Wer mit der Sozialdemokratie immer noch die Partei der Arbeiterschaft verbindet, muss zweimal hinschauen, wenn der neue österreichische SPÖ-Vorsitzende Christian Kern auftritt. Schmaler dunkler Designeranzug, dunkle Krawatte, ein zäher Läufertyp mit einer Menge Falten im ziemlich braunen Gesicht. Den Würstelstand überlässt der 50-Jährige augenscheinlich lieber dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der – das zeigte dieser Parteitag – einer früheren Generation von Sozialdemokraten angehört.
Generationsübergreifend standen beiden am Samstag aber ebenso wie vielen Delegierten die Tränen in den Augen, als die Rede Kerns vier Minuten lang bejubelt wurde. Keine zwei Monate hat die SPÖ nach ihrem Desaster bei der Bundespräsidentenwahl mit elf Prozent für den roten Kandidaten Hundstorfer gebraucht, um Bundeskanzler und Parteichef Werner Faymann mit einem Pfeifkonzert bei der 1. Mai-Kundgebung zu stürzen und einen neuen Kanzler mit 97 Prozent zum Parteivorsitzenden zu wählen und enthusiastisch zu bejubeln.
„Meine persönliche Überzeugung ist, das sozialdemokratische Zeitalter fängt jetzt erst gerade an“, sagte der studierte Kommunikationswissenschaftler Kern in getragenem Ton. „Unser historisches Mandat ist längst nicht verbraucht.“ Das war zwar Balsam für die geschundene rote Seele. Doch die Probleme, vor denen Kern steht, sind dieselben, die schon sein Vorgänger Werner Faymann in der bestehenden Großen Koalition nicht lösen konnte. Faymann war nicht zum Parteitag gekommen. Die früheren Bundeskanzler Franz Vranitzky und Alfred Gusenbauer verfolgten hingegen die mehr als 80-minütigen Rede wohlwollend, in der der frühere Bahnchef Kern eine Art verbalen Linksruck für die SPÖ vollzog. Er forderte einmal mehr eine Vermögenssteuer, Arbeitszeitverkürzung und eine Entlastung für Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen. „Wir können uns nicht in einer undefinierter Mitte bewegen. Die Menschen erwarten wieder eine sozialdemokratische Handschrift.“ Jubel kam auf, als er die gerechte Besteuerung von Multis wie Apple, Google und Starbucks forderte.
Nicht überheblich sein
Kern bekannte, der Koalitionspartner ÖVP mache es ihm schwer, verhalte sich wirtschaftspolitisch „retro“. Aktuelle Probleme wie den Brexit und die Flüchtlingsfrage klammerte er weitgehend aus, widmete sich aber ausführlich der rechtspopulistischen FPÖ. Deren Wähler müsse die SPÖ zurückgewinnen, forderte er. Dabei gelte es, nicht überheblich zu sein. Beispielhaft beschrieb er ein Paar: Der Mann trägt Pakete aus, die Frau arbeitet in einer Bäckerei. Sie sorgen für die Kinder und abends schauen sie fern. Denen könne man nicht sagen, wie die SPÖ es derzeit mache, sie sollten sich weiterbilden, Multikulti lieben und den Kindern Gedichte vorlesen. Die FPÖ dagegen gebe ihnen das Gefühl: Ihr seid okay. Um diese Menschen zu erreichen, müsse die SPÖ weniger abgehoben auftreten.
Die Wortmeldungen im Anschluss an die Rede zeigten, dass die unterschiedlichen Positionen in der SPÖ weiter bestehen, gerade in der Flüchtlingsfrage.