Dramatische Eskalation im algerischen Geiseldrama: Bei der Erstürmung der von Islamisten besetzten Industrieoase In Amenas haben algerische Truppen nach offiziellen Angaben 650 Geiseln befreit. Es gab aber zahlreiche Tote. Von 132 Ausländern würden noch 60 vermisst, berichtete die algerische Nachrichtenagentur APS unter Berufung auf Sicherheitskreise. Die Islamisten erreichten jedoch nicht ihr Ziel, den Vormarsch malischer und französischer Truppen im Nachbarland Mali zu stoppen.
Von den möglicherweise 32 Geiselnehmern wurden 18 nach algerischen Angaben „außer Gefecht gesetzt“. Eine Gruppe Islamisten verschanzte sich jedoch mit Geiseln auf dem Industriegelände. Soldaten einer Elitetruppe versuchten laut APS, sie zum Aufgeben zu bewegen. Kommunikationsminister Mohand Said Oublaid erklärte aber, Algerien werde sich niemals erpressen lassen. „Wer glaubt, wir würden mit Terroristen verhandeln, täuscht sich.“
Islamisten drohen Anschläge an
Die mit Raketen und Granatwerfern bewaffneten Islamisten verlangen unter anderem das Ende des von Frankreich angeführten internationalen Militäreinsatzes in Mali. Sie kündigten weitere Anschläge auf ausländische Einrichtungen an. Den Vormarsch der französischen und malischen Truppen in Mali konnten die Islamisten aber nicht stoppen.
Malische Verbände eroberten die strategisch wichtige Stadt Kona in der Landesmitte zurück, deren Erstürmung durch Islamisten vergangene Woche Frankreichs Eingreifen provoziert hatte. „Wir haben Kona völlig unter Kontrolle“, erklärte das Oberkommando in Bamako.
- Chronologie: Todesopfer bei missglückten Geiselbefreiungen
In den Reisfeldern im Umland von Kona wurde offenbar weiter gekämpft. Malische Truppen rückten aber weiter in Richtung auf die von Rebellen gehaltene Stadt Douentza vor und standen in Niono rund 60 Kilometer vor Diabali.
Aufgrund der Ausweitung der Kämpfe in Mali befürchtet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mehr als 700 000 Kriegsflüchtlinge. Seit Frühjahr 2012 seien 230 000 Menschen innerhalb Malis und fast 150 000 in benachbarte Länder geflohen. „Unsere aktuellen Planungen sind eingestellt auf bis 300 000 Menschen, die innerhalb Malis Zuflucht suchen, und 407 000, die in benachbarte Länder fliehen“, sagte UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming. Nach UN-Informationen gibt es in Mali schwere Übergriffe von Islamisten auf Zivilpersonen. Die Vorwürfe reichen vom Abtrennen von Gliedmaßen bis zu Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen von Mädchen mit Dschihadisten.
Transall-Maschinen auf dem Weg
Die zwei Transall-Maschinen der Bundeswehr sollen an diesem Samstag mit Sanitätsmaterial in Bamako eintreffen. Anschließend sollen sie für den Transport afrikanischer Mali-Truppen eingesetzt werden.
Frankreichs Eingreifen in Mali hatten dem Islamistenkommando in Algerien am Mittwoch den Anlass zur Besetzung der Industrieanlage In Amenas mit 700 Mitarbeitern gegeben. Am Donnerstag begannen die algerischen Streitkräfte mit der Rückeroberung. Ihr hartes Vorgehen brachte Algerien Kritik vieler Regierungen von Großbritannien bis Japan ein. Frankreich äußerte allerdings Verständnis.
US-Verteidigungsminister Leon Panetta drohte den Geiselnehmern Konsequenzen an. „Die Terroristen sollten wissen, dass es für sie kein Versteck, keinen Fluchtpunkt gibt“, sagte Panetta in London. Die aus mehreren islamischen Staaten stammenden Geiselnehmer, die den Angriff auf In Amenas monatelang vorbereitet hatten, kündigten aber weitere Anschläge auf westliche Interessen an.
Die Bundesregierung mahnte alle Reisenden im nördlichen und mittleren Afrika wegen der Terrorgefahr zur Vorsicht. Es bestehe eine erhöhte Gefahr von Gewaltakten und Entführungen durch El Kaida und kriminelle Banden.