Was als Befreiungsschlag gegen die Tyrannei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Sirte gedacht war, endete für die Bewohner von Muammar al-Gaddafis Geburtsstadt am Wochenende in einer Katastrophe. Fünf Tage dauerten die Gefechte, die vor allem von Angehörigen des Ferjani-Stammes getragen wurden, dann war die Rebellion mit Gewalt niedergeschlagen. Zahlreiche Aufständische wurden an Metallgerüsten gekreuzigt.
22 Verletzte richteten IS-Kommandos in ihren Betten hin und steckten anschließend das Lazarett in Brand. Nahe einer Schule wurden zwölf Leichen mit abgeschlagenen Köpfen gefunden. Die schwarz vermummten IS-Kämpfer hatten die Lage in Sirte am Sonntag offenbar wieder voll im Griff. Über Moschee-Lautsprecher forderten sie alle Einwohner auf, ihrer Terrormiliz öffentlich Gefolgschaft zu schwören. Dem Ferjani-Stamm drohten sie „spektakuläre Rache“ an. Verstümmelte Leichen ihrer Gegner fuhren sie auf Lastwagen durch die Straßen. „Es ist der totale Horror“, berichtete ein junger Mann dem Sender „Libya Channel“.
Die niedergeschlagene Revolte festigt die Macht des IS in Libyen und macht Sirte nun zur neuen Terrorzentrale in Nordafrika, eine Stadt, die nur wenige Hundert Kilometer vom europäischen Festland entfernt ist. Die Zahl der Dschihadisten in Libyen ist auf mehr als 5000 gestiegen, unter denen Tunesier das größte Ausländerkontingent stellen. In dem Post-Gaddafi-Staat beherrscht der IS jetzt Sabratha im Westen, den 200 Kilometer langen Küstenabschnitt zwischen Harawa und Sirte im Zentrum sowie Teile von Benghazi im Osten. Lediglich ihre erste Hochburg in Derna verloren sie vor acht Wochen an lokale Mujaheddin, die die öffentlichen Enthauptungen und die Scharia-Willkür satthatten.
Der Aufstand in Sirte begann vor einer Woche, ausgelöst durch den IS-Mord an dem stadtbekannten Salafisten-Imam Khalid bin Rajab Ferjani. Dieser hatte sich geweigert, seine Cordoba-Moschee der Terrormiliz zu unterstellen und stattdessen den Betern gepredigt, IS-Anhänger seien keine wahren Muslime und würden den islamischen Glauben zerstören.
Die Extremisten umstellten daraufhin die Wohnviertel um die Moschee und schossen sie mit Artillerie und Panzern zusammen. Die Leiche Ferjanis holten sie aus ihrem Grab und verbrannten sie öffentlich. Nach Angaben libyscher Diplomaten verloren zwischen 150 und 200 Menschen ihr Leben.
Premierminister Abdullah Al-Thinni, Chef der international anerkannten Regierung in Tobruk, sprach von einem Massaker und beschwor die arabischen Staaten, mit Kampfflugzeugen in Sirte einzugreifen. Am Dienstag will die Arabische Liga in Kairo zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Ansonsten blieb Tobruks Regierung in dem Drama bisher genauso untätig wie ihre Rivalin, das international nicht anerkannte Islamistenregime in Tripolis. Dessen Führung ließ stattdessen 500 Soldaten auf dem Märtyrer-Platz in Tripolis paradieren, was in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung auslöste.