Alexis Tsipras hat sich verrechnet. Wenn sich der griechische Regierungschef am Montagmorgen mit dem Ergebnis des Referendums im Rücken wieder in Brüssel meldet, droht ihm manche böse Überraschung – und wohl auch die eine oder andere Lehrstunde in europäischem Vertragsrecht. Denn was auch immer der Premier aus dem Votum seiner Landsleute ableitet – durchsetzen kann er das nicht. Zumindest nicht schnell.
Hinter den Brüsseler Kulissen ist zwar schon die Rede von einer baldigen Tagung der Eurogruppe, möglicherweise auch einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs, die – zumindest im Fall einer Zustimmung zu den Auflagen der Geldgeber – wohl auch bereit wären, mit ersten Milliardenzuschüsse dafür zu sorgen, dass Rechnungen bezahlt und die Banken wieder öffnen können. Doch danach wird es schwierig.
Tsipras träumt von einem dritten Hilfspaket über 29 Milliarden Euro aus den Mitteln des ESM-Rettungsschirms. Der wurde zwar genau für einen solchen Zweck erfunden. Im Vertragstext aber findet sich eine Klausel, die bei der Abfassung ganz bewusst gewählt wurde: Der ESM darf nämlich nur dann Zahlungen leisten, wenn die Eurozone insgesamt in Gefahr ist. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber bringt das Problem auf den Punkt: „In den vergangenen Tagen habe alle betont, dass ein Grexit kein Risiko für die Währungsunion sei und auch keine Ansteckungsgefahr für andere Länder besteht. Es wird schwierig, diese Aussagen nun zu korrigieren, um doch auf den ESM zugreifen zu können.“
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble dürfte an solchen Verhandlungen genau genommen gar nicht teilnehmen. Er braucht nämlich ein Bundestagsmandat für Gespräche, die mehr als nur unverbindlich sein sollen. Aber das deutsche Parlament hat am Montag gerade seine Sommerpause begonnen. Und auch die europäischen Abgeordneten, die nach der Straßburger Plenarsitzung in der nächsten Woche in Urlaub gehen, sind nicht verfügbar. Eine Entscheidung in der Sache ist also frühestens im September möglich.
Die Rolle der Zentralbank
Tsipras dürfte diese Probleme geahnt haben. Denn er datierte sein bislang jüngstes Angebot, das am Mittwoch, den 1. Juli, in Brüssel eintraf, bewusst einen Tag zurück. Es trägt den Stempel vom 30. Juni. Der Sinn dahinter: Der Premier wollte den Eindruck erwecken, dass seine Wünsche noch unter das zweite Rettungspaket fallen. Das aber ist definitiv zu Ende. Es kann weder nachträglich verlängert (auch dazu müsste der Bundestag seine Zustimmung geben, was aussichtslos ist) noch wieder hervorgeholt werden.
So bleibt im Falle einer Zustimmung der Griechen zur Linie der Geldgeber eigentlich nur die Möglichkeit, dass die Europäische Zentralbank am Montag ihre Schleusen öffnet und den Kreditrahmen des ELA-Notprogramms erweitert, damit die hellenischen Banken wieder Kapital haben und öffnen. Sollte die Bevölkerung aber mehrheitlich mit „Nein“ votieren, wie Regierungschef Tsipras dies wünscht, dürften die Geldgeber das Land erst einmal sich selbst überlassen.
Aber vielleicht erlebt der Premier das ja auch gar nicht mehr. Denn in Brüssel verdichten sich Gerüchte, dass die Regierung am Montag platzen könnte. Hinter den Kulissen laufen offenbar bereits die Vorbereitungen für ein All-Parteien-Kabinett unter Ausschluss einiger extremer Gruppierungen.
Finanzminister Gianis Varoufakis knüpfte am Donnerstag seine politische Zukunft jedenfalls an den Ausgang der Abstimmung. Sollten die Griechen „Ja“ zu den Sparforderungen der Geldgeber sagen, werde er von seinem Amt zurücktreten, sagte er in einem Interview.
Ob Neuwahlen, selbst wenn sie angestrebt würden, möglich sind, ist unklar. Denn die griechische Verfassung erlaubt eine vorgezogene Abstimmung nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Bei einem Rücktritt von Alexis Tsipras bliebe das Parlament unverändert im Amt. Erst eine Demission von Staatspräsident Prokopis Pavolopoulos würde auch die gerade fünf Monate alte Volkskammer auflösen und den Weg zu Neuwahlen freimachen. Die Vorstellung schreckt allerdings viele: Ein Land im Chaos und ohne politische Führung – wie lange kann das gutgehen?