Noch bevor das Treffen am Abend zwischen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem neuen polnischen Premierminister Mateusz Morawiecki begonnen hatte, waren die Fronten gesetzt. Zwar machte der Behördenchef in Brüssel am gestrigen Dienstagmorgen deutlich, dass es ihm im Dauerkonflikt mit Warschau um das Finden eines Kompromisses gehe. Er wolle „vernünftig“ mit seinem Gegenüber reden, versicherte Juncker. Auch sei er „nicht in kriegerischer Stimmung“ und wolle „keine wilden Drohungen aussprechen“.
Dabei wurde die im vergangenen Dezember längst von seinem Vizepräsidenten Frans Timmermans ausgesprochen: Kurz vor der Winterpause der Behörde hatte der Niederländer, zuständig für die Rechtsstaatlichkeit in der EU, die letzte Stufe des gleichnamigen Mechanismus eingeleitet. Drei Monate bleiben der polnischen Regierung, darauf zu reagieren. Beim Frühjahrsgipfel der EU-Staats- und Regierungschefs könnte bereits die Entscheidung fallen, ob Polen die Stimmrechte entzogen werden.
Morawiecki zeigte sich Anfang Januar dennoch optimistisch, die umstrittene Justizreform, die das Verfahren ausgelöst hatte, in Brüssel verteidigen zu können. „Wir haben doch noch bis heute im Obersten Gericht Richter, die aus der Zeit des Kriegsrechts stammen, die schändliche Urteile“ über frühere Mitglieder der für die Unabhängigkeit kämpfenden Gewerkschaft Solidarnoœæ gesprochen haben, rechtfertigte er den Umbau der Judikative.
Doch die Vorgaben der Kommission im Dezember waren eindeutig: Die geplanten Änderungen des Pensionsalters für oberste Richter müssen entfallen. Diese sollen weiter aus den eigenen Reihen gewählt werden. Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtshofes muss gewährleistet sein.
Dabei ist die Aushebelung der unabhängigen Justiz nicht der einzige Konfliktpunkt zwischen der EU und Polen. Juncker machte schon vorab zu der Begegnung mit Morawiecki deutlich, wo die Grenzen seiner Kompromissbereitschaft liegen. In der Flüchtlingsfrage erwartet die Kommission die vollständige Umsetzung der 2015 von den Innenministern mehrheitlich beschlossenen Umverteilung aus Griechenland und Italien.