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DAMASKUS
Irrtümlicher US-Angriff in Syrien
Martin Gehlen
 |  aktualisiert: 30.09.2016 03:49 Uhr

Der in Genf geschlossene Waffenstillstand für Syrien hängt an einem seidenen Faden. Ein anscheinend irrtümlicher Luftangriff von US-Kampfjets auf syrische Truppen nahe der Stadt Dair as-Saur führte zu einem heftigen diplomatischen Schlagabtausch zwischen den USA und Russland.

Die im Vertrag vereinbarten humanitären Hilfstransporte für den Osten Aleppos und die übrigen 15 Hungerenklaven der Aufständischen werden vom Assad-Regime nach wie vor blockiert. An vielen anderen Orten flammten die Kämpfe in den letzten Stunden wieder auf.

Ausgelöst wurde die jüngste Krise am Samstagnachmittag durch eine Attacke von amerikanischen und australischen F-16 und A-10 Thunderboldts auf eine gepanzerte Einheit, die die Piloten für eine Kolonne des „Islamischen Staates“ hielten. Sämtliche Fahrzeuge wurden zerstört, die fliehenden Besatzungen aus der Luft beschossen. Nach russischen Angaben starben 62 syrische Soldaten und wurden über hundert verletzt.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach sogar von 90 Toten und 120 Verletzten. Es war der erste westliche Angriff auf syrische Truppen seit Beginn des Bürgerkriegs vor mehr als fünf Jahren. Auf einer kurzfristig für Samstagabend einberufenen Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates verließ Russlands UN-Botschafter Vitaly Churkin bei Ankunft seiner amerikanischen Kollegin Samantha Power demonstrativ den Saal. Er bezeichnete den US-Angriff als „ausgesprochen verdächtig“.

Die Regierungen der USA und Australiens bedauerten ihren Irrtum, der zum Verlust von Menschenleben geführt habe. Ein Sprecher des Pentagons erklärte, man habe dieses Bedauern via Russland auch an Syrien übermittelt. Die USA würden sich an die Waffenruhe halten und zugleich die Terrormiliz IS bekämpfen.

Washingtons UN-Botschafterin Power warf Churkin Effekthascherei und billige Punktemacherei vor. „Selbst nach russischen Standards ist die Nummer von heute Abend auf einzigartige Weise zynisch und scheinheilig“, erklärte sie. Die Diplomatin empört vor allem, dass Russland ausgerechnet jetzt auf eine Dringlichkeitssitzung poche, seit 2011 jedoch die unzähligen Luftangriffe des syrischen Regimes auf die eigene Bevölkerung niemals beanstandet habe.

Das US-Zentralkommando in Katar erklärte, seine Kampfflugzeuge hätten die Operation sofort abgebrochen, nachdem man von russischer Seite alarmiert worden sei. Die Situation vor Ort sei „komplex“, doch die „Koalitionskräfte würden keine syrische Einheit absichtlich angreifen“, hieß es in dem Text.

Die Stellungen der Assad-Armee liegen im Umkreis des Militärflughafens der Stadt Dair as-Saur im Osten des Landes, wo das Regime nur noch kleine Gebiete kontrolliert. Seit Wochen versuchen Dschihadisten des IS, die Berge um die Runway herum zu erobern, um startende und landende syrische Militärjets unter Feuer nehmen zu können und so den Nachschub für die eingeschlossenen Armeeteile und Wohnviertel zu kappen.

Nach Angaben aus Damaskus konnte der IS nach dem irrtümlichen US-Angriff für einige Stunden Gelände gewinnen, inzwischen habe die syrische Armee die alten Frontlinien wieder hergestellt.

Bei den humanitären Hilfslieferungen für die im Osten Aleppos eingeschlossenen rund 250 000 Menschen sowie den anderen Hungerenklaven gab es auch am Wochenende keinerlei Fortschritte. Als ein Kernpunkt war in Genf vereinbart worden, dass die syrische Armee während der zunächst siebentägigen Feuerpause den nördlichen Korridor über die Castello-Straße und den südwestlichen Zugang über das Ramouseh-Viertel räumen muss.

Stattdessen sollen russische Soldaten dort die Kontrollen an den Straßensperren übernehmen. Doch auch am siebten Tag gab es keinerlei Anzeichen, dass das Regime die Versorgungswege freigibt.

Protest gegen den Terror des IS

Die Vereinten Nationen haben die ehemalige IS-Gefangene Nadia Murad zur Sonderbotschafterin für Opfer des Menschenhandels ernannt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete die 23-jährige Jesidin, die in Baden-Württemberg Zuflucht gefunden hatte, am Freitag in New York als „kämpferische und rastlose Verfechterin des jesidischen Volkes“.

Die Irakerin habe in Händen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) unsäglichen Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen erlitten und großen Mut dabei bewiesen, nun gegen solche Verbrechen anzukämpfen, sagte Ban.

In ihrer neuen Rolle soll Murad vor allem auf das Leid der zahllosen Opfer von Menschenhandel aufmerksam machen, darunter besonders Flüchtlinge, Frauen und Mädchen. Weitere Sonderbotschafter des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) mit Sitz in Wien sind die US-Schauspieler Mia Sorvino („Geliebte Aphrodite“) und Nicolas Cage („Wild at Heart). UNODC hat eine führende Rolle in der Drogenkontrolle und kämpft zudem gegen alle Formen der organisierten Kriminalität wie Geldwäsche, Korruption und Menschenhandel.

Die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney will Murads Anliegen vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bringen und erreichen, dass die Verbrechen an den Jesidinnen als Völkermord anerkannt und die Täter verurteilt werden. dpa

 
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