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PARIS/BERLIN
Islamische Welt erneut empört
Anhaltende Proteste gegen das Schmähvideo: Studenten verbrennen in Peschawar eine US-Flagge. Pakistans Regierung hat den kommenden Freitag zum Nationalfeiertag zu Ehren des Propheten Mohammed erklärt. Der Feiertag soll zu friedlichen Kundgebungen genutzt werden.
Foto: rtr | Anhaltende Proteste gegen das Schmähvideo: Studenten verbrennen in Peschawar eine US-Flagge. Pakistans Regierung hat den kommenden Freitag zum Nationalfeiertag zu Ehren des Propheten Mohammed erklärt.

Von Ansgar Haase, Anja Semmelroch

und Nike Bodenbach

 |  aktualisiert: 19.09.2012 19:54 Uhr

Das Pariser Satire-Blatt „Charlie Hebdo“ fordert die islamische Welt heraus: Seitenweise derbe Mohammed-Karikaturen lassen Frankreich und den Westen insgesamt vor neuen antiwestlichen Unruhen zittern, nachdem schon das islamfeindliche Mohammed-Video für gewalttätige Massenproteste gesorgt hatte.

Strenggläubige Muslime empfinden bereits Filme oder Karikaturen als anstößig, die den Propheten Mohammed als Person zeigen. Mohammed-Karikaturen hatten daher schon mehrfach Unruhen in der islamischen Welt ausgelöst. Anfang 2006 kamen dabei mehr als 150 Menschen ums Leben. Auslöser waren damals Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) kündigte an, die nach einem Angriff vom Freitag geschlossene deutsche Botschaft im Sudan vorerst nicht wieder zu öffnen. Auch für andere deutsche Vertretungen seien die Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden.

Westerwelle sagte: „Nicht der ist der größere Freigeist, der jetzt auch noch absichtlich und mit erkennbarer Wirkung Öl ins Feuer gießen will.“ Der Chefredakteur des deutschen Satire-Magazins „Titanic“, Leo Fischer, sprang den Pariser Kollegen hingegen zur Seite. Die Veröffentlichung sei „absolut gerechtfertigt“.

Auch das ausschnittsweise auf dem Internetportal YouTube veröffentlichte Mohammed-Schmähvideo sorgte weiter für Aufruhr. In der ostafghanischen Provinz Nangarhar protestierten etwa 400 Studenten, sie riefen antiamerikanische Parolen. König Abdullah von Saudi-Arabien drohte, im gesamten Königreich den Zugang zu YouTube zu sperren, sollte die Internet-Suchmaschine Google weiter Links zu dem Video anbieten.

In Deutschland wird weiter über rechtliche Konsequenzen diskutiert. Die Bundesregierung will den sogenannten Gotteslästerungs-Paragrafen 166 im Strafgesetzbuch aber unverändert lassen. Unter anderem aus der schwarz-gelben Koalition hatte es Forderungen gegeben, die Verunglimpfung religiöser Gefühle schärfer zu bestrafen.

Unter stärkeren Druck gerät auch die internationale Schutztruppe ISAF in Afghanistan. Sie sieht sich wegen der wachsenden Bedrohung durch „Insider-Angriffe“ und durch das islamfeindliche Mohammed-Video gezwungen, Abstriche an ihrer bisherigen Strategie vorzunehmen. Sie teilte mit, dass die Zusammenarbeit mit afghanischen Sicherheitskräften eingeschränkt werde, um die Soldaten zu schützen.

Von einer gewachsenen Bedrohung in Afghanistan nach der Veröffentlichung des islamfeindlichen Schmähfilms berichtet auch Luise Müller (Name von der Redaktion geändert) aus dem Raum Main-Spessart. Ihr Mann ist derzeit für die Bundeswehr in Afghanistan, ihren Namen will sie aus Angst vor möglichen Angriffen radikaler Islamisten nicht in der Zeitung lesen.

„Die Männer sind Zielscheiben vor Ort“, sagt Müller. Sobald die Sonne untergehe, würden die Camps der Soldaten angegriffen, empörte Afghanen „schmeißen alles, was sie finden, auf die Lager“, berichtet die Frau von Telefonaten mit ihrem Mann. Die Soldaten könnten sich nicht mehr so frei bewegen wie vor der Protestwelle, die große Teile der arabischen Welt erfasst hat. Luise Müller ist sehr in Sorge, hat quasi rund um die Uhr den Fernseher laufen.

Empört ist Müller über die Debatte, ob die rechtsextreme Splitterpartei Pro Deutschland den Anti-Islam-Film in einem Berliner Kino aufführen darf. Von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maiziere „hätte ich mir eine ganz klare Position gegen eine öffentliche Aufführung erwartet.“ Um die Soldaten im Auslandseinsatz zu schützen, müsse eine Kinovorführung mit allen Mitteln verhindert werden. „Die Gefahr für unsere Männer und Frauen im Einsatz geht in der Diskussion vollkommen unter“, klagt Müller.

• Auslandsreport

Gotteslästerung

Der Koran definiert Gotteslästerung nicht, ein Blasphemieverbot ist nach Meinung der Expertin Gudrun Krämer aber Kernbestand islamischer Tradition. Und das sei letztlich, worauf es ankomme, sagt die Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

In der islamischen Tradition reiche Blasphemie von der respektlosen Nennung des Namens – zum Beispiel, wenn man ein Tier Mohammed nenne – bis zur Schmähung durch Karikaturen. Dass man Gott nicht abbilden dürfe, stehe auch nicht im Koran, sei aber eine Annahme aller vorderorientalischen Religionen, egal ob Islam, Christentum oder Judentum.

Die Überzeugung, dass man sich über alles lustig machen dürfe, komme aus der westlichen, nicht aus der islamischen Kultur. „Warum soll es auch eine Selbstverständlichkeit sein, sich nicht zu ereifern, wenn das angegriffen wird, was man selber für heilig hält, solange dies nicht mit Gewalt geschieht?“, fragte Krämer. Es müssten ja nicht alle Menschen gleich ticken.

 
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