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MÜNCHEN/BAGDAD
In den Fängen des IS
Unter dem Pseudonym Shirin berichtet ein irakisches Mädchen über die Qualen, die es als Sexsklavin der Terrormiliz IS erlebte.
Foto: Ausschnitt Buchcover | Unter dem Pseudonym Shirin berichtet ein irakisches Mädchen über die Qualen, die es als Sexsklavin der Terrormiliz IS erlebte.
Von unserer Mitarbeiterin Franziska Roos
 |  aktualisiert: 02.02.2016 03:56 Uhr

Shirin war ein Mädchen mit Träumen. Sie machte gerade ihr Abitur im Norden des Iraks. Später wollte sie Jura studieren. Doch innerhalb eines Tages bricht die Welt des gutgläubigen Mädchens zusammen. Ihr Dorf wird vom Islamischen Staat (IS) überfallen. Erst nach einer Leidenszeit gelingt ihr die Flucht aus den Fängen der Terrormiliz. Heute lebt die 18-Jährige im Rahmen eines Hilfsprojekts in Deutschland. Über ihr Schicksal erzählt sie in ihrem Buch „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“, das am Montag in München vorgestellt wurde. Um ihre Verwandten im Irak nicht in Gefahr zu bringen, erzählt sie unter einem Pseudonym.

„Am 3. August 2014, um 6.50 Uhr, war mit einem Schlag alle Normalität für uns nur noch Erinnerung“, schreibt Shirin. Der IS nimmt innerhalb kürzester Zeit ihr Dorf im nordirakischen Sindschar-Gebiet in Besitz. Damals geht ihre Familie noch von einem guten Ende aus. Unter den Kämpfern der Terrormiliz sind ihnen gut bekannte arabische Ärzte, Lehrer und Nachbarn. „Wenn unsere Freunde dabei sind, kann uns ja gar nichts passieren“, beruhigt die Mutter ihre Kinder. Ein fataler Trugschluss. Shirin wird zusammen mit jesidischen Frauen und Kindern entführt.

Ihren älteren Bruder muss sie zurücklassen. Bis heute weiß sie nicht, ob er noch lebt. In Anwesenheit ihrer Mutter fühlt sich die damals 17-Jährige noch sicher, doch schnell trennt man die Familie.

Shirin wird als „Geschenk“ an einen IS-Kämpfer weitergegeben, den sie heiraten muss. Als er in der Hochzeitsnacht versucht, sie sexuell zu missbrauchen, kann sich das Mädchen wehren. Der Mann bereitet ihr solche Angst, dass sie sterben will und versucht, sich mit einem Schal umzubringen. „In diesem Augenblick trat er ins Zimmer, riss mir den Schal weg und schlug so lange auf mich ein, bis ich am Boden liegen blieb“, erzählt Shirin. Sie gehört den Jesiden an, einer religiösen Minderheit, die in den Augen des IS „ungläubige Teufelsanbeter“ sind.

Schläge, Folter, Vergewaltigung

Fortan lässt der Mann Shirin in Ruhe und hält sie als seine Haussklavin. Das Mädchen bezeichnet ihn in ihrem Buch als einen der „netten“ IS-Kämpfer. Manchmal durfte sie sogar ihre Mutter und Geschwister besuchen, die ebenfalls vom IS gefangen gehalten wurden.

Kurze Zeit später wird Shirin an einen anderen Mann weiterverkauft. Sie lebt mit mehreren Mädchen in einem Haus. Sie alle dienen dem IS als Sexsklavinnen. Der Wille des starken und tapferen Mädchens wird durch die Grausamkeiten des IS gebrochen. Schläge, Folter, Vergewaltigungen unter Drogeneinfluss, Hunger und Durst gehören zum Alltag. Mehrmals wird die 17-Jährige an andere Männer weiterverkauft. Von einem 60-Jährigen wird die Schülerin schwanger. Das Ungeborene treibt sie selbst ab.

Shirin ist kein Einzelfall: Nach Angaben der kurdischen Regierung sind bisher mehr als 7000 Frauen und Kinder in IS-Geiselhaft geraten. Nur knapp 500 konnten bislang fliehen oder wurden freigekauft. Der Psychologe Jan Kizilhan, der Shirin heute betreut, weiß, wie unmenschlich der IS mit Andersdenkenden umgeht: „Mit Achtjährigen fangen sie an. Sie werden vergewaltigt, versklavt, entmenschlicht. Das entspricht der Überzeugung der Terroristen des IS: Ungläubige können von ihnen in Besitz genommen werden, und mit ihnen darf alles gemacht werden.“

Mit Hilfe ihres neunten Ehemanns gelingt ihr die Flucht aus dem Gebiet des IS. Sie kommt in einem Flüchtlingslager im Irak unter, in dem sie auch ihren Vater wieder trifft. Doch die Gedanken der geretteten Mädchen sind bei ihren Leidensgenossinen: „Den Frauen und den Mädchen, die jetzt noch gefangen sind, wünsche ich den Tod“, sagt ein neunjähriges Mädchen, das selbst als Sexsklavin der Terrormiliz gefangen gehalten wurde. Mit ihren traumatischen Erlebnissen hat Shirin auch später noch zu kämpfen: „Wenn ich zurückblicke, sehe ich nichts außer Finsternis. Und Angst. Nichts Menschliches darin.“

In der Flüchtlingsunterkunft bietet man ihr die Möglichkeit an, für eine Therapie nach Deutschland zu fliegen. Baden-Württemberg hat sich bereit erklärt, 1000 schutzbedürftige Frauen und Kinder aus IS-Gefangenschaft aufzunehmen und zu behandeln. Zusammen mit 40 anderen Frauen, Mädchen und Kindern fliegt sie nach Deutschland. Dort versuchen Experten ihr beim Verarbeiten der Vergangenheit zu helfen. Ihre neue Heimat empfindet Shirin als Himmel, Ort des Friedens und der Sicherheit, das sei ein großes Geschenk, mahnt die 18-Jährige.

Shirin mit Alexandra Cavelius und Jan Kizilhan: „Ich bleibe eine Tochter des Lichts“, Europaverlag, 18,99 Euro.

 
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