MÜNCHEN
Jugend in Deutschland - Kämpfen muss jeder auf seine Art
Jugend in Deutschland: Die Abiturientin Lara sucht noch ihren Weg. Nico hat eine klare Idee, doch sein Hauptschulabschluss ist unsicher. Das Treffen der beiden sagt manches aus über ihre Generation.
Lara hat einiges vor in ihrer Zukunft. Erstmal Abi, dann studieren, gern im Ausland. Was genau, weiß sie noch nicht. Aber sie freut sich auf das, was kommt. Sie erzählt, dass sie gern am Klavier spielt, das ihre Eltern ihr gekauft haben. Dass sie gern shoppen und tanzen geht, sagt sie, und dass sie, wann immer es passt, ihren Freund in Wien besucht. Ihr Taschengeld bessert sie mit Model-Jobs auf. Laras Eltern sind geschieden, ihr Vater war Unternehmer, ihre Mutter ist Kosmetikerin.
Ihre Kindheit hat Lara auf einer Waldorf-Schule verbracht - ohne Hausaufgaben und, wie sie sagt, mit viel Betreuung. „Ich hätte aber mehr Druck gebraucht“, sagt die 18-Jährige, die inzwischen die Schule gewechselt hat, selbstkritisch und lacht. „Ich bin nicht so diszipliniert.“
Nico hört ihr mit offenem Mund zu. Der 15-Jährige will auch unbedingt auf so eine besondere Schule. Aber nicht, weil er keine Lust hat auf Hausaufgaben - im Gegenteil. Wenn er von dem Matheunterricht bei seinem Lieblingslehrer erzählt, dann strahlen seine Augen. Er kann sich nur gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn sich die Lehrer viel Zeit für den Einzelnen nehmen, wenn sie ihn nicht „gestört“ nennen und wenn sie geduldig sind. Wie es ist, Taschengeld zu bekommen, weiß er auch nicht.
Es sind zwei Welten, die im Multikulturellen Jugendzentrum (MKJZ) im Münchner Westend aufeinanderprallen. Zwei Welten, wie sie typisch sind für das reiche Deutschland im Jahr 2013. Die Welt Laras, die behütet aufgewachsen ist und gefördert wurde. Sie macht im Jugendzentrum ein Praktikum, weil sie herausfinden will, was sie nach dem Abi tun möchte. Und die Alltagserfahrung Nicos, der schon früh die rauen Seiten kennengelernt hat. Er verbringt seit Jahren fast jede freie Minute im Jugendzentrum - so wie viele andere auch, bestätigt Leiter Ismail Sahin.
Nicos Mutter, die alleinerziehend ist und arbeitslos, hat gerade nicht viel Zeit für ihn und seinen Bruder. „Wir müssen ja auch selbstständig werden“, sagt Nico. Seinen Vater, der weit weg wohnt, sieht er nie. Manchmal ruft er ihn an, wenn er Geld braucht - und manchmal bekommen er und sein Bruder dann etwas. In seiner Kindheit hat Nico schon einiges mitgemacht, doch darüber will er nicht sprechen. Viel lieber redet er über das, was er im Jugendrat des Zentrums, in den er gewählt wurde, alles bewegen will.
Lara und Nico gehören einer Generation an, doch ihre Leben könnte unterschiedlicher kaum sein. Dennoch gibt es Verbindendes: Beide müssen einen nach Experten-Einschätzung komplizierten Übergang in eine Erwachsenenwelt schaffen, die von Unsicherheiten geprägt ist.
Vor allem dem 15 Jahre alten Nico ist klar, wie wichtig die Schule dabei für ihn sein könnte: Er wäre gern Fleischereifachverkäufer. Dafür braucht er einen Hauptschulabschluss - und ob er den schafft, steht noch etwas auf der Kippe. Im Gegensatz zu Nico hat die Abiturientin Lara das Gefühl, dass ihr fast alle Türen offen stehen. Die 18-Jährige wirkt optimistischer als Nico, sie strahlt das Gefühl aus, dass sie sich - unter den vielen möglichen - nur für den richtigen Weg entscheiden müsste.
Für Lara mag das zutreffen, insgesamt jedoch beschreibt Wolfgang Gaiser vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München die Übergangzeit als Herausforderung. Denn selbst diejenigen, die es auf die Hochschulen schaffen, haben es alles andere als leicht, sagt der Experte. „Ihr Kampf fängt nur später an. Türen, die vor dem Abitur noch scheinbar offen stehen, schließen sich schnell.“
Der Eintritt ins Berufsleben sei für junge Erwachsene heute ungleich schwerer als noch für ihre Eltern - auf jedem Bildungsniveau. Eine „stabile Erwachsenenbiografie“, wie Gaiser es nennt, fange deutlich später an - auch wegen befristeter Arbeitsverträge und permanent verlangter Mobilität.
Wie erfolgreich die Jugendlichen in diesen „Kampf“ eintreten, das hängt auch stark vom Elternhaus ab. „Die deutsche Schule baut darauf auf, dass andere Akteure Vorleistungen erbringen, ohne die den Kindern schulisches Lernen kaum möglich ist“, schreibt der DJI-Direktor Thomas Rauschenbach in seinem Artikel „Ein anderer Blick auf Bildung“. Diese „Vorleistungen“ aber gibt es in vielen Familien nicht. Bildungsfern heißt das Label, mit dem man sie versieht.
Die PISA-Studie von 2001 machte es deutlich und löste eine Debatte aus: Deutschland zählt zu den Ländern, wo der Schulerfolg extrem abhängig ist von der sozialen Herkunft. Laut einer Sozialerhebung des Studentenwerkes hatten 2009 etwa 60 Prozent der Studenten an deutschen Hochschulen Eltern, die Abitur besaßen - und damit überproportional viele. 29 Prozent hatten Eltern mit Realschulabschluss und 11 Prozent Eltern, die bis zum Hauptschulabschluss kamen. Zum Vergleich: Jeder Vierte insgesamt im Land hat laut Mikrozensus 2011 die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Derzeit machen etwa 40 Prozent Abi oder Fach-Abi.
Und noch ein Beispiel aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung vom Januar: Eltern mit Hauptschulabschluss lassen ihre Kinder im Schnitt 111 Minuten am Tag fernsehen. Bei Eltern mit Abitur oder Studium sind es 73 Minuten. Dafür lesen Kinder von Akademiker-Eltern im Schnitt deutlich länger als Kinder, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben.
Nico aber will nicht den ganzen Tag fernsehen oder Computer spielen. Er will Verantwortung übernehmen für das Jugendzentrum, das ihm so wichtig ist. Zusammen mit seinen Freunden schmiedet er Pläne, wie sie Spenden an Land ziehen können. Wenn jemand nicht zu den Planungstreffen kommt, wird der 15-Jährige wütend. „Das ist einfach nicht in Ordnung.“
Die neueste Idee des Jugendrates: Eine „kleine Allianz-Arena“ auf dem Bolzplatz neben dem Jugendzentrum. „Das wäre eine Touristen-Attraktion“, sagt Nico. „Wir könnten die vermieten für andere Fußball-Mannschaften, wir könnten Turniere machen und wenn dann viele Leute sehen, wie toll das ist, dann ist das auch gut für den Ruf unseres Stadtteils.“ Einen Brief an den FC Bayern wollen Nico und seine Freunde schreiben - denn ohne Unterstützer ist vieles so unendlich schwer.
Ihre Kindheit hat Lara auf einer Waldorf-Schule verbracht - ohne Hausaufgaben und, wie sie sagt, mit viel Betreuung. „Ich hätte aber mehr Druck gebraucht“, sagt die 18-Jährige, die inzwischen die Schule gewechselt hat, selbstkritisch und lacht. „Ich bin nicht so diszipliniert.“
Nico hört ihr mit offenem Mund zu. Der 15-Jährige will auch unbedingt auf so eine besondere Schule. Aber nicht, weil er keine Lust hat auf Hausaufgaben - im Gegenteil. Wenn er von dem Matheunterricht bei seinem Lieblingslehrer erzählt, dann strahlen seine Augen. Er kann sich nur gar nicht vorstellen, wie es ist, wenn sich die Lehrer viel Zeit für den Einzelnen nehmen, wenn sie ihn nicht „gestört“ nennen und wenn sie geduldig sind. Wie es ist, Taschengeld zu bekommen, weiß er auch nicht.
Es sind zwei Welten, die im Multikulturellen Jugendzentrum (MKJZ) im Münchner Westend aufeinanderprallen. Zwei Welten, wie sie typisch sind für das reiche Deutschland im Jahr 2013. Die Welt Laras, die behütet aufgewachsen ist und gefördert wurde. Sie macht im Jugendzentrum ein Praktikum, weil sie herausfinden will, was sie nach dem Abi tun möchte. Und die Alltagserfahrung Nicos, der schon früh die rauen Seiten kennengelernt hat. Er verbringt seit Jahren fast jede freie Minute im Jugendzentrum - so wie viele andere auch, bestätigt Leiter Ismail Sahin.
Nicos Mutter, die alleinerziehend ist und arbeitslos, hat gerade nicht viel Zeit für ihn und seinen Bruder. „Wir müssen ja auch selbstständig werden“, sagt Nico. Seinen Vater, der weit weg wohnt, sieht er nie. Manchmal ruft er ihn an, wenn er Geld braucht - und manchmal bekommen er und sein Bruder dann etwas. In seiner Kindheit hat Nico schon einiges mitgemacht, doch darüber will er nicht sprechen. Viel lieber redet er über das, was er im Jugendrat des Zentrums, in den er gewählt wurde, alles bewegen will.
Lara und Nico gehören einer Generation an, doch ihre Leben könnte unterschiedlicher kaum sein. Dennoch gibt es Verbindendes: Beide müssen einen nach Experten-Einschätzung komplizierten Übergang in eine Erwachsenenwelt schaffen, die von Unsicherheiten geprägt ist.
Vor allem dem 15 Jahre alten Nico ist klar, wie wichtig die Schule dabei für ihn sein könnte: Er wäre gern Fleischereifachverkäufer. Dafür braucht er einen Hauptschulabschluss - und ob er den schafft, steht noch etwas auf der Kippe. Im Gegensatz zu Nico hat die Abiturientin Lara das Gefühl, dass ihr fast alle Türen offen stehen. Die 18-Jährige wirkt optimistischer als Nico, sie strahlt das Gefühl aus, dass sie sich - unter den vielen möglichen - nur für den richtigen Weg entscheiden müsste.
Für Lara mag das zutreffen, insgesamt jedoch beschreibt Wolfgang Gaiser vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in München die Übergangzeit als Herausforderung. Denn selbst diejenigen, die es auf die Hochschulen schaffen, haben es alles andere als leicht, sagt der Experte. „Ihr Kampf fängt nur später an. Türen, die vor dem Abitur noch scheinbar offen stehen, schließen sich schnell.“
Der Eintritt ins Berufsleben sei für junge Erwachsene heute ungleich schwerer als noch für ihre Eltern - auf jedem Bildungsniveau. Eine „stabile Erwachsenenbiografie“, wie Gaiser es nennt, fange deutlich später an - auch wegen befristeter Arbeitsverträge und permanent verlangter Mobilität.
Wie erfolgreich die Jugendlichen in diesen „Kampf“ eintreten, das hängt auch stark vom Elternhaus ab. „Die deutsche Schule baut darauf auf, dass andere Akteure Vorleistungen erbringen, ohne die den Kindern schulisches Lernen kaum möglich ist“, schreibt der DJI-Direktor Thomas Rauschenbach in seinem Artikel „Ein anderer Blick auf Bildung“. Diese „Vorleistungen“ aber gibt es in vielen Familien nicht. Bildungsfern heißt das Label, mit dem man sie versieht.
Die PISA-Studie von 2001 machte es deutlich und löste eine Debatte aus: Deutschland zählt zu den Ländern, wo der Schulerfolg extrem abhängig ist von der sozialen Herkunft. Laut einer Sozialerhebung des Studentenwerkes hatten 2009 etwa 60 Prozent der Studenten an deutschen Hochschulen Eltern, die Abitur besaßen - und damit überproportional viele. 29 Prozent hatten Eltern mit Realschulabschluss und 11 Prozent Eltern, die bis zum Hauptschulabschluss kamen. Zum Vergleich: Jeder Vierte insgesamt im Land hat laut Mikrozensus 2011 die Fachhochschul- oder Hochschulreife. Derzeit machen etwa 40 Prozent Abi oder Fach-Abi.
Und noch ein Beispiel aus dem 14. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung vom Januar: Eltern mit Hauptschulabschluss lassen ihre Kinder im Schnitt 111 Minuten am Tag fernsehen. Bei Eltern mit Abitur oder Studium sind es 73 Minuten. Dafür lesen Kinder von Akademiker-Eltern im Schnitt deutlich länger als Kinder, deren Eltern einen Hauptschulabschluss haben.
Nico aber will nicht den ganzen Tag fernsehen oder Computer spielen. Er will Verantwortung übernehmen für das Jugendzentrum, das ihm so wichtig ist. Zusammen mit seinen Freunden schmiedet er Pläne, wie sie Spenden an Land ziehen können. Wenn jemand nicht zu den Planungstreffen kommt, wird der 15-Jährige wütend. „Das ist einfach nicht in Ordnung.“
Die neueste Idee des Jugendrates: Eine „kleine Allianz-Arena“ auf dem Bolzplatz neben dem Jugendzentrum. „Das wäre eine Touristen-Attraktion“, sagt Nico. „Wir könnten die vermieten für andere Fußball-Mannschaften, wir könnten Turniere machen und wenn dann viele Leute sehen, wie toll das ist, dann ist das auch gut für den Ruf unseres Stadtteils.“ Einen Brief an den FC Bayern wollen Nico und seine Freunde schreiben - denn ohne Unterstützer ist vieles so unendlich schwer.
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