Die Kanzlerin baut schon mal vor. Mit der Ausbildung der kurdischen Milizen, sagt Angela Merkel, habe die Bundeswehr schon „eine ganze Menge zu tun“. Mag der Bundespräsident auch über einen Krieg sprechen, den die Islamisten dem Westen erklärt hätten: die Bereitschaft, sich an einem solchen Krieg zu beteiligen, ist in der deutschen Politik ausgesprochen gering. „Es gibt viele andere Mittel“, betont die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz an diesem Montag. Viel lieber als über das, was da auf Deutschland noch zukommen könnte, redet sie über das, was Deutschland in den vergangenen Tagen gezeigt hat: „Große Zeichen der Solidarität.“
Angela Merkel ist noch beim Treffen der Industrie- und Schwellenländer in der Türkei, als zu Hause bereits eine vorsichtige Diskussion darüber beginnt, ob zu dieser Solidarität auch eine militärische Unterstützung Frankreichs im Kampf gegen den Islamischen Staat gehören könnte – und wenn ja, in welcher Form. Die CDU-Abgeordneten Andreas Jung und Roderich Kiesewetter gehören dabei zu den wenigen, die schon etwas konkreter werden: Sie würden die Tornados der Luftwaffe gerne für Aufklärungsflüge über Syrien einsetzen.
Alles andere ist (noch?) pure Spekulation. So lange sich die französische Regierung nicht formell an die anderen Nato-Länder wende und deren Unterstützung einfordere, stelle sich diese Frage nicht, heißt es im Auswärtigen Amt. Natürlich müsse der Kampf gegen den Islamischen Staat fortgesetzt werden, hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier zuvor schon in Brüssel gesagt. „Aber alle wissen auch, dass der Kampf gegen den Terrorismus nicht militärisch gewonnen werden kann.“
Im Moment haben sich mehrere Dutzend Staaten zu einer freiwilligen Koalition zusammengeschlossen, die die Dschihadisten in Syrien und im Nordirak vor allem mit Luftangriffen unterschiedlicher Intensität zurückzudrängen versucht. Auf dem Boden bieten dem Islamischen Staat neben der syrischen und der irakischen Armee bisher nur die kurdischen Peschmerga-Milizen Paroli, denen die Bundeswehr aus ihren Beständen Sturmgewehre, Panzerabwehrwaffen, Handgranaten, Gefechtshelme, Feldküchen und vieles mehr geliefert hat, was eine Armee im Einsatz so benötigt.
Dazu kommen noch 98 Soldaten aus Deutschland, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit einem Mandat des Bundestages als Ausbilder in den Irak entsandt hat. Unter anderem betreiben sie in Erbil ein Trainingscamp für die Kämpfer der Peschmerga. Dass dieses Engagement noch ausgebaut werden kann, ist in der Koalition weitgehend unstrittig. Zu allen anderen Spekulationen sagt die Kanzlerin nur vorsichtig, sie setze auf den in Wien ausgehandelten Friedensprozess. Auf der anderen Seite aber hat sie Frankreich auch „jedwede Unterstützung“ versprochen, was immer das am Ende konkret heißen soll.
Bisher hat die Nato den sogenannten Bündnisfall erst einmal ausgerufen – nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA. Zum ersten Mal seit Kriegsende zogen damals deutsche Soladen in Afghanistan wieder in einen Kampfeinsatz. Mit den Jahren sind die Abstimmungen, in denen der Bundestag alte Afghanistan-Mandate verlängert oder neue erteilt, zwar zur Routine geworden.
Der Gedanke, die Bundeswehr in eine direkte Konfrontation mit dem Islamischen Staat zu schicken, möglicherweise gar mit Bodentruppen, behagt aber selbst Ursula von der Leyen nicht, die schon mehrfach dafür plädiert hat, Deutschland solle in internationalen Konflikten mehr Verantwortung übernehmen. Nun warnt auch die sonst so forsche CDU-Frau davor, aus den Ereignissen von Paris „vorschnelle Schlüsse“ zu ziehen.
So einfach spricht man eben nicht vom Krieg in Deutschland. Jahrelang tat sich die Bundesrepublik schwer, den Konflikt in Afghanistan als Krieg zu bezeichnen. Da hatten schon ein paar Dutzend Bundeswehr-Soldaten ihr Leben gelassen, als der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erst von „kriegsähnlichen Zuständen“ sprach und dann 2010 einräumte, man könne „umgangssprachlich von Krieg reden“.
Keine zwei Tage nach den Terroranschlägen von Paris mit etwa 130 Toten nimmt Bundespräsident Joachim Gauck das K-Wort in den Mund. „Wir leben in Zeiten, in denen wir Opfer einer neuen Art von Krieg beklagen“, sagte er bei der Gedenkstunde zum Volkstrauertag im Bundestag. Gauck meinte wohl vor allem die terroristische Bedrohung insgesamt seit dem 11. September 2001, aber eben unter dem Eindruck der Pariser Anschläge, zu denen sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannt hat.
Man kann davon ausgehen, dass Gauck das Wort Krieg mit Bedacht wählte. Seine Rede vor der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar 2014 ist noch in guter Erinnerung, als er eine verantwortliche deutsche Politik in der Welt forderte – nicht zuerst und nicht in erster Linie militärisch, aber, falls es notwendig ist, eben auch.
Es ist vor allem ein Akt der Solidarität mit Frankreich, dass sich am Montag auch die Bundesregierung den Worten des französischen Präsidenten François Hollande und seines Premiers Manuel Valls anschloss. „Ja, wir sind im Krieg“, hatte dieser am Samstag gesagt. Und „umgangssprachlich“ könne man von Krieg reden, sagte jetzt denn auch Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz wie einst zu Guttenberg.
Kritiker wie der Terrorexperte Peter Neumann zweifeln daran, ob diese Wortwahl hilfreich ist. Er hat in einem Interview mit dieser Redaktion erklärt, die Polarisierung zwischen dem IS, der sich als Kämpfer für den Islam verstehe, und dem Westen, den der IS als Feind sehe, werde durch die Kriegsrhetorik noch verstärkt. Auch die Grünen-Sicherheitspolitikerin Agnieszka Brugger sagt: „Das Wort Krieg ist hier nicht nur rechtlich falsch. Der jahrelange Antiterrorkampf des Westens hat die Gewalt auch immer wieder angeheizt.“
Heißt von Krieg sprechen auch, die Menschen vorzubereiten auf das, was vielleicht kommt? Stephan Hensell von der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) der Universität Hamburg sieht eine erkennbare Absicht hinter der Wortwahl: „Wie man das nennt, darüber kann man wissenschaftlich debattieren. Aber das politisch als Krieg zu bezeichnen dient eindeutig dazu, den ganzen verfügbaren militärischen Apparat zu mobilisieren.“
Krieg und Terrorismus seien unterschiedliche Phänomene, sagt Hensell. „Es gibt den Krieg in Syrien, es gibt die IS-Miliz, die ihr Territorium im Irak und in Syrien konsolidiert hat, und dann gibt es lose Verbindungen zu Gewaltakteuren in Europa.“ Die AKUF hat eine Typologie der Kriege entwickelt von A wie Antiregime-Kriege bis zu E wie sonstige Kriege. Der Konflikt mit der Terrormiliz IS fällt wohl nicht einmal unter den letzten Punkt.
Wissenschaftlich betrachtet geht es eher um einen asymmetrischen Konflikt. Der Politologe Herfried Münkler hat diesen Begriff vor allem auf den Krieg in Afghanistan angewendet: „Angriffe mit satellitengesteuerten Marschflugkörpern oder unbemannten Kampfdrohnen sind ebenso asymmetrisch wie Angriffe aus dem Hinterhalt, bei denen Sprengfallen gezündet werden oder die Zivilbevölkerung als Deckung benutzt wird“, schrieb er im „Spiegel“.
Dabei stehe Asymmetrie nicht nur für die Kampfweise von Partisanen, sondern auch für die technologische und organisatorische Überlegenheit einer Seite. „Was dem einen die ferngesteuerte Kampfdrohne, ist dem anderen der Selbstmordattentäter“, schreibt Münkler.
„Krieg gegen den Terror“, seit dem 11. September 2001, seit dem darauffolgenden Krieg in Afghanistan und im Irak, seit den Bombenanschlägen von Madrid und London und jetzt von Paris. Manchmal ist von „neuen Kriegen“ die Rede: Sie werden zum gesellschaftlichen Dauerzustand, ohne absehbares Ende, ohne Entscheidungsschlacht. Und auch der Terror von Paris ist sicher nicht das Ende. Militärisch sind diese Konflikte bisher nicht zu gewinnen gewesen, der US-Einsatz im Irak hat es gezeigt. Aber wie sonst, wenn nicht militärisch, ist auch nicht klar. Ob man nun von Krieg spricht oder nicht.