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Im Reich der Spiele-Wächter
Jugendschutz: Bei vielen jungen Leuten haben sie einen schlechten Ruf: Die Prüfer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Sie entscheiden über die Altersfreigaben für Computerspiele. Können sie Kinder vor Gewalt am Bildschirm bewahren?
USK       -  Sie spielen den ganzen Tag am Computer und werden dafür bezahlt: In einem Bürogebäude nahe des Alexanderplatzes in Berlin arbeiten die Prüfer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle.
Foto: USK | Sie spielen den ganzen Tag am Computer und werden dafür bezahlt: In einem Bürogebäude nahe des Alexanderplatzes in Berlin arbeiten die Prüfer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle.
Von unserem Mitarbeiter Wolfgang Holzhauser
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:55 Uhr

Kurze, schwarze Haare, ein gepflegter Dreitagebart und ein gewinnendes Lächeln: Kann so ein Bösewicht aussehen? Felix Falk lacht, rückt sein Sakko zurecht und lehnt sich auf der schwarzen Couch zurück. Neben ihm hängt ein Poster an der Wand, von dem ein bärbeißiger Pirat mit Augenklappe und Hakenarm auf die Besucher herunterblickt. Und irgendwie passt das Äußere dieses Freibeuters viel besser zu dem Bild, das viele junge Menschen in Deutschland von einem wie Falk haben: Der 36-Jährige ist der Geschäftsführer der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).

Er und seine Kollegen entscheiden, welches Computer- und Videospiel ab welchem Alter gespielt werden darf. Damit machen sie sich nur selten Freunde. Für Gamer, also passionierte Video- und Computerspieler, sind sie so etwas wie der Teufel. Immer wieder wird der Prüfstelle Zensur vorgeworfen, dass sie Computerspiele zerstören würde. Wie die Prüfer arbeiten, das ist für viele jedoch ein Rätsel. Die vermeintliche Hölle besteht aus einem ganzen Stockwerk eines modernen Bürogebäudes im Herzen Berlins, unweit des Alexanderplatzes. In den hellen Räumen stehen Computer und Spielekonsolen. Immer wieder hört man Schüsse, das Klopfen von digitalen Hämmern und lautes Lachen auf den Fluren.

40 000 Spiele getestet

Seit 1994 gibt es die USK, die aus der Computerspieleberatung des Fördervereins für Jugend- und Sozialarbeit hervorging. Zehn feste Mitarbeiter, acht ehrenamtliche und mehr als 50 unabhängige Jugendschutzsachverständige leisten die Kontrollarbeit. 40 000 Spiele wurden seit der Gründung gespielt und bewertet. Der Start war für die Jugendschützer holprig. Der Ruf, den sie sich damals erarbeiteten, hängt ihnen bis heute nach. Auslöser war ein berühmtes und beliebtes Wirtschaftsspiel: „Der Planer“. Es war das zweite je von der USK geprüfte Spiel. Und das erste, welches für großes Aufsehen sorgte.

Denn das Spiel, das sich um die Führung einer Spedition dreht, erhielt nach einer Prüfung durch die USK das Alterssiegel für 16-Jährige. Das Prüfgremium warf dem „Planer“ eine „klischeehafte Ellenbogenmentalität eines Unternehmens“ vor. Fans und Hobby-Spediteure beschwerten sich lautstark. Und auch der Entwickler, Greenwood Entertainment, forderte eine Nachprüfung. Die USK gab nach. Kurz darauf wurde die Simulation für alle Altersgruppen freigegeben. Spott und Hohn wurden über den Jugendschützern ausgekippt. Für viele Gamer war es der Beginn einer langen Feindschaft.

Auch die großen Verlage, die in der Spielebranche „Publisher“ genannt werden und die Computerspiele im Handel vertreiben, sahen in der USK lange einen natürlichen Feind.

Einer der größten Gegner der Jugendschützer war Gerhard Florin. Für den Software-Giganten Electronic Arts war er bis 2009 für den Vertrieb von Spielen außerhalb der Vereinigten Staaten zuständig. Florin, der in Augsburg studiert hatte, forderte sogar die Abschaffung der USK. „Das ist Zensur, was wir hier in Deutschland machen“, sagte er. Er kritisierte vor allem die strenge Beurteilung von Gewalt durch die Prüfgremien. Oft mussten Spiele für den deutschen Markt aufwendig verändert werden.

Inzwischen sind 21 Jahre ins Land gezogen. „Wir sind älter geworden und mit unseren Aufgaben gewachsen“, sagt Falk, während er durch seine Räume führt. Fast alle großen Publisher sind inzwischen bei der USK beteiligt. Darunter auch Electronic Arts. In einem großen Archiv lagern mehr als 20 000 Computerspiele. Absolute Blockbuster, Hits und auch die Flops. Alle haben die USK-Tester gespielt. Mehr als 10 000 davon hatte Marek Brunner in Händen. Mit 19 Jahren kam er 1994 zur USK, heute leitet er den Testbereich.

Das Prüfen von Spielen sei heute schwieriger als noch vor einigen Jahren, sagt Brunner. „Heute haben wir Spiele, die sind richtige Monster. Da müssen wir wirklich sehr lange spielen, um sie wirklich einschätzen zu können.“Den Rekord halte derzeit das Gangster-Epos GTA 5, erzählt er. 107 Teststunden seien notwendig gewesen, um alles durchzuspielen. Am Ende bekam das Spiel den roten Aufkleber, der den Verkauf an Minderjährige untersagt. Kurz blitzen Falks Augen auf und sein Lächeln wird immer breiter. Ja, auch die roten 18er-Kennzeichen auf den Videospiele-Packungen seien wichtig, sagt der Geschäftsführer der USK. Fast als könnte er den Widerspruch der Spieler-Gemeinde in Deutschland hören, hebt er den Zeigefinger. „Das ist wirklich so“, widerspricht er dem stillen Protest. „Damit retten wir Spiele. Auch wenn das kaum einer weiß.“ Falk spricht das Schreckgespenst der Branche an: die Indizierung von Computerspielen.

„Die USK zensiert nicht“

Veranlasst werden sie von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Spiele auf dem Index dürfen weder verkauft noch in sonstiger Art vertrieben werden. Ein Prüfsiegel der USK schützt sie jedoch vor diesem Schicksal. „Sobald ein USK-Kennzeichen vergeben wurde, kann das Spiel nicht mehr indiziert werden“, erklärt Falk und sein Lächeln wird noch breiter. „Die USK verbietet und zensiert nicht, wer das behauptet, kennt sich leider nicht genug aus“, betont er.

Falk ist es gewohnt, gegen Vorurteile anzukämpfen. Eines der größten kann aber selbst der 36-Jährige nur mit einem Seufzen quittieren: Dass bei der USK nur Pfarrer und Hausfrauen entscheiden. Im großen Konferenzsaal deutet er auf einen Tisch mit sechs Sitzplätzen vor einem Fernseher an der Wand. Einer für den Spieletester, der dem Prüfausschuss die Szenen präsentiert, einer für den Vertreter des Staates und vier für wechselnde Juroren. Sie werden zufällig aus einem Pool von über 40 Experten gezogen – Medienpädagogen, Soziologen und sonstige Experten. Zusammen fällen sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Urteil. Kritik an den Entscheidungen wird fast nie geäußert.

Das hängt auch damit zusammen, dass die Arbeit der USK inzwischen deutlich früher beginnt, erzählt Felix Falk stolz. „Wir kooperieren mit den Entwicklern, fahren zu ihnen weltweit in die Studios und geben Schulungen. Viele wissen gar nicht, welche Vorgaben es im deutschen Jugendschutz gibt.“

So hielt sich unter amerikanischen Publishern lange die Meinung, dass in Deutschland Blut grün zu sein habe. Auch wenn das selbst die Tester in Berlin mehr als verstörte. Heute arbeiten die Entwickler mit den Jugendschützern zusammen und passen ihre Spiele den Bedingungen in Deutschland an. Davon profitieren Studios, Spieler und die USK. Computer- und Videospiele werden so gesellschaftsfähig.

Das hängt auch mit der gestiegenen Medienkompetenz zusammen. Junge Väter und Mütter gehören heute einer Generation an, die mit Videospielen aufgewachsen ist. Und auch unter Menschen, die ohne Maus und Tastatur groß geworden sind, werden Spiele immer beliebter. Der durchschnittliche Gamer ist Statistiken zufolge 32 Jahre alt. Dieser Entwicklung müsse sich auch der Jugendschutz anpassen, sagt Falk. „Doch da könnten wir in Deutschland deutlich besser sein“, sagt er.

Er lässt seine Schultern sinken und sein Lächeln wird schwächer. „Leider bleiben wir im Jugendmedienschutz derzeit weit hinter der Medienrealität zurück, und hier ist jetzt die Politik gefragt.“

Die letzte Anpassung der Jugendschutzgesetzte stammt aus dem Jahr 2003. „Sehen Sie sich das Internet damals und das Internet heute an“, sagt Falk. „Da ist so viel passiert, dass auch der gesetzliche Jugendschutz endlich weiterentwickelt werden muss.“ Dennoch arbeite auch die USK noch immer mit diesem „veralteten, starren Korsett“.

Der Geschäftsführer redet mit weit ausholenden Gesten, während er auf die Probleme zu sprechen kommt. „Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Off- und Online. Zudem verändert sich die Medienrealität von Kindern und Jugendlichen, darauf muss man reagieren können.“ Er fordert daher eine rasche Modernisierung, Vereinfachung und Vereinheitlichung der inzwischen in die Jahre gekommenen Gesetze. Sonst werde das System über kurz oder lang überflüssig.

Der größte Markt ist heute im Internet. Auf Plattformen mit Namen wie Steam oder Origin setzen die Publisher hunderte Millionen um. Die USK hat nur noch begrenzten Zugriff auf ihr Handeln im Netz. Zudem hat das Aufkommen des App-Marktes für Smartphones und Tablets gezeigt, dass das klassische System der USK nicht mehr zeitgemäß ist. Darauf haben die Prüfer reagiert. Mit einem Fragebogen, der basierend auf den Antworten automatisch ein Prüfsiegel vergibt.

Die Zukunft ist automatisch

Je nach Nation werden die Fragen unterschiedlich gewichtet. Legen die Deutschen mehr Wert auf die Kontrolle von Gewalt, zensieren die Amerikaner am liebsten nackte Haut. Die USK hat mit diesem System eine automatische Prüfung geschaffen, die schnell und problemlos auch für junge Entwickler zugänglich ist. Seit Mai kommt sie in Googles Playstore zum Einsatz. Bis zu 40 000 Spiele werden so an einem Tag bewertet – so viele wie die USK in 21 Jahren bearbeitete.

Auch die großen Videospielgiganten haben das automatische System für sich entdeckt. So werden in Zukunft wohl große Titel, mit einem Budget von vielen Millionen Euro, nicht mehr von Testern in Berlin bewertet werden. Vielmehr dürfte die USK zum reinen Kontrollgremium werden, das falsche Angaben in den Fragenbögen aufspürt und Vergehen gegebenenfalls bestraft. Und wenn es nach Felix Falk geht, wird die USK vor allem auch aufklären. „Jugendschutz ist keine Mauer, die um ein Kind herumgebaut werden kann und die 100 Prozent Schutz bietet. Moderner Jugendmedienschutz ist vielmehr intelligentes Risikomanagement“, erklärt er.

Was Eltern über Computerspiele wissen sollten

Alterseinstufungen: Auf jeder Computerspiel-Verpackung und in der Regel auf jedem Datenträger finden sich die Altersfreigaben der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) gemäß Paragraf 14 des Jugendschutzgesetzes.

USK ab 0: Dieses Symbol kennzeichnet familienfreundliche Spiele ohne Altersbeschränkung wie Geschicklichkeits- und Gesellschaftsspiele für Kinder und Erwachsene. Frei ab 6: Familienfreundliche Spiele, die bereits spannender und wettkampfbetonter ausfallen dürfen. Frei ab 12: Deutlich kampfbetontere Spiele, die in einem historischen, futuristischen oder märchenhaft-mystischen Kontext angesiedelt sind, sodass sie dem Spieler Distanzierungsmöglichkeiten bieten. Darunter fallen Strategie- und

Rollenspiele, aber auch militärische Simulationen.

Frei ab 16: Diese Spiele zeigen zum Teil Gewalthandlungen. Zur Käuferschicht gehören auch Erwachsene. Häufig geht es um bewaffnete Kämpfe und militärische Missionen.

Frei ab 18: Diese Spiele thematisieren nahezu ausschließlich gewalthaltige Spielkonzepte und erzeugen häufig eine düstere und bedrohliche Atmosphäre. Sie sind ausschließlich für Erwachsene. Die Storys handeln von brutalen Kämpfen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Broschüre: In einem kostenlos erhältlichen Heft unter dem Titel „Kinder und Jugendliche schützen“ informiert die USK Eltern über die Arbeit der Selbstkontrolle und gibt Empfehlungen. Der Elternratgeber kann auf der Website www.usk.de/usk-broschueren/ bestellt oder heruntergeladen werden. Spieleratgeber: Vor allem für kleinere Kinder gibt es eine große Auswahl an geeigneten Spielen. Eine Liste von Spielen mit dem Siegel „Pädagogisch wertvoll“ finden Sie auf der Internet-Seite www.Spieleratgeber-nrw.de oder www.internet-abc.de Text: AZ/WHO

 
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