Es gibt komfortablere Arbeitsplätze als das Labor von Sandra Diederich – und ungefährlichere. Die Luft, die sie zum Atmen braucht, strömt durch einen dünnen Schlauch in ihren Schutzanzug, die Beine der 35-Jährigen stecken in schweren Gummistiefeln und über die Hände hat die junge Biologin sicherheitshalber zwei Paar Handschuhe gezogen. Die Erreger, mit denen sie hier Zellkulturen infiziert, könnten die Rinderseuche BSE übertragen, das West-Nil-Fieber oder das tödliche Krim-Kongo-Virus. Deshalb sieht Sandra Diederich auch aus wie eine Astronautin in Gelb. Schon ein winziger Riss in ihrem Anzug kann für sie lebensbedrohliche Folgen haben.
Greifswald, Insel Riems. Für mehr als 300 Millionen Euro hat der Bund an der Ostseeküste ein Hochsicherheitslabor gebaut, das in Europa seinesgleichen sucht. Lediglich in Kanada und Australien gibt es vergleichbare Einrichtungen, in denen Wissenschaftler wie Sandra Diederich nicht nur Nährlösungen mit gefährlichen Viren beträufeln oder Stechmücken mit ihnen präparieren, sondern die Wirkungsweisen solcher Erreger in hermetisch abgeschotteten Ställen auch an Rindern oder Schweinen erforschen können. „Wir versuchen herauszufinden“, sagt sie, „was mit einer Zelle passiert, wenn sie befallen wird.“
Im Moment sind die 450 Mitarbeiter des Friedrich-Löffler-Institutes für Tiergesundheit auf Riems unter anderem der afrikanischen Schweinepest auf der Spur, für die es noch keinen Impfstoff gibt und die sich von einem Schiff, das 2007 in einem georgischen Schwarzmeerhafen angelegt hat, über Weißrussland, Russland und Litauen bis nach Polen vorgearbeitet hat. Für den Menschen ist diese fiebrige Seuche ungefährlich. Einen Bauern jedoch, dessen Betrieb sie heimsucht, kann sie teuer zu stehen kommen, weil er dann alle Tiere töten lassen muss, ob sie nun krank sind oder nicht.
Beim weitaus gefährlicheren Krim-Kongo-Virus dagegen, das in Kühen, Schafen oder Ziegen nistet und durch Zeckenstiche, Blut oder Speichel übertragen wird, zeigen die erkrankten Tiere häufig gar keine Symptome. Für Menschen kann eine Infektion wie beim Ebola- oder beim Lassa-Fieber allerdings tödlich enden – sie verbluten innerlich. Noch hat der Erreger einen Bogen um Deutschland gemacht, schon ein infizierter Reisender oder ein Vogel, der eine infizierte Zecke trägt, könnten das Krim-Kongo-Virus aber jederzeit aus Asien, aus Afrika oder Südosteuropa einschleppen.
In Sandra Diederichs Labor wird mit solchen Erregern der höchsten Risikoklasse gearbeitet. Wenn ihr Chef Thomas Mettenleiter nicht gerade Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und ein paar Journalisten durch den Trakt führt, ist das verschachtelte, doppelt und dreifach gesicherte System aus 89 Laboren und 163 Ställen hermetisch abgeriegelt. Keine Luft und kein anderes Gas darf daraus entweichen. Hat die Biologin Diederich Feierabend, kann sie nicht einfach hinter sich abschließen und nach Hause gehen.
Um aus dem Gebäude zu kommen, muss sie erst eine Sicherheitsschleuse mit Dusche passieren und ihre komplette Wäsche wechseln. Menschen, die in geschlossenen Räumen in Panik zu geraten drohen, sind hier fehl am Platz. Mit einem Notfallknopf lässt sich die Schleuse zwar schnell öffnen, aber nur in eine Richtung – zurück ins Labor.
Ist das kleine Riems mit seinen Schränken voller gefährlicher Erreger Deutschlands gefährlichster Flecken Erde? Elke Reinking, die Sprecherin des Instituts, schmunzelt kurz. Der Neubau sei so gut geschützt, dass er auch mitten in München, Hamburg oder Berlin stehen könne, beteuert sie. Vor mehr als 100 Jahren, als der Mediziner Friedrich Löffler an der Greifswalder Universität nach einem Serum gegen die Maul- und Klauenseuche suchte, hatte der Mitbegründer der Virologie seine Erreger allerdings noch nicht so gut im Griff. Mehrfach breitete sich die Seuche als Folge von Löfflers Experimenten um die alte Hansestadt herum aus, sodass er sich schließlich unter sanftem Zwang auf das nahe gelegene Riems zurückzog und dort eine kleine Forschungsstation aufzubauen begann. Zunächst bestand sie nur aus einem Wohnhaus und ein paar Ställen und war nur per Schiff erreichbar. Als in den 70er Jahren dann ein Damm auf die Insel gebaut wurde, kehrte auch die Maul- und und Klauenseuche für kurze Zeit noch einmal in die Region zurück.
Heute spielen die Virologen und Biologen des Institutes in der Champions League der Wissenschaften. „Sie finden hier ein perfektes Umfeld für ihre Arbeit“, sagt Christian Schmidt, der Agrarminister. Sandra Diederich ist wegen der neuen Labore nach ihrer Promotion aus Kanada zurückgekommen. Einer ihrer Kollegen hat sogar eine Stelle an der renommierten amerikanischen Universität Yale für Riems aufgegeben. Er erforscht, welche Mücken welche Krankheiten übertragen – ein weites Feld, nachdem auch exotische Insekten wie die asiatische Buschmücke auf Frachtern und in den Rucksäcken von Urlaubern mittlerweile ihren Weg nach Mitteleuropa gefunden haben.
Ob Vogelgrippe, West-Nil- oder Schmallenberg-Virus: Der Kampf der Wissenschaftler gegen einen Erreger ist immer auch ein Kampf gegen die Zeit und die Ungewissheit. Die afrikanische Schweinepest zum Beispiel, sagt Institutssprecherin Reinking, eine gelernte Tierärztin, habe sich „wie ein Kampfschiff“ ihren Weg durch Osteuropa gebahnt. Auch beim West-Nil-Fieber, das tödliche Entzündungen im menschlichen Gehirn hervorrufen kann, wundert sich nicht nur Elke Reinking, dass es in Deutschland noch nicht aufgetreten ist – und die neue Durchfallepidemie bei Schweinen, die im Moment vielen amerikanischen Farmern zu schaffen macht, „könnte uns ebenfalls noch treffen“. Bis ein Impfstoff entwickelt ist, vergehen dann oft Jahre, vor allem, wenn ein Erreger so kompliziert aufgebaut ist wie der, der die afrikanische Schweinepest bringt. Er kann Haus- und Wildschweine gleichermaßen befallen. Mit Flugblättern und Hinweisschildern warnt das Institut Reisende in Osteuropa daher, nur ja kein rohes Fleisch nach Deutschland mitzubringen.
In ihrem Labor im Hochsicherheitstrakt hat Sandra Diederich gerade einen kleinen, durchsichtigen Behälter aus einem Metallschrank geholt. Die Zellen darin stammen von der grünen Meerkatze, einer afrikanischen Affenart. „Standardzellen“, sagt die Biologin. Irgendwann einmal, wenn ihr niemand mehr über die Schulter schaut, wird sie auch das Krim-Kongo-Virus aus dem Schrank holen, sich an die kleine Arbeitsplatte unter der Absauganlage setzen und mit einem der gefährlichsten Krankheitserreger der Erde hantieren. Ihr Anzug sollte dann auf keinen Fall einen Riss haben.
Tierseuchen
Das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Ostseeinsel Riems ist jedem Landwirt ein Begriff. Denn seit der Jahrtausendwende grassierten eine Reihe von Tierkrankheiten, die das Institut zu bekämpfen hatte. Drei Beispiele: BSE: Am 26. November 2000 bestätigte das Institut den ersten deutschen Fall des Rinderwahns bei einer Kuh in Schleswig-Holstein. Bald darauf war auch Bayern betroffen. Die mögliche Übertragbarkeit auf den Menschen war das größte Problem. Bis 2008 blieb das Thema virulent – mit verheerenden Folgen für die Landwirtschaft. Vogelgrippe: Von 2005 an litten Geflügelhalter unter zahlreichen Auflagen zum Schutz vor Infektionen mit Vogelgrippeviren des Typs H5N1 und später H7N9. Besonders in Asien kam es zu zahlreichen Todesfällen. Schweinepest: Nicht auf den Menschen übertragbar sind hingegen die klassische europäische Schweinepest, die immer wieder aufflammt, und die in jüngster Zeit nach Europa eingeschleppte afrikanische Schweinepest. Für Zucht- und Mastbetriebe ist ihre Ausbreitung jedoch ein massives Problem. Text: Ela/AZ