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GUANTANAMO
Insel der Sträflinge
Guantanamo In einem Lager auf Kuba inhaftieren die USA Gefangene aus dem Kampf gegen den Terror. Ein Besuch an einem abgeriegelten Ort, über den das US-Militär gar nicht gerne spricht.
Von unserem Mitarbeiter Jens Schmitz
 |  aktualisiert: 28.09.2012 19:52 Uhr

Die alten Käfige rosten in einer abgelegenen Senke vor sich hin, überwuchert von Schlingpflanzen und dem ledrigen Gestrüpp, das die kubanische Sonne am Leben lässt. Unter den Wellblechdächern rascheln Baumratten, zwischen Kieseln und Sumpf fallen Holzbaracken in sich zusammen: ein windschiefes Krankenhaus, morsche Wachtürme. In einer Hütte liegt ein zerbrochener Stuhl: „Department of the Army“, steht auf der Rückseite. „United States of America“.

Bis zum Jahr 2002 war der Osten Kubas allenfalls für ein Lied bekannt: „Guantanamera“, das Mädchen von Guantánamo. Dann gingen Fotos um die Welt: Gefesselte Häftlinge in orangeroten Anzügen knieten unter freiem Himmel, rundherum Militärpolizei. Das Gefangenenlager Camp X-Ray war nur vier Monate in Betrieb. Aber die Aufnahmen prägen das Bild von Guantánamo bis heute. „Wenn Sie hierher kommen und etwas sehen, was nicht ganz der Vorstellung entspricht, die Sie sich in Ihrem Kopf gemacht hatten – fragen Sie sich, warum das so ist“, hat Captain Kirk Hibbert zu Beginn meines Besuchs gesagt. Er leitet den Marinestützpunkt Guantanamo Bay, auf dessen Gelände auch zehn Jahre später noch einige der Internierten festsitzen. „Geben Sie Ihr Bestes, um eine möglichst vollständige Geschichte zu erzählen.“

Kyle Steckler, 26, und Landis Andrews, 27, stampfen mit mir durch das alte Camp. Die beiden gehören zum Pressestab. „Wir sind keine Wärter“, räumt Steckler ein. „Für uns ist Guantánamo ein freundlicher Außenposten auf einer tropischen Insel.“ Seit 1903 ein Dauerpachtvertrag zwischen den Ländern geschlossen wurde, existiert diese US-Basis auf Kuba. Heute bietet sie 5500 Menschen Arbeit und Unterkunft, mehr als die Hälfte von ihnen sind Zivilisten. Nach dem Erdbeben 2010 diente die Station als Schleuse für Hilfsmaßnahmen auf Haiti. Mehrfach liefen Flüchtlingsströme über den Stützpunkt.

Auch in Camp X-Ray waren einmal Migranten untergebracht. 2001 wurde es umgebaut: Das US-Militär brauchte eine Unterkunft für Gefangene im Krieg gegen den Terror. Am 11. Januar 2002, sechs Monate nach den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center, trafen die ersten Internierten ein. Ende April, als das eigentliche Gefängnis fertig war, wurden sie wieder verlegt. Kritiker halten Camp X-Ray für ein Symbol organisierter Menschenrechtsverletzung. Auf gerichtlichen Beschluss dürfen die verfallenden Anlagen nicht verändert werden. Seither holt sich die Natur das Gelände zurück.

Wer zu den aktuellen Lagern will, muss über eine Gebirgskette fahren, ans südöstliche Ufer der Insel. Hier gibt es nichts außer Brandung, Kakteen und Geier. Die meisten Häftlinge sind in Camp VI untergebracht: Der Bau hat 37 Millionen Dollar gekostet und wurde 2006 eröffnet, er ist in acht Blocks unterteilt. Rund um einen Gemeinschaftsraum liegen jeweils 22 Zellen, die nur abgeschlossen werden, wenn ein Bewohner das wünscht. In den Freianlagen gibt es Fußball- und Basketballplätze, 22 TV-Kanäle und elf Radiosender können empfangen werden.

In Camp V, nebenan, werden Isolationszellen vorgehalten, wie es sie auch in normalen US-Gefängnissen gibt. Hier sitzen Häftlinge, die gegen die Regeln verstoßen oder sich selbst gefährden. Zum Zeitpunkt meines Besuchs sind noch drei weitere Anlagen belegt: In Camp Echo werden Gefangene separiert, deren Fall vor einer Militärkommission verhandelt wird. Camp Iguana beherbergt Insassen, die bereits zur Ausreise freigegeben sind, aber kein Aufnahmeland finden. Gar nicht sehen darf ich das geheimnisumwitterte Camp VII. Dort sitzen die „Guantanamo Five“ um den selbst ernannten Drahtzieher des 11. September, Khalid Scheich Mohammed. Existenz und Lage dieses Gefängnisses waren bis vor kurzem noch ein streng gehütetes Geheimnis. Inzwischen haben immerhin Anwälte und das Internationale Rote Kreuz Zugang.

Seit 2005 gibt es auf Guantánamo einen eigenen Berater für kulturelle Fragen, einen gebürtigen Jordanier, der sich nur mit seinem Mittelnamen ansprechen lässt. Die Internierten nennen ihn Zaki, die Amerikaner Zak. Niemand hat mehr direkten Kontakt zu den Häftlingen als er. „Ich bin kein Psychologe und ich bin auch nicht der Seelsorger“, stellt er klar. „Meine Aufgabe ist es, den kulturellen Abstand überbrücken zu helfen.“ Der 55-jährige Muslim führt neue Wärter in ihre Aufgabe ein und leitet Anliegen der Inhaftierten an die Obrigkeit weiter. Der Dialog mit den Häftlingen, sagt er, habe Guantánamo zu dem gemacht, was es heute ist.

Gemessen an den Militärs ist Zak ungewöhnlich lange hier, der jüngste seiner drei Söhne wurde auf der Insel geboren. Die Gefangenen hätten sich in dieser Zeit sehr verändert: „Früher haben sie nur Waffen und Krieg gemalt, jetzt zeichnen sie Landschaften.“ Der Kunstkurs ist der beliebteste Teil des Lehrangebots, das die USA seit einiger Zeit bereitstellen. „Viele konnten weder lesen noch schreiben, als sie hierherkamen“, sagt Zak. „Etliche hören hier zum ersten Mal neutrale Berichte über ihre Heimat.“ Der arabische Frühling, das bequeme Leben des vermeintlichen Höhlenkämpfers Osama bin Laden in einem Haus mit mehreren Frauen: „Das hat in ihnen gearbeitet.“ Zak schätzt, dass zehn Prozent der Internierten noch extremistische Ansichten vertreten. Die Gefangenen selbst kann man nicht befragen: Die USA unterbinden nicht nur Pressefotos, auf denen Häftlinge identifizierbar sind, sondern auch Gespräche mit ihnen, beides unter Verweis auf die Genfer Konventionen.

Eigentlich dürfte es die Internierung auf dem Stützpunkt gar nicht mehr geben. Am 22. Januar 2009, zwei Tage nach seinem Amtsantritt, hatte Präsident Barack Obama per Executive Order verfügt, die Lager innerhalb eines Jahres zu schließen. Als ich Captain Kirk Hibbert nach diesem Erlass frage, passiert etwas Erstaunliches: Hibbert sagt, er glaube nicht, dass es eine Anordnung zur Schließung gegeben habe. „Es gab eine Diskussion darüber“, behauptet er, „aber es gab keine Executive Order, die verfügt hätte, das innerhalb einer bestimmten Zeit zu tun.“ Hibbert hat das Kommando über die Basis im September 2010 angetreten, ein halbes Jahr nach Obamas folgenloser Deadline. Können zentrale Ereignisse der Vorgeschichte so schnell in Vergessenheit geraten?

Die Vorgeschichte ist der Punkt, über den kaum jemand auf Guantánamo sprechen möchte. Am allerwenigsten Rear Admiral David Woods, ein großer Mann mit wuchtigem Kinn. Als Kommandeur der Joint Task Force unterstehen ihm alle Gefangenenlager auf der Basis. Captain Hibbert ist zwar Hausherr, aber Woods sticht ihn in der Hierarchie, und der ranghöchste Militär des Postens will über die Gegenwart reden: „Die Bedingungen hier sind wahrscheinlich besser als in jedem anderen Gefangenenlager der Welt“, lobt er. Als ich nach den Foltervorwürfen aus der Vergangenheit frage, möchte Woods nicht sagen, dass auf Guantánamo Fehler gemacht wurden, „weil ich das nicht nachprüfen kann“. Ich zähle die Anschuldigungen auf, die als belegt gelten: Gefangene wurden gezwungen, Frauenunterwäsche zu tragen, mit Hunden bedroht, mit Dauerlärm beschallt, unterkühlt und ihres Schlafes beraubt. Einige wurden nackt an den Boden gefesselt, wo sie stundenlang ausharren mussten. Nichts davon geschehe auf der Insel, sagt Woods entrüstet, „und ich weiß alles, was mit den 169 Internierten hier geschieht“. Er habe auch keine Indizien dafür, dass Ähnliches früher geschehen sei.

Woods betont, dass es zu den Richtlinien gehöre, keine illegalen Befehle auszuführen. Das Problem dabei: Die Bush-Regierung definierte bei ihren Verhörpraktiken einfach um, was als legal zu gelten hatte. Ich frage Woods, was er selbst tun würde, wenn seine Häftlinge mit Rückendeckung von oben misshandelt würden. „Ihre Frage ist so hypothetisch, dass ich sie mir nicht einmal vorstellen kann“, raunzt Woods. Aber so sei es doch gelaufen, vor zehn Jahren? „Mir ist unbekannt, dass das vor zehn Jahren so gelaufen ist.“

Woods' heftige Abwehr ist ein persönliches Phänomen, denn sein Pressebüro bringt mir ungefragt Zeitungsberichte, die meine Vorwürfe stützen. Sergeant Major Callie Leaver, die 2002 schon einmal in den Camps gearbeitet hat, beteuert, in dieser Zeit keinerlei Hinweise auf Misshandlungen erlebt zu haben. Aber hypothetisch findet sie die Frage danach nicht: „Ich schaue natürlich Nachrichten“, sagt die 47-Jährige. Auch Captain Richard Stoltz reagiert offener als Admiral Woods. Der 58-Jährige leitet das Krankenhaus und eine Außenstelle für die Häftlinge. Er macht kein Hehl daraus, dass seine Psychologen bei den Gefangenen vor allem Depressionen bekämpfen; die Flüssignahrung für die Hungerstreikenden gehört zur Routine. Und er redet sich nicht heraus, als ich den Rot-Kreuz-Report von 2004 erwähne. Ja, er kenne diese Vorwürfe, sagt Stoltz. Er wisse nicht, ob sie wahr seien, aber es sei ihm wichtig zu betonen, dass die dort erwähnten Psychologen nicht zur Gesundheitstruppe gehörten. Stoltz zögert keinen Moment, als ich frage, ob es unter ihm denkbar wäre, Informationen über seine Patienten für Verhöre nutzbar zu machen. „Das wäre natürlich inakzeptabel. Absolut inakzeptabel.“

Offenbar gibt es weniger eine organisierte Strategie zum Umgang mit der Vergangenheit als individuelle Versuche, mit ihr fertig zu werden. Steckler und Andrews, meine beiden Dauerbegleiter, werben um Verständnis: „Obama ist unser Befehlshaber. Es ist nicht unsere Aufgabe, eine Meinung zu haben.“ Ein rundes Bild hat sich Captain Hibbert gewünscht, eine möglichst komplette Geschichte. Aber das hat Guantánamo nicht zu bieten – es gibt nicht einmal ein kollektives Gedächtnis. Die Militärs wechseln alle paar Monate; außer den Häftlingen hat niemand die vollen zehn Jahre erlebt. Für diejenigen, die sie versorgen müssen, ist die Vergangenheit ein Sperrgebiet wie Camp X-Ray. Man überlässt es besser sich selbst.

Zaunblick: Gemeinschaftsraum in Camp VI.
| Zaunblick: Gemeinschaftsraum in Camp VI.
Blick auf Camp VI: Gefangenenlager auf Guantanamo.
Foto: Fotos (2): Jens Schmitz | Blick auf Camp VI: Gefangenenlager auf Guantanamo.
 
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