So viel Einigkeit wie beim Wahlparteitag vergangene Woche in Dresden war selten bei der Linken. Entsprechend gut gelaunt präsentierte sich Klaus Ernst beim Interview mit dieser Zeitung. Der langjährige Schweinfurter Gewerkschafter zieht als einer von acht Spitzenkandidaten auf Bundesebene in den Wahlkampf, zugleich führt der 58-Jährige die bayerische Landesliste der Linken an.
Klaus Ernst: Unsere Umfragewerte schwanken, ich habe zuletzt von neun Prozent gelesen. Deutschland ist mit Sicherheit nicht sozialer geworden.
Ernst: Erstens haben wir selbst Fehler gemacht. Wir sind mit Themen unterwegs gewesen, die nicht Themen der Bürger waren.
Ernst: Also, ich gehe davon aus, dass eine Antisemitismusdebatte, wie wir sie öffentlich geführt haben, nicht dazu beiträgt, dass die Linke zunimmt. Zweitens: Immer wenn die SPD in der Opposition ist, gebärdet sie sich links. Und es gibt Leute, die ihr das abnehmen. Drittens scheint es für viele Leute so, als würde dank der Regierungspolitik die Krise in Europa an uns vorbeigehen. Aber wenn wir genau hinschauen, merken wir: Wir haben eine Zunahme des Niedriglohnsektors, dort arbeiten mittlerweile 23 Prozent. Wir haben 1,4 Millionen Menschen, die unter fünf Euro die Stunde bezahlt bekommen. Wir haben eine Vielzahl von Leuten, die so wenig verdienen, dass sie aufstocken müssen. Und wir haben vor allem ein zu niedriges Lohnniveau. Wir haben in den letzten zehn Jahren eine sinkende Lohnquote. Der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen ist zurückgegangen, er lag bei 72 Prozent im Jahr 2000 und liegt zur Zeit bei 68 Prozent. Das macht eine Summe von 100 Milliarden Euro aus. Hätten die Arbeitnehmer dieses Geld ausgezahlt bekommen, hätten wir 20 Milliarden mehr an Arbeitnehmerbeiträgen in der Sozialversicherung _ plus 20 Milliarden Arbeitgeberbeiträge. Das wären 40 Milliarden Euro mehr. Wir bräuchten uns dann über die Finanzierung von Sozialpolitik fast keine Gedanken mehr zu machen.
Ernst: Sie sind nicht besser geworden, sondern sie löschen jetzt die Brände, die sie vorher selbst gelegt haben _ und wollen dafür gelobt werden. Also, das ist eher ein Pyromanen-Problem. Wenn die SPD sagt, sie will den Spitzensteuersatz wieder erhöhen, dann korrigiert sie ihre Politik. SPD und Grüne haben den Satz in ihrer Regierungszeit von 53 auf 43 Prozent gesenkt. Wenn Grüne und SPD jetzt sagen, sie wollen den Arbeitsmarkt wieder regulieren, dann ist das richtig. Aber sie haben ihn selbst dereguliert. Das ist weder glaubwürdig noch seriös. Wir sind das Original, sie schreiben bei uns ab. Zudem schließen SPD und Grüne eine Koalition mit der Linken grundsätzlich aus. Also müssten sie ihr linkes Programm mit der CDU oder der FDP durchsetzen. Dass das funktioniert, glaubt kein Mensch in dieser Republik.
Ernst: Keinesfalls. Wir haben die Bundesregierung gefragt, um wieviel höher müsste der Rentenbeitrag sein, wenn wir bei der Rente mit 65 blieben. Er müsste um 0,5 Prozent höher sein, lautete die Antwort. Paritätisch finanziert heißt das, 0,25 Prozent mehr für den Arbeitnehmer. Wir haben den Beitrag zuletzt gesenkt. Hätten wir drauf verzichtet, hätten wir die Rente mit 65 halten können. 0,25 Prozent Beitragspunkte sind für einen Durchschnittsverdiener weniger, als eine Maß auf dem Oktoberfest kostet. Und ich habe noch niemanden gesehen, der wegen einer Maß Bier mehr am Oktoberfest zwei Jahre länger arbeiten will. Beim Mindestlohn kann man nach Österreich schauen: Es gibt dort zwar keinen gesetzlichen, aber für alle einen tariflichen Mindestlohn. Der unterste Lohn liegt bei 8,50 Euro. Trotzdem ist die Jugendarbeitslosigkeit genauso gering wie bei uns. Die Arbeitgeber zahlen den Mindestlohn. Bei uns ist das anders: Unternehmer zahlen niedrige Löhne und der Staat stockt sie über Hartz IV auf. Das sind Geschäftsmodelle, die kein Mensch braucht.
Ernst: Zunächst muss derjenige, der gearbeitet hat, wieder deutlich höhere Renten bekommen. Die alte Rentenformel muss wiederhergestellt werden. Wir wollen zweitens, dass die Menschen, deren Rente nicht reicht, weil sie Kinder erzogen haben oder weil sie lange arbeitslos waren, nicht in Armut enden. Ihre Renten sollen aus Steuermitteln aufgestockt werden, aber bedarfsgeprüft. Wer zwei Häuser und Mieteinnahmen hat, der kriegt natürlich keine Mindestrente.
Ernst: Nein. Die meisten Deutschen sind von einer Reichensteuer nicht betroffen, weil sie bei Weitem weniger haben. Der ganze Zuwachs der vergangenen Jahre landete bei den oberen zehn Prozent in der Einkommenverteilung. Die Politik hat die Reichen wahnsinnig entlastet. Gleichzeitig ist die Staatsverschuldung gewachsen. Wie kommen wir davon runter? Man könnte sparen. Aber wenn ich marode Schulen sehe oder die schlechte Bezahlung von Pflegekräften sage ich: Da ist sparen nicht mehr möglich. Es geht darum, dass wir den Staatssäckel durch vernünftige Steuerpolitik wieder füllen. Wir wollen durch eine Reichensteuer, die nur Leute betrifft, die über eine Million verdienen, die Vermögenden wieder ausreichend an den öffentlichen Aufgaben beteiligen. Das ist eine Politik der Inklusion. Ich glaube viele, die in den vergangenen Jahren von der Politik profitiert haben, fühlen sich besser, wenn es nicht nur ihnen gut geht.
Ernst: Es gibt viele Reiche, die das einsehen. Im Übrigen erinnere ich an die bayerische Verfassung. Dort heißt es wörtlich: Die Erbschaftssteuer dient auch dazu, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.
Ernst: Ich glaube, da hat der Bürger schon eine Vorstellung. Wenn die CSU in Bayern sagt, sie würde am liebsten auf die Erbschaftssteuer verzichten, ist das ein Punkt, um den sich eigentlich der Verfassungsschutz kümmern müsste.
Ernst: Die Probleme gab es, aber sie sind behoben. In den nächsten Wochen werden wir die letzten Kandidaten nominieren. Aufgrund des Klimas in Bayern ist es nicht immer leicht, Leute zu finden, die sich auch nach außen zur Linken bekennen. Wir haben nach wie vor den Fakt, dass Linke, die sich als Beamte bewerben, dies angeben müssen. Ich halte das für ein Unding. Wir sind die viertstärkste Partei im Bundestag.
Ernst: Ich habe das anders empfunden. Ich denke, dass Lafonatine einen wichtigen Sachverhalt aufgeklärt hat, nämlich was passiert in einer gemeinsamen Währung, wenn ein Land Lohndumping betreibt und die Löhne senkt. Das hat die Bundesrepublik gemacht. Welche Möglichkeiten gibt es da, die Verwerfungen, die anderswo entstehen, abzumildern. In Südeuropa liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent, die Löhne sinken, das Gesundheitssystem wird geschliffen, es gibt weniger Geld für Bildung. Was kann man dagegen tun? Entweder senken Griechen oder Portugiesen ihre Löhne noch weiter, das ist unmöglich. Die Alternative wäre: Wir erhöhen unsere Löhne deutlich. Das ist die Position, die die Linke vertritt. Wir treten dafür ein, dass die Reallöhne in der nächsten Legislaturperiode um zehn Prozent steigen. Aber wenn das nicht funktioniert, dann bleibt ja tatsächlich nur die Möglichkeit einer geregelten Abwertungsmöglichkeit für diese Länder, um die Probleme zu beseitigen. Man muss sich dieser Problematik stellen. Das war der Hinweis von Oskar Lafontaine. Er hat nie gesagt, Deutschland soll den Euro verlassen. Er hat keinen Wunsch ausgesprochen, sondern eine Warnung.
Ernst: Ja. Zum einen bin ich stolz, weil wir als Linke nicht nur zweimal gewonnen, sondern in vier Sendungen gut abgeschnitten haben. Und dann bin ich stolz, weil ich vor dieser Sendung ein wenig Bammel hatte. Das ist eigentlich nicht mein Format. Ich bin ein eher ernsthafter Politiker und wusste nicht, ob ich damit zurecht komme, dass es bei Raab etwas lustiger und lockerer abgeht. Ich dachte, es ist schon ein Erfolg, wenn ich nicht in der ersten Runde ausscheide. (Ernst lacht) Aber da flog der Sozialdemokrat raus.
Klaus Ernst
Nach 30 Jahren Mitgliedschaft in der SPD gehörte der Schweinfurter IG-Metall-Chef 2004 zu den Mitbegründern der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) – aus Protest gegen die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder. 2007 fusionierten WASG und PDS zur Partei Die Linke. Von 2010 bis 2012 war der 58-Jährige Vorsitzender der Partei. Seit 2005 ist er Bundestagsabgeordneter, auch 2013 tritt er wieder als Direktkandidat im Wahlkreis Schweinfurt an. FOTO: D. Biscan