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JERUSALEM
Isoliert – die Hamas steht am Abgrund
Straßenkämpfe: Die radikalislamische Hamas ist enttäuscht über die fehlende Unterstützung in der arabischen Welt.
Foto: Abbas Momani, afp | Straßenkämpfe: Die radikalislamische Hamas ist enttäuscht über die fehlende Unterstützung in der arabischen Welt.
Gil Yaron
 |  aktualisiert: 20.07.2014 19:05 Uhr

Wie immer, wenn der Kampf in Gaza eskaliert, gehen Muslime in aller Welt auf die Straßen, um ihre Solidarität mit den Palästinensern und ihre Wut auf Israel zu demonstrieren. In Jordanien forderten Hunderte den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Jerusalem. In der Türkei waren die Proteste so heftig, dass Israel die Familien seiner Diplomaten abzog. Doch für die Hamas kann das nicht mehr als ein Trostpflaster sein. Sie ist über die Reaktionen in der arabischen Welt entsetzt – oder eher über das Fehlen jeglicher Reaktion.

Denn längst ist nicht mehr alles beim Alten, im Gegenteil: „Die arabische Welt hat uns verraten“, klagte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri: „Wir sind doch nicht ein Teil Chinas, sondern der arabischen Welt!“ Doch die, so Abu Suhri, „unternimmt nichts, um Gaza zu retten“. Die Araber ließen die Palästinenser „in diesem Krieg völlig allein“.

„Verrat“ der arabischen Welt

Dabei wäre es der Hamas in vielen Fällen wahrscheinlich lieber, man ignorierte sie: Wenn sie schon von den Führungen Arabiens erwähnt wird, dann nur, um den Islamisten die gesamte Schuld für die Eskalation in Gaza zuzuschieben. Oder gar dazu, sich unverhohlen einen Sieg Israels herbeizuwünschen. Ausgerechnet im Staat, der für die Hamas die wichtigste Rolle spielt, ist der Zorn auf die palästinensische Zweigstelle der Muslimbrüder besonders groß. Seit Ägyptens Armee vor einem Jahr die Muslimbrüder in Kairo stürzte und stattdessen den General Abdel Fatah al Sisi an die Staatsspitze stellte, gelten die Islamisten und alle ihre Verbündeten als Staatsfeinde. Zwar wird Israels Vorgehen in Gaza in den Medien scharf kritisiert. Dennoch machte die Tageszeitung „Al Wad“ am Freitag allein die Hamas für die Eskalation in Gaza verantwortlich – weil sie Kairos Initiative für eine Waffenruhe ausgeschlagen hatte.

Die Zeitung „Al Hayat“ ging sogar noch weiter und warf der Hamas vor, sie stärke Israels Hardliner durch ihren eigenen Extremismus, leiste damit dem Siedlungsbau Vorschub und mache so die Zwei-Staaten-Lösung unmöglich. Und Ägyptens Außenminister Sameh Schukri meinte, die Hamas hätte viele palästinensische Menschenleben retten können, „wenn sie nur unser Angebot angenommen hätte“. Der bewaffnete Arm der Hamas bezeichnete Ägyptens Vorschlag jedoch als „Kapitulation“, weil er die wichtigsten Forderungen der Islamisten ignoriert und weil er vorsieht, dem politischen Erzrivalen, der pragmatischen Fatah, wieder eine Schlüsselrolle zu geben.

Ägypten zürnt

Schließlich begnügt man sich in Ägyptens regimetreuer Presse längst nicht mehr nur mit Schuldzuweisungen. Die Kommentatorin Hayat Al Dardiri ließ sich im ägyptischen Fernsehsender al Farain zum Aufruf hinreißen, Ägyptens Armee möge Israel beim Angriff auf Gaza helfen um die Hamas zu zerstören: „Wir werden nicht vergessen, wie die Hamas unserer Sicherheit geschadet hat und während der Revolution gegen Mubarak half, in unsere Gefängnisse einbrach, um Häftlinge auf freien Fuß zu setzen“, sagte sie.

In Ägyptens wichtigster Tageszeitung „Al Ahram“ stimmte Azza Sami sogar eine Lobeshymne auf Israels Premier an: „Danke Dir Netanjahu, und möge Gott uns mehr Menschen wie Dich schenken, um die Hamas zu vernichten!“ Ägyptens Zorn ist weit mehr als nur die Retourkutsche dafür, dass die Hamas den in Kairo ausgearbeiteten Waffenstillstand ablehnte und Sisi damit desavouierte.

Sisi hat zudem gemeinsame Interessen mit Israel. Schon bald könnte Ägypten, das vor der Revolution noch Gas an Jordanien und Israel verkaufte, von israelischen Erdgaslieferungen abhängig werden. Ganz zu schweigen davon, dass Kairo die Hamas für die prekäre Sicherheitslage im Sinai mitverantwortlich macht.

Und es gibt noch eine regionale Komponente: Die arabische Haltung zu den Islamisten spiegelt den umfassenden Machtkampf in der gesamten Region wider. Egal ob in Ägypten, Jordanien oder Saudi-Arabien: Überall außer in Katar ringen sogenannte moderate Regime gegen eine eigene Muslimbruderschaft.

Das Ansehen der Hamas hat einen historischen Tiefpunkt erreicht, den sie durch falsches Paktieren selbst mitverschuldet hat. Vor Beginn des Arabischen Frühlings galt sie als Vertreterin der Achse des Widerstands – eine populäre, authentische lokale Alternative zu korrupten Regimen, die vom Westen gestützt wurden. Ihr Hauptquartier war in Damaskus, Geld und Waffen kamen aus dem Iran und aus den tiefen Taschen reicher Scheichs am Persischen Golf.

Doch der Bürgerkrieg in Syrien machte es der volksnahen Bewegung unmöglich, im Boot des zunehmend verhassten Baschar al Assad zu bleiben. Der massakrierte nämlich nicht nur sein eigenes Volk, sondern war auch noch Vasall des schiitischen Irans, der von sunnitischen Arabern ebenfalls immer mehr als Fremdmacht angesehen wurde. Also brach Hamasführer Khaled Maschal seine Zelte in Syrien ab und zog nach Katar. Ohnehin baute er darauf, dass der Schutzschirm Syriens und des Irans bald durch einen viel besseren Patron ersetzt werden würde: durch Arabiens größten Staat – Ägypten. Hier übernahm die Muslimbruderschaft, die Mutterorganisation der Hamas, die Macht.

Keine Freunde

Doch der Armeeputsch in Kairo vergangenen Sommer machte Maschal einen Strich durch die Rechnung. Zum ersten Mal wurden fast alle Schmugglertunnel zwischen dem Sinai und Gaza geschlossen – und damit die militärische und wirtschaftliche Lebensader der Hamas gekappt. Außer Katar und der Türkei steht nun fast niemand mehr zu ihnen. Selbst die radikalislamische Terrororganisation IS lehnt die direkte Unterstützung der Hamas mit recht eigenwilligen Argumenten ab: Es sei ihr erstes Ziel, Muslime zu bekämpfen, die vom rechten Weg abgekommen seien. Außerdem habe sie noch keine göttliche Inspiration erhalten, um Juden zu bekämpfen.

Israels Offensiven in Gaza

Juni 2006: Die Aktion zur Befreiung des entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit trägt den Namen „Sommerregen“. Truppen dringen in den südlichen Gazastreifen ein, bombardieren unter anderem Brücken und ein Elektrizitätswerk. Im Juli kommt es zum Libanon-Krieg. Schalit ist erst im Oktober 2011 wieder frei – im Gegenzug werden mehrere hundert palästinensische Gefangene ausgetauscht. November 2006: Das Militär geht mit Luftangriffen und Bodentruppen gegen militante Gruppen vor, die Israel mit Raketen beschießen. Die Operation dauert sechs Tage. Januar 2009: Nach Luftangriffen auf Hamas-Einrichtungen beginnt Israel die Operation „Gegossenes Blei“: Der Beschuss von Gaza aus soll unterbunden werden. Vom 27. Dezember bis 3. Januar schlagen über 450 Raketen in Israel auf israelischem Boden ein. Bis zur Waffenruhe ab 18. Januar sterben palästinensischen Quellen zufolge mindestens 1310 Palästinenser. Text: dpa

 
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