Für den Iran steht viel auf dem Spiel. Der Giftgasangriff in Syrien zwingt den frisch gewählten Präsidenten Hassan Rowhani bereits drei Wochen nach seinem Amtsantritt zu einer delikaten Gratwanderung. Seit mehr als drei Jahrzehnten ist Syrien der engste Verbündete der Islamischen Republik in der arabischen Welt, ein Pakt, der bis in die Zeiten des irakisch-iranischen Krieges zurückreicht.
Damals, in den 1980er Jahren, war die iranische Bevölkerung mit stillschweigender Billigung Washingtons selbst Opfer von Giftgasangriffen durch Saddam Hussein. Mehr als 100 000 Soldaten und Zivilisten erlebten diesen Horror, Tausende starben, nach Angaben der Veteranenverbände leiden immer noch 48 400 Iraner an den Spätfolgen der irakischen Nervengase.
„Wir verurteilen absolut und entschieden jeglichen Einsatz von Chemiewaffen in Syrien“, twitterte dann auch Hassan Rowhani und rief die internationale Gemeinschaft auf, sie müsse alles in ihrer Macht Stehende tun, „um den Einsatz solcher Waffen zu unterbinden“. Außenminister Mohammad Javad Zarif jedoch warnte den Westen vor jeder „präventiven Aktion gegen Chemiewaffen“, solange die Verantwortlichen nicht eindeutig ermittelt seien.
Dagegen erklärte der Oberste Revolutionsführer Ali Khamenei, jede Intervention der Vereinigten Staaten in der Region werde in einer Katastrophe münden, ließ aber gleichzeitig über Twitter das Foto eines iranischen Giftgasopfers verbreiten. Denn die Führung weiß, ihre Nibelungentreue zu Baschar al-Assad wird bei der eigenen Bevölkerung immer unpopulärer, zumal die Indizien für eine Täterschaft des Regimes in Damaskus wachsen.
So räumt man in der politischen Umgebung von Rowhani inzwischen offen ein, Syrien sei ein Haupthindernis für die angestrebte Neujustierung der iranischen Politik. Denn der neue Präsident will nicht nur den autoritären Druck im Inneren lockern, sondern auch das Verhältnis zu den USA und Europa sowie zur Türkei und zu Saudi-Arabien entspannen.
Den Vereinigten Staaten bieten diese iranischen Ansinnen einen doppelten diplomatischen Nutzen – das Weiße Haus könnte das brisante Atomthema entspannen, Irans konstruktive Beteiligung an einer regionalen politischen Lösung für Syrien einwerben und so das momentan aussichtslos verkrampfte Verhältnis zu Russland teilweise umgehen. Anfang der Woche erschien überraschend Jeffrey Feltman in Teheran, Vizegeneralsekretär für Politische Angelegenheiten bei den Vereinten Nationen, zuvor langjähriger Staatssekretär im US-Außenministerium und US-Botschafter im Libanon. Feltman ist damit der erste US-Spitzendiplomat seit Jahren, der in Teheran mit der iranischen Führung zu direkten Gesprächen zusammentrifft. Washington begleitete diese Premiere mit der Botschaft, Ziel einer möglichen militärischen Intervention sei es, den Einsatz von Giftgas zu ahnden, nicht aber das Assad-Regime zu stürzen. „Wir sind überzeugt, eine Lösung dieses Konflikts ist nur durch politische Verhandlungen und Übereinkommen möglich“, erklärte Jay Carney, Sprecher von Präsident Barack Obama.
So versuchte Feltman bei seinem Besuch vor allem auf zwei Dinge hinzuwirken – die Islamische Republik von einer kriegerischen Reaktion auf einen westlichen Militärschlag abzuhalten und sie für eine aktive Beteiligung an der zweiten Syrienkonferenz in Genf zu gewinnen, die möglicherweise im Oktober stattfindet. Der Iran habe bei seinem Einfluss in der Region eine wichtige Rolle und Verantwortung, die syrischen Kontrahenten an den Verhandlungstisch zu bringen, erklärte sein Sprecher.