Die Vorlesung hatte gerade begonnen, als fünf Maskierte mit Kalaschnikows in den Hörsaal der Universität von Aden stürmten. Die Zeiten von Unzucht und Ausschweifung seien vorbei, brüllten sie. Frauen und Männer dürften nicht länger in einem Raum zusammen sein und studieren. Alle auf dem Campus müssten künftig den Gesetzen der Scharia gehorchen, drohten die Fanatiker dem schockierten Nachwuchs.
Stunden später rasten vier ihrer Pickups beim Zamaran-Supermarkt vor. Dreißig Angreifer stürmten ins Innere, schossen in die Decke, nahmen Kunden vorübergehend als Geiseln und verlangten von den Kassiererinnen, ihre Gesichter mit Schleiern zu verhüllen. Familien an der Corniche, der einst so kosmopolitischen Hafenstadt berichteten, bärtige Männer seien plötzlich an ihren Picknick-Plätzen aufgetaucht. Sie verlangten, die Musik abzustellen, weil dies laut Islam verboten sei.
Erbitterte Straßenkämpfe
Vier Monate dauerten im Sommer die erbitterten Straßenkämpfe zwischen den Regierungstruppen und den Houthis, bis sich die Rebellen Mitte Juli aus der stark verwüsteten Hafenstadt zurückzogen. Doch der wirkliche Sieger heißt El Kaida. Ihre Kämpfer nutzten das Chaos, um sich erstmals auf breiter Front in Aden festzusetzen und die Zwei-Millionen-Metropole in ihrem Sinne umzukrempeln.
Auf zahlreichen offiziellen Gebäuden, darunter auch einer Polizeiwache, weht jetzt die schwarze Flagge der Dschihadisten. Ihre Kommandos patrouillieren völlig ungehindert durch die Straßen, auch weil das Expeditionskorps der Golfstaaten rund um Hafen und Flughafen zu schwach ist, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten.
Fast ein Dreivierteljahr dauert der verheerende Bürgerkrieg nun schon, den Saudi-Arabien im März gegen seinen südlichen Nachbarn Jemen vom Zaun brach. 5000 Menschen sind gestorben, drei Millionen auf der Flucht, ein Viertel der Bevölkerung hungert.
Doch ihrem Ziel, den Houthi-Rebellen die Hauptstadt Sanaa wieder zu entreißen und die ins Exil geflohene Regierung von Präsident Abed Rabbo Mansour Hadi zurück an die Macht zu bomben, sind die ölreichen Kriegsherren vom Golf keinen Schritt näher gekommen.
Panzer erbeutet
Stattdessen hielten die El-Kaida-Kommandos letzte Woche in Aden demonstrativ und unbehelligt zwei Militärparaden ab. Nach Angaben von staatlichen Sicherheitskreisen fielen ihnen 22 Panzer, dutzende gepanzerte Fahrzeuge, Boden-Luft-Raketen, Artilleriegeschütze und Munition in die Hände. Alle Versuche von Stammesältesten und prominenten Notablen, die Dschihadisten mitsamt ihrer erbeuteten Waffen zu einem freiwilligen Abzug aus Aden zu bewegen, scheiterten.
Und so besitzt Jemens El Kaida, die bereits seit einem Jahrzehnt als gefährlichste Filiale des globalen Terrornetzwerks gilt, jetzt eine Schlagkraft, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Arabischen Halbinsel, die auch dem Königshaus in Riad wieder gefährlich werden könnte.
Neben großen Teilen von Aden kontrollieren die Dschihadisten auch angrenzende Provinzen. Auch die Regionalhauptstadt Mukalla mit ihren 300 000 Einwohnern, in deren Hafen sich die Exportterminals für das Rohöl des Landes befinden, ist seit April komplett in ihrer Hand.