Christine Angot konnte ihren Zorn nicht mehr bändigen. In einem Fernsehstudio saß die französische Schriftstellerin dem konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon gegenüber, dem sie all ihre Abscheu entgegenschleuderte. „Sie sind unehrlich! Die Vorwürfe gegen Sie verletzen Sie? Ach, Sie Ärmster!“
Angot diente als Sprachrohr all derer, die entsetzt sind von Frankreichs Wahlkampagne, in der inhaltliche Debatten überlagert wurden von ständig neuen Enthüllungen über Fillons Praktiken: Ein Strafverfahren läuft, weil der frühere Abgeordnete seine Frau und zwei seiner Kinder üppig als parlamentarische Assistenten bezahlen ließ, ohne dass sie geleistete Arbeit belegen konnten. Außerdem nahm er teure Maßanzüge als Geschenk vom Anwalt afrikanischer Herrscher an. Seine Frau vermittelte er als literarische Beraterin zur Zeitschrift eines befreundeten Milliardärs – was sie dort geleistet hat, scheint unklar.
„Es ist keine Frage der Legalität, sondern des Anstands“, tobte Angot. „Mit welchem Recht verurteilen Sie mich?“, erwiderte Fillon gereizt, aber ruhig. „Ich bin unschuldig.“ Das hat der 63-Jährige stets wiederholt, doch viele Anhänger und wichtige Parteikader wendeten sich nach und nach von ihm ab. Der einstige Favorit fiel in Umfragen auf den dritten Platz zurück, wo ihn nun der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon bedroht: Erstmals lagen beide bei einer Wählerbefragung mit rund 18 Prozent in etwa gleichauf, klar hinter Rechtspopulistin Marine Le Pen und dem unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron mit rund 25 Prozent.
Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass sich Le Pen beim ersten Wahlgang am 23. April qualifiziert; sie schließen aber aus, dass sie die Stichwahl am 7. Mai gewinnen kann. So kommt es darauf an, wer die zweite Runde erreicht. Macron scheint am besten positioniert – doch viele misstrauen dem ehemaligen Investmentbanker, weil er sich weder klar links noch rechts positioniert. Einerseits vertritt der 39-Jährige wirtschaftsliberale Positionen, andererseits trägt er als Ex-Berater und Wirtschaftsminister von Präsident François Hollande dessen Bilanz mit. Fillon verspottete ihn als „Emmanuel Hollande“.
Kämpferisch geht der Republikaner in den Endspurt. Auch bei den parteiinternen Vorwahlen im November sahen ihn Meinungsforscher hinter seinen Rivalen Alain Juppé und Nicolas Sarkozy, die er dann klar überholte. Beide sagten ihm nun ihre Unterstützung zu. Fillons Stärken sind sein ruhig-souveränes Auftreten und seine Erfahrung, während er seinen Ruf der Ehrlichkeit verloren hat. Er verspricht, Frankreich mit einem Reform- und Sparprogramm – von der Kürzung von 500 000 Beamtenstellen über ein Ende der 35-Stunden-Woche bis zur Erhöhung der Mehrwertsteuer – zu sanieren.
„Mir gefällt seine starke Persönlichkeit“, erklärt der 37-jährige Jérôme Guibaud aus Paris. „Fillon sagt klar, dass Opfer nötig sind, um die Wirtschaft wieder aufzurichten. Er vergleicht unsere wirtschaftliche Lage mit der in Deutschland und nimmt es als Beispiel für erfolgreiche Reformen. Außerdem hat er eine positiv patriotische Sicht der Gesellschaft. Auf Probleme mit der Integration von Ausländern hinzuweisen, hat nichts mit Rassismus zu tun.“
Die Anschuldigungen gegen den Republikaner hält der junge Business-Entwickler bei einem Start-up für gesteuert und von der Presse hoch geschrieben. Rund 30 Prozent der französischen Parlamentarier beschäftigen Familienangehörige. Fillon gehöre einem problematischen System an, doch dass er betrogen habe, sei nicht erwiesen, so Guibaud. „Ich hoffe es nicht und glaube fest an seinen Sieg.“