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BRÜSSEL
In Brüssel spricht sich niemand offen für einen Militärschlag gegen Syrien aus
UN-Inspekteure im Einsatz: Mitarbeiter der Vereinten Nationen treffen in Ghouta ein, einem Vorort von Damaskus, wo sie den Vorwurf eines Chemiewaffeneinsatzes überprüfen. Das Bild wurde einem Video der Arbeen Unified Press entnommen.
Foto: Afp/Youtube/Arbeen Unified Press | UN-Inspekteure im Einsatz: Mitarbeiter der Vereinten Nationen treffen in Ghouta ein, einem Vorort von Damaskus, wo sie den Vorwurf eines Chemiewaffeneinsatzes überprüfen.
Von unserem Korrespondenten DETLEF DREWES
 |  aktualisiert: 28.08.2013 20:05 Uhr

Europas außenpolitische Stimme wiederholt seit Tagen den stets gleichen Satz. „Wir brauchen die Ergebnisse einer gründlichen und unabhängigen Untersuchung“, wurde die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, nicht müde zu betonen. Als am Mittwoch die ersten Bestätigungen für einen Giftgaseinsatz in Syrien Brüssel erreichten, schwieg die sozialdemokratische Politikerin zunächst. Zu diesem Zeitpunkt waren andere schon weitaus deutlicher geworden.

Vor allem die sonst eher zurückhaltende Kommissarin für humanitäre Angelegenheiten, Kristalina Georgiewa, hatte sich weit vorgewagt. Schon vor wenigen Tagen stellte sie mit Blick auf die humanitäre Lage im Land fest: „Es droht ein neues Srebrenica.“ In dem bosnischen Ort war es im Juli 1995 zu einem Massaker an 8000 Männern und Jugendlichen gekommen, eine Wende im Balkankrieg. Kurz darauf griffen auch die USA militärisch ein.

Gegen Aktion ohne UN-Mandat

Inzwischen betont die Kommission, die Äußerungen seien humanitär gemeint gewesen und könnten nicht als Appell für einen Militärschlag gegen Damaskus verstanden werden. Tatsächlich fallen die meisten Wortmeldungen aus Brüssel eher abgewogen aus. Parlamentspräsident Martin Schulz sprach sich gegen eine bewaffnete Aktion ohne UN-Mandat aus. Guy Verhofstadt, Chef der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament, forderte am Mittwoch zwar: „Europa muss Assad zeigen, dass es Verbrechen gegen die Menschlichkeit in keiner Weise akzeptiert.“ Aber auch ihm schweben eher Initiativen wie das Errichten einer Flugverbotszone oder andere Sanktionen vor. Der Chef des Auswärtigen Parlamentsausschusses, Elmar Brok (CDU), signalisierte dagegen Verständnis. Grundsätzlich müsse man in dieser Situation die UN nutzen, erklärte er. „Aber wenn die Vereinten Nationen gestoppt werden, muss es möglich sein, das Töten der Menschen zu beenden.“

Währenddessen gehen die Mitgliedstaaten längst ihre eigenen, höchst unterschiedlichen Wege. Polens Ministerpräsident Donald Tusk lehnte eine Beteiligung an einem Militärschlag auf Damaskus ab. Am Abend zuvor verständigte sich auch das belgische Kabinett in einer Sondersitzung darauf, ohne UN-Mandat nicht mitzumachen. London und Paris stehen dagegen bereits in engem Kontakt mit Washington.

Gespräch mit Syriens Opposition

Am heutigen Donnerstag will Frankreichs Staatspräsident François Hollande mit dem Chef der syrischen Oppositionskoalition, Ahmed Assi al-Dscharba, sprechen – offenbar, um sich dessen Rückendeckung geben zu lassen. Für den 4. September wurde die Nationalversammlung zu einer Sondersitzung einberufen. Ob Paris so lange mit einer Entscheidung warten will und kann, ist offen. Allerdings gibt es immer lauter werdende Stimmen, die fordern, mit einer Militäraktion wenigstens bis zum G-20-Gipfel am Donnerstag und Freitag kommender Woche in St. Petersburg zu warten. Denn da kommen die wichtigsten Befürworter und Gegner einer Militäraktion ohnehin zusammen. Offiziell geht es um Wirtschafts- und Finanzthemen. Dass Syrien nicht zur Sprache kommt, ist kaum vorstellbar.

Überraschend ist allerdings, dass sich das wichtigste außenpolitische Gremium der EU bisher nicht veranlasst sieht, erneut zu tagen. Zumindest bis Mittwochabend stand ein Sondertreffen der 28 Außenminister nicht zur Diskussion. Auch im Hauptquartier der NATO gibt man sich unaufgeregt. Zwar betonte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nach einer Sitzung der Botschafter aller Mitgliedstaaten, der Einsatz von Giftgas sei „nicht akzeptabel“. Eine aktive Rolle werde das Bündnis aber deswegen „jetzt nicht übernehmen“.

Die USA und Saddam Husseins Giftgasangriffe auf Iran

Ein iranischer Blogger schrieb dieser Tage: „Für das Giftgas auf unser Volk damals gab es keine rote Linie.“ Seit der US-Geheimdienst CIA vor kurzem bislang geheime Dokumente über die Giftgasangriffe von Saddam Hussein auf iranische Truppen und Zivilisten freigab, ist bei vielen älteren Iranern der Horror wieder gegenwärtig. Schätzungsweise 100 000 Menschen wurden damals mit Nervengas vergiftet, Tausende starben, 48 400 Überlebende leiden immer noch an den Folgen. Anders als heute agierten die USA jedoch als stillschweigende Komplizen bei dem verbrecherischen Vorgehen des irakischen Diktators in seinem achtjährigen Krieg mit Nachbar Iran. Wie die jetzt freigegebenen Akten nach einer Auswertung der Zeitschrift „Foreign Policy" belegen, warnte Washington das Regime in Bagdad in den letzten beiden Kriegsjahren 1987 und 1988 regelmäßig mit Satellitenbildern vor iranischen Truppenaufmärschen nahe der Front und gab ihm damit direkte Hinweise für seine tödlichen Angriffe mit Sarin, Tabun und Senfgas. „Die Iraker haben uns nie gesagt, dass sie Giftgas einsetzen. Brauchten sie auch nicht, denn das wussten wir sowieso“, zitiert das Blatt den damaligen US-Militärattaché in Bagdad. Auch die CIA-Spitze in Washington und das Weiße Haus von Präsident Ronald Reagan waren nach Auskunft der brisanten Dokumente über die Kriegsverbrechen im Bilde, ohne dass ein Aufschrei um die Welt ging. Denn damals galt Saddam Hussein noch als Verbündeter des Westens im Kampf gegen die Islamische Republik. Und so attackierte der irakische Diktator im März 1988 schließlich auch die eigene Bevölkerung. Bei seinem Giftgas-Massaker in dem kurdischen Dorf Halabja in Nordirak starben mindestens 5000 Männer, Frauen und Kinder, über 10 000 wurden verletzt. Text: Gehlen

 
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