behandelt.

Im kommenden Jahr könnte laut Merkel über weitere Kapitel geredet werden. Etliche Bereiche der türkischen Beitrittsverhandlungen sind wegen des Streits um Zypern und wegen grundsätzlicher Einwände in der EU gegen eine Aufnahme der muslimischen Türkei allerdings gesperrt.

Auch bei Visa-Erleichterungen für Türken bei Reisen nach Europa will sich die Bundeskanzlerin für Fortschritte einsetzen. Sie sprach von einem „beschleunigten Visaprozess“ und erinnerte daran, dass dieses Thema mit einem Bereich verknüpft ist, der bei der Flüchtlingsfrage eine wichtige Rolle spielt: Die Türkei hat grundsätzlich zugesagt, im Gegenzug für Reiseerleichterungen mit dem Ziel der völligen Visafreiheit ein sogenanntes Rückübernahmeabkommen mit der EU umzusetzen. Dieses Abkommen würde die Türkei verpflichten, alle über ihr Territorium nach Europa gelangten Flüchtlinge wieder aufzunehmen.

Erdogan-Kritiker sind nicht nur wegen der Nachsicht der EU gegenüber der Regierung empört. Sie betrachten Merkels Besuch zwei Wochen vor der türkischen Parlamentswahl als Wahlkampfhilfe für Erdogan. In einem offenen Brief an die Kanzlerin betonten hundert namhafte türkische Akademiker, Erdogan und Davutoglu verletzten in ihrer Politik regelmäßig die Normen der EU. Sie verwiesen unter anderem auf die Festnahmen von Journalisten.

 
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