Als Finanzminister muss Wolfgang Schäuble sich schon kraft Amtes armrechnen. Mehr als 30 Milliarden Euro, behauptet er, stünden in der neuen Legislaturperiode nicht für zusätzliche Ausgaben zur Verfügung. Tatsächlich addieren sich die Wahlversprechen von Union, Grünen und Liberalen auf ein Mehrfaches davon. Auch deshalb dürfte in der nächsten Sondierungsrunde nicht nur über das Thema Europa, sondern auch ums Geld gestritten werden.
Schäubles Zahl hält einer genaueren Überprüfung nicht stand. Nach der letzten Steuerschätzung steigen alleine die Steuereinnahmen des Bundes dank der guten Konjunktur, der Rekordbeschäftigung und der gestiegenen Firmengewinne gegenüber dem Jahr 2016 um 64 Milliarden Euro. Sollten sich die Koalitionspartner darüber hinaus entschließen, die umstrittene Prämie für den Verkauf von Elektroautos wieder abzuschaffen, weitere Subventionen abzubauen oder gar die Staatsbeteiligungen an Post, Telekom und Commerzbank zurückzufahren, wie es zum Beispiel die FDP fordert, entstünde noch zusätzlicher Gestaltungsspielraum.
Sie ist lang. Sehr lang sogar. Nach internen Berechnungen der CDU, über die die Tageszeitung „Die Welt berichtet, würde alleine die von der CSU geforderte Ausweitung der Mütterrente auf vier Jahre verteilt 28 Milliarden Euro kosten. Eine rasche Abschaffung des Solidaritätszuschlages würde Steuerausfälle von 41 Milliarden bedeuten, das von den Grünen geplante Familienbudget für den Kampf gegen Kinderarmut schlüge mit Kosten von 48 Milliarden Euro in vier Jahren zu Buche. Dazu kämen noch Steuerentlastungen, wie sie insbesondere die CSU und die FDP verlangen. Hier reichen die Vorstellungen von 15 bis zu 40 Milliarden Euro. Noch nicht berücksichtigt sind in diesen Berechnungen zusätzliche Investitionen in den Ausbau des schnellen Internets, den Wohnungsbau oder das Bildungssystem. Auch sie dürfen noch einmal einen zweistelligen Milliardenbetrag verschlingen. Alles in allem käme so eine Summe zwischen 100 und 200 Milliarden Euro für die nächste Wahlperiode zusammen.
Einig sind sich die vier Parteien, die über eine Jamaika-Koalition verhandeln, lediglich in zwei Punkten: Auch der nächste Finanzminister soll wieder einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden vorlegen – und durch eine entschärfte Progression gleichzeitig kleine und mittlere Einkommen bei der Einkommenssteuer entlasten. Der Rest ist Verhandlungssache. Die Grünen würden zur Finanzierung ihrer Reformpläne gerne den Spitzensteuersatz für Einkommen von mehr als 100 000 Euro im Jahr anheben, Kapitalerträge stärker besteuern, eine neue Vermögenssteuer einführen und für neu geschlossene Ehen auch das Ehegattensplitting abschaffen. Die Union und die FDP dagegen wollen ohne Steuererhöhungen auskommen. FDP-Chef Lindner kann sie sich nur für große internationale Konzerne wie Apple, Facebook oder Amazon vorstellen.
28 Jahre nach dem Mauerfall dürfte sich eine Jamaika-Koalition zumindest auf einen Abbau des Solidaritätszuschlages in mehreren Schritten verständigen. Dazu könnten höhere Grund- und Kinderfreibeträge sowie ein günstigerer Progressionsverlauf bei der Einkommenssteuer kommen. Auf der Investitionsseite haben aller Voraussicht nach die Digitalisierung und die Bildung Vorrang. Für alles zusammen jedoch, so viel ist jetzt schon sicher, werden die 30 Milliarden Euro von Wolfgang Schäuble kaum ausreichen.