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BREMEN
In Bremen macht die SPD die Musik
reda
 |  aktualisiert: 08.05.2015 19:47 Uhr

Wenn in Bremen ein neuer Landtag gewählt wird, mag das für Auswärtige ungefähr so prickelnd sein wie ein Urnengang in San Marino. Dabei hat die Bürgerschaftswahl am Sonntag auch bundespolitische Bedeutung: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) könnte es haarscharf schaffen, in den zweiten westdeutschen Landtag nach Hamburg einzuziehen.

Und: Die vor vier Jahren aus dem Parlament geflogene FDP könnte laut verschiedenen Umfragen mit fünf bis 6,5 Prozent in die Bürgerschaft zurückkehren und damit ihrem Bundesparteichef Christian Lindner weiteren Auftrieb verschaffen.

Völlig unrealistisch ist dagegen die Hoffnung der CDU, die Grünen als Bündnispartner der SPD abzulösen. Denn auch nach acht Jahren Rot-Grün denken die Sozialdemokraten noch lange nicht an Partnertausch. Sie selber werden wieder ganz selbstverständlich das Bürgermeisterbüro in Beschlag nehmen. Das ist in Bremen seit 70 Jahren Tradition. Zwar muss die SPD diesmal mit leichten Einbußen rechnen – die Meinungsforscher geben ihr nur noch 36 oder 37 statt zuletzt 38,6 Prozent. Aber für den Chefsessel reicht das allemal.

In der langen Reihe von SPD-Regierungschefs wie Wilhelm Kaisen, Hans Koschnick oder Henning Scherf ist Senatspräsident und Bürgermeister Jens Böhrnsen einer der unauffälligeren. Der 65-jährige Jurist regiert mit ruhiger Hand, manche sagen: mit zu ruhiger Hand. CDU-Chefin Angela Merkel, wie alle Parteivorsitzenden derzeit im Weser-Wahlkampfeinsatz, befand bei ihrer Kundgebung, Bremen werde von Böhrnsens Senat nur „verwaltet, aber nicht gestaltet“. Aber seine Partei steht voll hinter ihm. Man könnte sie glatt in SPB umtaufen: Sozialdemokratische Partei Böhrnsens.

Die Grünen hatten vor vier Jahren einen Höhenflug erlebt, weil der Atommeiler Fukushima in die Luft geflogen war. Mit ihren 22,5 Prozent verdrängten sie die CDU (20,4 Prozent) auf den dritten Platz – eine mittlere Sensation. Am Sonntag werden sich die Verhältnisse wohl wieder umdrehen: Die CDU liegt bei Umfragen mit 22 bis 25 Prozent wieder vorn, die Grünen mit maximal 16 Prozent auf dem einst angestammten dritten Platz.

Böhrnsen hat diesmal gleich mit vier Frauen zu kämpfen: Die Spitzenkräfte von CDU, Grünen, Linken und FDP sind alle weiblich.

Mit 62 Jahren ist Elisabeth Motschmann die älteste. Die CDU-Bundestagsabgeordnete sprang als Notlösung ein, weil niemand anderes es machen wollte. Jetzt macht sie auf jung und läuft beim Straßenwahlkampf im Kapuzenpulli der Parteijugend herum, mit dem Slogan „#motschimachts“.

Neben modernen Themen wie WLAN in Bussen und Bahnen beackert die bekennende Protestantin auch das eine oder andere konservative Feld: Rund um Schulen sollen Drogenverbotszonen errichtet werden, und drinnen soll mehr gegen Unterrichtsausfall getan werden.

Für die Grünen kandidiert auf dem ersten Platz wieder Finanzsenatorin Karoline Linnert (56). Sie versucht seit Jahren, die Staatsausgaben so zu drosseln, dass Bremen ab 2020 die Schuldenbremse einhalten kann. Eine Aufgabe, die nicht vergnügungssteuerpflichtig ist.

Scharfes Contra bekommt Linnert dabei von Kristina Vogt (49). Denn die Linksfraktionschefin hält nichts vom Neuverschuldungsverbot ab 2020, weil der Staat dadurch kaputtgespart werde. Die Ex-Kneipenwirtin und Rechtsanwaltsfachangestellte hat die einst zerstrittene Partei geeint und wird auch von politischen Gegnern respektiert. Die Wahlprognosen: bis zu neun Prozent.

Die vierte Frau gegen Böhrnsen heißt Lencke Steiner, 29 Jahre jung, Bundesvorsitzende der „Jungen Unternehmer“ und manchen bekannt aus einer Privatfernsehshow, damals noch unter ihrem Mädchennamen Wischhusen.

Die beiden rechtslastigen Listen AfD und „Bürger in Wut“ (BIW) ziehen mit Männern an der Spitze in die Wahl. Die AfD könnte es haarscharf schaffen, in Bremen und Bremerhaven die Fünf-Prozent-Hürde zu meistern, die Wutbürger zumindest in Bremerhaven; das würde für eines der insgesamt 83 Landtagsmandate reichen, denn in beiden Städten gelten getrennte Fünf-Prozent-Klauseln.

Es ist nicht ganz leicht, AfD und BIW auseinanderzuhalten. Mindestens in einem Punkt unterscheiden sie sich: Auf die Frage des Regionalfernsehens, ob der Islam zu Bremen gehöre, antwortete BIW-Spitzenkandidat Martin Korol mit „Nein“, Christian Schäfer (AfD) mit „Jein“. Schäfer bekannte nebenbei sogar, dass er schon mal gekifft hat.

Freie Hansestadt Bremen

Das kleinste Bundesland besteht aus den Städten Bremen (550 000 Einwohner) und Bremerhaven (110 000 Einwohner). Der Zwei-Städte-Staat ist Deutschlands fünftgrößter Industriestandort mit bedeutenden Luft- und Raumfahrtunternehmen, dem zweitgrößten deutschen Mercedes-Pkw-Werk und dem größten Autoumschlagshafen Europas. Im Bundesländervergleich wird hier das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner erwirtschaftet. Zugleich ist die Arbeitslosenquote mit 11,1 Prozent derzeit die höchste aller Bundesländer. Führend ist Bremen auch bei der Staatsverschuldung pro Einwohner: gut 30 000 Euro.

Seit acht Jahren regiert eine rot-grüne Koalition unter Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD). Am Sonntag dürfen rund 500 000 Einwohner ab 16 Jahren ihren neuen Landtag wählen, die Bremische Bürgerschaft. Sie besteht aus 68 Bremer und 15 Bremerhavener Abgeordneten.

Zu Themen, die allein die Stadt Bremen betreffen, tagen deren Landtagsabgeordnete als „Stadtbürgerschaft“. Bremerhaven hat ein eigenes Kommunalparlament. Zurzeit hat die SPD 35 Landtagsmandate, die Grünen 21, die CDU 20, die Linke fünf und die „Bürger in Wut“ (BiW) zwei. Einer der beiden BiW-Vertreter war bis 2013 SPD-Abgeordneter, wurde aber wegen frauen- und romafeindlicher Äußerungen ausgeschlossen. text: stg

 
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