Einen Tag nach Israels Luftangriff auf Waffendepots in Syrien war Jerusalem bemüht, die Lage zu beruhigen. Damaskus hingegen drohte mit Krieg. Doch die wichtigsten Konsequenzen des Angriffs dürften in Washington zu spüren sein. Dort wächst der Druck auf Präsident Barack Obama, sich Israels Aktivismus zu Herzen zu nehmen.
Die Reise war als leicht verständliches Zeichen der Beruhigung gedacht: Nur wenige Stunden nachdem ein israelischer Luftangriff auf syrische Waffendepots die Hauptstadt Damaskus erschütterte, bestieg Premier Benjamin Netanjahu ein Flugzeug Richtung China: „Ich weiß, was ihr von mir wollt“, sagte er den mitreisenden Journalisten, die auf einen erhellenden Kommentar von Israels oberstem Befehlshaber warteten. „Aber ich habe nichts zu sagen.“
Zwar trafen die Behörden umfassende Sicherheitsmaßnahmen: Flüge in Nordisrael wurden bis zum 9. Mai eingestellt, zwei Raketenabwehrbatterien in die Nähe Syriens verlegt. Besorgte Israelis bestellten am Sonntag vier Mal so viele Gasmasken wie sonst üblich. Dennoch gab Netanjahu mit seinem Abflug ein klares Signal, dass er den Erfolg seiner Jagdbomber nicht öffentlich feiern wollte und auch mit keiner weiteren Eskalation rechnete.
Ähnlich verhielten sich alle offiziellen israelischen Sprecher: „Kein Kommentar“, hieß es aus dem Verteidigungsministerium. Nur eine hochrangige Quelle im Amt des Premiers erklärte angeblich dem arabischen Satellitensender Al Jazeera die neue Maulkorbstrategie: „Wir wollen Syriens Präsident Baschar Assad nicht desavouieren und so dazu zwingen, zurückzuschlagen.“ Israel stellte alle Weichen Richtung Beschwichtigung: Ein groß angelegtes Manöver wurde abgesagt. Im Gegensatz zu den Tageszeitungen, die Israels „Raketenvernichter“ in großen Lettern feierten, traten führende Politiker ungewohnt bescheiden auf und äußerten keine Drohungen mehr gegenüber Damaskus. Geheimdienstquellen ließen an israelische Medien durchsickern, die Attacken hätten sich ausschließlich gegen Ziele der libanesischen Hisbollah-Miliz gerichtet. Assad solle sich deswegen nicht angegriffen fühlen.
Völlig anders war die Stimmung in der arabischen Welt. Die Arabische Liga verurteilt Israels Angriff als „gefährliche Verletzung der Souveränität eines arabischen Staates.“ Selbst die Rebellen, die auf Leben und Tod gegen Assad ringen, prangerten Israels Angriff an: Er habe „dem Regime die Gelegenheit gegeben, von seinen Massakern in der Küstenregion abzulenken. Im Schatten der Angriffe könnte das Regime weitere Verbrechen begehen.“ Andere Oppositionssprecher sagten, sie seien von Israels Angriff enttäuscht, weil er nicht auch Assads Präsidentenpalast in Schutt und Asche gelegt habe.
Einen Tag nach den israelischen Bombenangriffen auf syrische Militäreinrichtungen haben Vertreter der Vereinten Nationen mit widersprüchlichen Behauptungen über einen möglichen Giftgaseinsatz durch syrische Aufständische Verwirrung gestiftet. Zunächst hatte die UN-Ermittlerin und frühere Chefanklägerin beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, Carla del Ponte, im Schweizer Fernsehen erklärt, es gebe „einen sehr starken, konkreten Verdacht, wenn auch noch keine unwiderlegbaren Beweise“, dass Sarin von Rebellen, nicht jedoch von dem Regime eingesetzt worden sei. Die prominente Juristin berief sich dabei auf Aussagen von Ärzten und Opfern, die die UN-Sonderkommission zur Menschenrechtslage in Syrien in den benachbarten Staaten Türkei und Libanon befragt hat.
Am Montagnachmittag jedoch ging die UN-Sonderkommission dann zu ihrem Mitglied del Ponte öffentlich auf Distanz und ließ erklären, es gebe „keine beweiskräftigen Ermittlungsergebnisse für einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien durch irgendeine der an dem Konflikt beteiligten Parteien“. Daher sei die Kommission derzeit nicht in der Lage, solche Behauptungen weiter zu kommentieren. Auch del Ponte hatte betont, die Untersuchungen müssten noch „vertieft“ werden, und nicht ausgeschlossen, dass weitere Befragungen auch Beweise für einen Giftgaseinsatz durch die syrische Armee zutage fördern könnten. Bisher verweigert das Assad-Regime einer offiziellen Delegation von UN-Waffenexperten die Einreise und eine genaue Untersuchung vor Ort.
Giftstoff Sarin
Das Nervengas Sarin zählt zu den giftigsten Kampfstoffen, die je hergestellt wurden. Die Phosphorverbindung wird durch Einatmen und über die Haut aufgenommen. Schon ein Milligramm Sarin kann in Minuten zu Atemlähmung und Herzstillstand führen.
Entwickelt wurde das Gas Ende der 1930er Jahre von deutschen Chemikern als Insektenvernichtungsmittel. Im Zweiten Weltkrieg wurde es als Kampfstoff produziert, aber nicht eingesetzt.
Heute verfügen die Streitkräfte vieler Länder über Sarin. Das Institut für Strategische Studien in London geht davon aus, dass Syrien seit den 1970er Jahren große Mengen Chemiewaffen produziert hat, darunter auch Sarin. Sein Arsenal gilt als das größte der Region und das viertgrößte weltweit. Sicherheitsexperten befürchten, dass das Giftgas von dort in die Hände von Terroristen gelangen könnte.
Bereits 1995 war Sarin bei einem Anschlag in Japan eingesetzt worden. Die Aum-Sekte tötete damals mit dem Gas in Tokios U-Bahn zwölf Menschen, Tausende wurden verletzt. Text: dpa