Günther Oettinger zeigte sich „glücklich, motiviert und neugierig“. Und auch die Kanzlerin ließ ausrichten, sie fände „das sehr gut“. Nur knapp eine Stunde, nachdem der künftige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den 60-jährigen ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg zum neuen Verantwortlichen für die „digitale Wirtschaft“ ernannt hatte, klang so viel Positives dann doch überraschend. Schließlich war Oettinger zum zweiten Mal bei der Besetzung der prestigeträchtigen Vizepräsidenten-Stühle leer ausgegangen. Das Wettbewerbskommissariat habe man ihm angeboten, erzählte der Schwabe. Aber das wollte er wegen der vielfältigen „deutschen Industrieinteressen“ nicht übernehmen.
Er habe „Tag und Nacht geplant und gearbeitet“, ließ Juncker wissen, ehe er am Mittwochmittag endlich sein mit Spannung erwartetes Kommissionsteam vorstellte (siehe Text unten). „Ich wünsche mir eine Europäische Union, die in großen Fragen Größe und Ehrgeiz zeigt und sich in kleinen Fragen durch Zurückhaltung und Bescheidenheit auszeichnet“, sagte der 59-jährige Luxemburger.
Neu zugeschnittene Ressorts
Was er dann vorführte, kommt einer mittleren Revolution gleich, weil Juncker die bisherigen Ressorts nahezu vollständig neu zugeschnitten hat, um „Schubladendenken aufzubrechen“, wie er sagte. Künftig werden sieben Vizepräsidenten so genannte „Projektteams“ leiten, die etwa für Klimaschutz und Energie, Wirtschaft oder Euro und Soziales zuständig sind. Ihnen sind einzelne Fach-Kommissare unterstellt, die zuarbeiten, was am Ende zusammengeführt wird. Was auf die Tagesordnung des Kollegiums kommt, bestimmt der zuständige Kommissionsvize. „Das ist die Struktur eines Regierungsapparates“, kommentierte der Chef der CDU-Abgeordneten im Europäischen Parlament, Herbert Reul. Es sei klug, „Dinge wie Klimaschutz und Energie zusammenzuführen“.
„Ich bin sicher, dass das ein Superteam ist“, betonte Juncker. Dafür krempelte er die bisherige Mannschaftsordnung, in der alle Kommissare gleichberechtigt waren, nicht nur völlig um, sondern richtete die Arbeitsbereiche auch auf ein Ziel hin neu aus: Die Länder der Europäischen Union sollen wirtschaftlich gefördert, innovativer und stabiler werden. „Das ist eine Wirtschaftsregierung“, hieß es am Mittwoch von verschiedenen Seiten in Brüssel. Auch wenn die Benennung des britischen EU-Kritikers Jonathan Hill zum Mann für die Bankenunion als „schwerer Fehler“ kritisiert wurde. Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, sprach offen davon, dass „Juncker den Bock zum Gärtner“ mache. Schließlich hatte London sich stets gegen die Vergemeinschaftung gewehrt.
Einige Deutsche im Machtzentrum
Deutschland kann trotz aller Kritik an Oettingers „Job in der zweiten Reihe“ zufrieden sein. Im Machtzentrum der Union stehen nicht wenige bundesrepublikanische Vertreter mit am Steuer. So wird Junckers Kabinett von dem 43-jährigen Juristen Martin Selmayr geleitet, der lange als Sprecher der ehemaligen Justizkommissarin Viviane Reding tätig war. Generalsekretär des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs ist der 54-jährige ehemalige Merkel-Berater Uwe Corsepius. An der Spitze des Europäischen Parlamentes steht der 58-jährige Martin Schulz als Präsident. Der 50-jährige Klaus Welle leitet als Generalsekretär der Volksvertretung die Geschäfte. Und auch die Führung des 700 Milliarden Euro schweren Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Luxemburg ist fest in der Hand eines Deutschen, des Diplomaten Klaus Regling (63).
Juncker sieht seine Rolle eher zurückhaltend als „den großen Koordinator der etwas weniger großen Koordinatoren“. Von „präsidialer Führung“ wolle er nichts wissen, das „Kollegiale“ sei sein Weg. Und dann fügte er in der ihm eigenen verschmitzten Art noch hinzu: „Ich will in höherem Alter keine Karriere als Diktator beginnen.“