
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte mehr Publikum erwartet. Dass er am gestrigen Dienstag in Straßburg nur vor etwa 30 Abgeordneten eine Bilanz des gerade zu Ende gegangenen maltesischen Ratsvorsitzes ziehen sollte, passte dem früheren luxemburgischen Premierminister so gar nicht. Gleich zu Beginn seiner Redezeit holte er, an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewandt, kräftig aus: „Das Europäische Parlament ist lächerlich, sehr lächerlich.“ Der Eklat war perfekt.
Er begrüße diejenigen, „die sich herbemüht haben“. Aber dass nur so wenige der insgesamt 751 Abgeordneten da waren, zeige, dass man die Volksvertretung nicht ernst nehmen könne. Und damit hatte sich der Kommissionschef gerade erst warm gelaufen. „Wenn Herr Muscat Frau Merkel wäre – schwer vorstellbar – oder Herr Macron – eher vorstellbar – hätten wir ein volles Haus“, schimpfte der 62-Jährige. Dem extra angereisten maltesischen Premier Joseph Muscat hätte er etwas anderes gewünscht.
Sprachlos über so viel Schelte des Kommissionschefs brauchte Parlamentspräsident Antonio Tajani einen Augenblick, bis er seine Fassung zurückerlangt hatte. „Also bitte“, wandte er sich an Juncker: „Sie können das Parlament kritisieren, aber es ist nicht die Kommission, die das Parlament kontrolliert.“ Stattdessen sei es genau umgekehrt.
Doch Juncker hatte sich bereits in Rage geredet. Mehrmals gestikulierte er so wild, dass er das Mikrofon traf. Er blieb dabei, die Volksvertretung sei lächerlich, während er dem maltesischen Premier Tribut für die getane Arbeit zollen wollte.
Diesmal unterbrach ihn Tajani – mit der Aufforderung, Juncker möge sich im Ton mäßigen. „Wir sind nicht lächerlich“, schimpfte der Italiener, der wie der Kommissionspräsident der christdemokratischen EVP-Parteienfamilie angehört. Das Kind aber war schon in den Brunnen gefallen. Juncker kündigte beleidigt an, „nie wieder an einer Zusammenkunft dieser Art“ teilzunehmen. Einmal mehr an die wenigen Abgeordneten gewandt forderte er, dass diese auch den Ratsvorsitz der kleineren Länder zu respektieren hätten. Seine Rede hielt er nicht.
Die Reaktionen echauffierter Volksvertreter ließen nicht lange auf sich warten: Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold, dessen Fraktion als Einzige mit der Vorsitzenden Ska Keller anwesend war, forderte eine Entschuldigung von Juncker. Dieser habe „als Kommissionspräsident die Pflicht, dem Parlament zu berichten, seine Weigerung war selbstgerecht und arrogant“, meinte der Europaparlamentarier.
In einem Punkt aber gab er dem Wutausbruch des Behördenchefs recht. „Wenn Regierungschefs kleinerer EU-Länder im Plenum sprechen, stößt das auf weniger Interesse als bei Reden von Merkel oder Macron“, gab er zu. Die Fraktion der EVP, der Manfred Weber (CSU) vorsitzt, kündigte eine Reaktion zu Junckers Auftritt an.