Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) hat gerade ein besonders grausames Hinrichtungsvideo veröffentlicht. Es zeigt, wie ein jordanischer Pilot bei lebendigem Leibe verbrannt wird. Der bekannte Berliner Terrorexperte Guido Steinberg ist davon überzeugt, dass hinter der Veröffentlichung dieser Videos Strategie steckt.
Guido Steinberg: Diese Videos sind eine gezielte Provokation mit einem klaren Kalkül. Dahinter steht die Absicht, die Gegner des IS, alle Gegner, nicht nur die Jordanier, sondern auch die Amerikaner, die Franzosen, zu zwingen, den Kampf am Boden auszutragen – der besseren Erfolgschancen wegen.
Steinberg: Ja, ich denke, dass die Chancen des IS dadurch besser sehr viel besser würden. Es zeigt sich doch, dass die Luftschläge, obwohl sie nur begrenzt effektiv sind, wahrscheinlich Tausende von IS-Kämpfern getötet haben. Gegen Luftschläge kann sich der IS nicht wehren. Andererseits hat er in den letzten zwölf Jahren bewiesen, dass er im Guerilla-Kampf gegen US-Truppen durchaus bestehen kann. Und es interessiert die Organisation ja nicht, wie viele der eigenen Kämpfer am Boden zu Tode kämen. Insofern ist das Kalkül, durch gezielt eingesetzte Gräueltaten den Westen zur Verlagerung des Kampfs von der Luft auf den Boden zu veranlassen, durchaus logisch.
Steinberg: Die Religiosität der IS-Führung und ihrer Mitglieder muss ernst genommen werden. Die Organisation ist davon überzeugt, dass sie alle Feinde ihrer Islaminterpretation zur gleichen Zeit bekämpfen muss – die Amerikaner, die Europäer, die Israelis, die Saudis, die Syrer. Also Christen, Juden, Drusen, Alewiten, Schiiten. Diese Handlungsweise kann man nur dadurch erklären, dass der IS tatsächlich die reine salafistische Lehre anwenden will. Da handelt es sich nun nicht um eine strategische Vorgehensweise. Vielmehr ist es der Weg, der letztlich zur Zerstörung der Organisation führen wird.
Im Moment profitiert der IS davon, dass der irakische Staat sehr schwach ist und der syrische Staat zusammengebrochen ist. Aber die Organisation hat schon 2007 den Kampf im Irak verloren, weil sie nicht nur die Amerikaner bekämpft hat, sondern auch die Schiiten und dazu noch nicht-dschihadistische, sunnitische Aufständische. Damit trägt IS langfristig die Wurzeln der Selbstzerstörung in seiner Ideologie und Strategie mit sich.
Steinberg: Das stimmt. Viele Führer der Organisation sind sich des Problems bewusst. Aber sie wählen aus ideologischen Gründen trotzdem den Kampf gegen die ganze Welt.
Steinberg: Das halte ich schon für einen sehr guten Schritt. Wichtig ist jetzt, die Nachbarstaaten zu stabilisieren: Die Türken brauchen sicher keine militärische Hilfe, die Kurden aber benötigen sie, und die irakische Regierung könnte sie bekommen, sofern sie ihre Politik ändert gegenüber den Sunniten. Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, wie sehr Jordanien gefährdet ist: Jordanien ist militärisch sehr viel stärker als der Irak, hat aber eine sehr große dschihadistische Szene, hat viele Kämpfer beim IS, aber auch bei anderen Gruppen.
Steinberg: Jordanische Delegationen waren in letzter Zeit sehr häufig in Berlin. Ich glaube, dass die Jordanier Hilfe bei der Grenzsicherung brauchen. Deutschland ist da kompetent: Deutsche Firmen reorganisieren mit Unterstützung durch die deutsche Bundespolizei gerade die gesamte Grenzsicherung Saudi-Arabiens. Außerdem geht es tatsächlich auch um Hilfen bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die in sehr großer Zahl in Jordanien ankommen – was Jordaniens Stabilität nicht gerade fördert. Wenn wir jetzt aber von robuster militärischer Hilfe sprechen, dann sind es die irakischen Kurden, die diese am dringendsten brauchen.
Steinberg: Wir müssen uns darüber klar sein, dass es eine defensive Hilfe ist. Die Kurden sind den sunnitischen Arabern im Nordirak und auch in Syrien verhasst. Deswegen können die kurdischen Peschmerga beispielsweise eine Stadt wie Mossul nicht erfolgreich einnehmen. Sie können nur im Ostteil der Stadt erfolgreich agieren; diese Teile sind kurdisch besiedelt. Hinzu kommt, dass die von uns unterstützten Kurden keine einheitliche Armee sind, sondern die Milizen zweier konkurrierender Parteien – der des Kurdenpräsidenten Barzani und der des ehemaligen irakischen Präsidenten Talabani, der auch ein Kurde ist. Wenn wir ihnen Waffen liefern, müssen wir parallel darauf achten, dass sie gemeinsam einheitliche irakisch-kurdische Sicherheitskräfte aufbauen, um auszuschließen, dass sich diese Gruppen in fünf Jahren mit unseren Waffen gegenseitig bekämpfen.
Steinberg: Nein, das nicht – ich halte sie für militärisch zu schwach. Die Amerikaner müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie den Kampf im Irak nur gewinnen können, wenn sie sich die Unterstützung sunnitischer Araber sichern können. Die Kurden allein können den Kampf nicht gewinnen, egal, wie viel Unterstützung sie bekommen.
Steinberg: Ja, ich fürchte, das wird nicht oder kaum funktionieren. Die Amerikaner haben da eine ausgeklügelte Strategie entwickelt; sie versuchen, eine Nationalgarde aufzubauen, in der vor allem irakische Sunniten kämpfen sollen. Allerdings wäre der Aufbau dieser Truppe von einer Politikänderung in Bagdad abhängig – in Bagdad herrscht ja eine schiitische Regierung, die alles getan hat, um Sunniten zu verfolgen. Sunniten verfolgt Bagdad noch immer; die Politik dort hat sich nicht geändert. Ohne eine Politikänderung werden sunnitische Araber aber nicht gegen den IS kämpfen; und ohne deren Beteiligung sind die militärischen Pläne der Amerikaner nicht Erfolg versprechend, ist das Scheitern wahrscheinlich.
Steinberg: Ja. Die arabischen Sunniten mögen den IS nicht, aber die schiitische Regierung hassen sie noch sehr viel mehr. Die Sunniten aktiv in die Politik der schiitischen Regierung einzubinden, wäre der wichtigste Schritt in einer effektiven Bekämpfung des IS. Das wissen die Amerikaner; aber sie haben kein Druckmittel.
Steinberg: Nein, überhaupt nicht. Von dem IS wird immer noch ein riesiges Territorium beherrscht.
Steinberg: Der Bürgerkrieg in Syrien wird noch Jahre andauern – und all die Jahre wird der IS in Syrien sehr gute Operationsbedingungen haben. Mit der Folge, dass möglicherweise Nachbarländer destabilisiert werden, dort die Versorgungslage katastrophal wird und der Flüchtlingsstrom nach Europa größer.
Steinberg: Mit solchen Anschlägen müssen wir jederzeit in allen westlichen Ländern rechnen, in denen es viele Dschihadisten gibt. De facto kann man die Anschläge in Paris ja auch als Teil einer richtigen Serie sehen. Paris war ja kein Einzelfall. Zuvor ereignete sich der Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel im April 2014, gab es zwei kleinere Anschläge mit IS-Bezug im kanadischen Ottawa, gab es die Geiselnahme im australischen Sydney. Und nicht nur der IS ist die Gefahr, sondern auch El Kaida.
Steinberg: Deutsche Nachrichtendienste brauchen modernere Überwachungstechnik und mehr Observationsteams; das bedeutet letztlich: mehr Geld und mehr Personal. Wenn es um Anschlagsgefahren geht, fokussiert sich die Diskussion in Deutschland merkwürdigerweise immer auf die Polizei und wenig auf die Nachrichtendienste. Dabei sollte es doch eigentlich darum gehen, möglichst frühzeitig zu erkennen, wer denn da handelt. Die Dienste deshalb zu stärken, ist sinnvoll, wenn man gleichzeitig die parlamentarische Kontrolle ausbaut. Grundsätzlich wäre es vorteilhaft, wenn sich unsere bundesdeutsche Haltung gegenüber den Nachrichtendiensten ändern würde. Historisch bedingt gibt es in Deutschland seit 1945 ein starkes Interesse dran, Nachrichtendienste sehr schwach zu halten – weil die Deutschen die Gefahr des Missbrauchs der Dienste natürlich kennen. Angesichts der islamistischen Gefahr kann sich Deutschland schwache Nachrichtendienste nicht mehr leisten.
Steinberg: Da beschreiben Sie ein großes Dilemma, auf das unsere Politik noch keine Antwort hat. Ich denke tatsächlich, dass man diese Leute im Land behalten muss. Sonst kann es dazu kommen, dass, wie in den letzten Monaten geschehen, sich deutsche Dschihadisten im Irak in die Luft sprengen bei Selbstmordattentaten gegen die Kurden, die wir wiederum mit Waffen unterstützen. Und dann muss sich unsere Politik von den Partnern in Bagdad oder Erbil fragen lassen, warum sie nicht in der Lage ist, diese jungen Leute an der Ausreise zu hindern. Ich denke, Dschihadisten im Land sind unser Problem. Wir können es nicht den Irakern überlassen. Allerdings müssten wir dann gewährleisten, dass die rund 1000 bis 2000 militanten Islamisten im Land keine Anschläge unternehmen – und diese Gewähr gibt es nicht.
Zur Person: Guido Steinberg
Der Islamwissenschaftler (46) ist Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. 2001 bis 2005 arbeitete er als Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Seit 2006 fungiert er als Gutachter in vielen deutschen Verfahren gegen islamistische Terroristen vor Gericht. Sein neues Buch „Kalifat des Schreckens – IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror“ erscheint Anfang März.