Kaum ein Politiker in Deutschland polarisiert so wie Bernd Lucke. Als Eurokritiker wurde der Wirtschaftsprofessor mit seiner Alternative für Deutschland (AfD) bundesweit berühmt. Er war das Gesicht der jungen Partei und ihr Sprecher.
Nun ist Bernd Lucke weg, vertrieben von seinen eigenen Parteifreunden. Mit lauten Buhrufen verabschiedeten sie ihn Anfang des Monats bei ihrem Bundesparteitag aus dem Amt des Vorsitzenden. Kurz darauf verließ Lucke die von ihm gegründete Partei. Ihm folgten Tausende Anhänger und die AfD stürzte in den Umfragen ab. Damit folgt sie einem Muster, welches die Entwicklung von jungen Parteien in Deutschland vorzuzeichnen scheint. Vom schnellen Aufstieg bis zum tiefen Fall. Doch warum ist das eigentlich so? Immerhin gab es auch Zeiten, in denen die jungen Wilden die Politik verändern konnten.
Es ist inzwischen 32 Jahre her, dass die Grünen den Bundestag zum ersten Mal betraten. Zuvor saßen sie bereits in vier Länderparlamenten. Viele Beobachter prophezeiten den alternativen Politikern ein schnelles Ende. Es ist eine Parallele zur heutigen Zeit. Doch anders als AfD, Piraten oder Republikaner sind die Bündnisgrünen inzwischen eine feste politische Konstante in der Bundesrepublik.
Sie haben sich durchgesetzt im harten Geschäft der Politik. Und genau das macht sie zu einem Vorbild für diejenigen, die diesem Beispiel nachfolgen wollen.
Das sagt Rainer-Olaf Schultze. Der Doktor der Politikwissenschaften lehrte lange an der Universität Augsburg. In seiner Berufslaufbahn hat er viele Parteien begleitet und sie analysiert. Dabei ist er auf eine einfache Wahrheit gestoßen: „Eine Partei zu gründen ist einfach. Eine sein, verdammt schwer.“
So brauche es zu Beginn nur ein Reizthema, das von den alteingesessenen Parteien nicht bedient wird, sagt Schultze. „Da entsteht ein Hype, der über die ersten Jahre hilft.“ Anschließend beginne die richtige Arbeit, erklärt der Politikwissenschaftler. Und an dieser würden viele scheitern.
So ist es auch der Piratenpartei ergangen. 2006 gründeten Berliner Studenten die Partei, die es zwischen 2011 und 2012 sogar in vier Landtage schaffte. Das Versprechen von moderner Demokratie und Freiheit im Internet zog viele junge Wähler an. Doch am Ende wandten sich fast alle Unterstützer von den Piraten ab. Interne Machtkämpfe, Streiterein und ständige Führungswechsel hatten die Partei unwählbar gemacht. Enttäuschte Protestwähler setzten ihre Hoffnung von da an lieber in eine neue Formation. Der Alternative für Deutschland.
Auch diese hat inzwischen Sitze in vier Landtagen erobert. Hauptsächlich in den neuen Bundesländern, aber auch in Hamburg. Als Partei der Professoren und Euroskeptiker war sie für viele Wähler eine wirkliche Alternative, sagt Politikexperte Schultze. Nun erlebt die AfD erste Verfallserscheinungen.
So verliert die Partei mit Bernd Lucke und seinen Befürwortern im Verein „Weckruf 2015“ viel von ihrem liberalen Anstrich. Es ist ein Prozess, den auch Schultze kritisiert: „Die haben ihren Parteitag am selben Wochenende abgehalten, als das Referendum in Griechenland war“, sagt er. „Darüber ist bei den angeblichen Euroskeptikern kein Wort gefallen.“ Das nennt der Politikwissenschaftler als „bezeichnend für die veränderten Prioritäten“ der Partei. Das neue Hauptthema sei nun die zunehmende Entfremdung.
Die neue AfD-Chefin Frauke Petry konnte mit Parolen gegen den Islam punkten. Lucke wurde nach seinem verhaltenen Aufruf zu mehr Toleranz regelrecht beschimpft. Und das vor laufenden Kameras der großen Nachrichtenportale. Für die junge AfD ist das ein gewaltiger Schaden am eigenen Image.
Nach neuesten Umfragen des Emnid-Instituts würde die Partei den Einzug in den Bundestag inzwischen deutlich verpassen. Gerade einmal drei Prozent der Deutschen setzen noch auf die vermeintliche Alternative. Es sind die schlechtesten Umfragewerte für die Eurokritiker seit zwei Jahren. Viele Wähler wenden sich ab. So wie sie es schon bei den Piraten oder den Republikanern taten.
Die kommenden Monate werden nun über das Schicksal der AfD entscheiden, sagt Politikexperte Schultze. Das habe mit einem Phänomen zu tun, welches Wissenschaftler „Fallbeil“ nennen. „Sobald Wähler merken, dass die von ihnen unterstützte Partei kaum mehr Chancen hat, die Sperrklausel zu überspringen, wählen sie sie auch nicht“, erklärt Schultze. Die AfD ist also in der Bringschuld. 2016 werden fünf Landtage gewählt. Darunter in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Hier muss die Partei beweisen, dass sie konstant über die Fünf-Prozent-Hürde springen kann.
Und das auch im Westen. Sonst droht ihr ein ähnlicher Absturz wie der Piratenpartei, welche bei Wahlsendungen nur noch unter „Sonstige“ zu finden ist.
Eine von Bernd Lucke angekündigte Zweitpartei sieht Experte Schultze sehr kritisch. Der gefeuerte AfD-Gründer hatte angekündigt, eine Alternative zur AfD gründen zu wollen. „Das Thema Euro und Griechenland verliert an Gewicht und als wirtschaftsliberale Partei ist die FDP glaubwürdiger.“ Zwar möchte der Politikwissenschaftler noch keine Prognosen abgeben, doch er geht von einem Ende der Ära Lucke aus.
Für die AfD ist dagegen die islamfeindliche Pegida-Bewegung in den neuen Bundesländern eine Chance, sagt Schultze. „Hier gibt es ein beachtliches Potenzial, aus dem die AfD unter bestimmten politischen Bedingungen schöpfen kann. Das Parteiensystem befindet sich ähnlich wie zur Entstehungszeit der Grünen vor mehr als 30 Jahren im Wandel.“ Gesellschaftliche Veränderungen könnten der AfD in der Krise helfen, sagt der Politikwissenschaftler. Und sollte es so kommen, sagt Schultze, könnte die AfD den Einzug in den Bundestag schaffen. Foto: Silvio Wyszengrad