Als „Jahrhundertkatastrophe“ bezeichnet Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) die Lage der Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Nordirak. Etwa sieben Millionen Menschen hat der Krieg bislang entwurzelt. Gut drei Millionen flohen aus den umkämpften Gebieten in Nachbarländer oder nach Europa. Mehr als vier Millionen sind innerhalb der Grenzen Syriens auf der Flucht – ohne Zugang zu humanitären Hilfen.
Allein in den vergangenen Monaten seien mehr als 600 000 Menschen in die kurdischen Gebiete im Nordirak geflohen, sagt Müller. Die Hälfte davon lagere in provisorischen Camps im Freien. Mit dem nun einsetzenden Winter verschärft sich das Problem dramatisch: „Es wird gestorben werden, wenn jetzt nichts passiert.“
Am schlimmsten trifft es dabei die Jüngsten. Nach Angaben des Kinderhilfswerks Unicef leiden fast sieben Millionen Kinder unter den Folgen des Krieges. Mehr als 1,5 Millionen Kinder mussten fliehen – darunter mindestens 8000 ohne Begleitung. Die Kinder sind traumatisiert, haben Eltern, Verwandte, Geschwister verloren und wurden häufig selbst Opfer von Gewalt.
Mehr Geld für Flüchtlinge
An diesem Dienstag werden in Berlin die Vertreter von 40 Staaten und Organisationen darüber beraten, wie sie den Flüchtlingen aus Syrien und dem Nordirak helfen können. Mathias Mogge von der Welthungerhilfe kritisiert, bislang sei die Hilfe für die Flüchtlinge absolut unterfinanziert. Nur 47 Prozent der von den Vereinten Nationen als notwendig erachteten Mittel seien bislang abgedeckt. Auch die private Spendenbereitschaft der Deutschen ist „im Vergleich zu Naturkatastrophen sehr gering“, sagt Mogge. Er appelliert an die „gemeinsame Verantwortung der internationalen Gemeinschaft“, mehr Flüchtlinge aus Syrien und dem Nordirak aufzunehmen – aber auch nach politischen Lösungen des Konflikts zu suchen.
Müller sieht bei der Bewältigung des Flüchtlingsproblems vor allem die EU in der Pflicht. „Was mir fehlt, ist die humanitäre Flagge der EU“, sagte Müller. Die Mittel seien da, es müssten lediglich neue Prioritäten gesetzt werden, begründet der Minister seine Forderung nach einer „Sondermilliarde“ aus bestehenden EU-Töpfen. Als sofortige Konsequenz kündigt Müller an, die deutsche Hilfe noch einmal aufzustocken und ein eigenes Camp für Kinder und Familien im Nordirak einzurichten.
Aktuell gehe es darum, die unmittelbare Bedrohung durch Hunger und Kälte zu bekämpfen, doch es gelte auch mittel- und langfristige Lösungen zu finden, um den Flüchtlingen zu helfen. Müller hält es für den besten Weg, die Hilfsorganisationen vor Ort sowie die unmittelbaren Nachbarländer, die an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangen, zu unterstützen. Die absolute Mehrheit der Menschen in Syrien wolle ihre Heimat nicht verlassen, sagt Müller.
Um zu verhindern, dass durch den Krieg eine „verlorene Generation“ unter den Kriegskindern heranwächst, brauchen sie Zugang zu Bildung, sagt Maria Calivis, Unicef-Generaldirektorin für den Mittleren Osten. Bereits heute seien rund drei Millionen syrische Kinder ohne Schulbildung. Es würden dringend Schulsachen und Lernmaterialien benötigt, um diesen Kindern ein Mindestmaß an Bildung zu vermitteln.