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Im Boden lauert der Tod
Flüchtlinge: Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Myanmar (früher Burma) hat Zehntausende Karen über die Grenze nach Thailand getrieben. Dort leben sie weitgehend rechtlos in Lagern. Auch nach dem Waffenstillstand bleibt die Rückkehr lebensgefährlich.
reda
 |  aktualisiert: 13.08.2015 18:43 Uhr

Htee Soe Ehs Spähmission endet in einem Desaster. Über dem Sprengsatz wuchert Gras. Eine dumpfe Explosion. Htee Soe Eh spürt noch den stechenden Schmerz, dann verliert er das Bewusstsein. Der 19-Jährige hat keine Chance, die Landmine rechtzeitig zu entdecken.

„Sag uns, ob wir wieder zurück können“, hatte seine Mutter ihm gesagt, bevor er aus dem Flüchtlingslager in sein altes Heimatdorf in Burma loszog. Fast zehn Jahre nach der Flucht kehrte er mit anderen aus dem Camp für die Visite zurück. Die kleine Reise auf die burmesische Seite kostete den Teenager sein linkes Bein. Es grenzt an ein Wunder, dass er nicht verblutet ist. Seine Freunde tragen ihn im Laufschritt durch den Dschungel zurück. Hetzen über Trampelpfade durch das Dickicht. Bis zum sicheren Lager auf thailändischer Seite.

Ein halbes Jahr später steht er im kleinen Reha-Zentrum der Hilfsorganisation Handicap International. Htee Soe Eh blickt in den mannshohen Spiegel, der für die Gehübungen am Ende der kleinen Halle steht. Die Haare hängen ihm im Tokyo-Style halb ins Gesicht. Sie verdecken nur wenig die Fassungslosigkeit, die der junge Mann noch immer spürt, wenn er sich mit nur einem Bein im Spiegel sieht.

Der Teenager dreht sich um: „Ich kann nur jeden warnen, der zurückgeht. Passt auf, im Boden kann der Tod auf euch warten.“

In den ehemaligen Kampfgebieten zwischen den Milizen der Karen und Regierungseinheiten sind Landminen weiter todbringende Relikte eines jahrzehntelangen Konflikts. Erst seit 2012 schweigen in dem Gebiet längs der Grenze zu Thailand die Waffen. Ganze Gebiete sind durch Minen verseucht. Dazu kommt, dass die Sprengsätze in der Regenzeit oft aus dem Boden gespült werden, an Plätze „wandern“, die niemandem als Minenfelder bekannt sind.

Es sind nicht nur Landminen, die dafür sorgen, dass die Rückkehr der Karen-Flüchtlinge in ihre Heimat in Burma sich nur schleppend anlässt. Keiner traut der Regierung in Rangoon. „Das sind immer noch die gleichen Generäle“, argwöhnen viele der Flüchtlinge. Ist da nicht das Wiederaufflammen der Kämpfe zwischen Regierungstruppen und andere ethnischer Rebellen Beweis genug? So geht die Rückkehr der Karen in ihre alte Heimat zögerlich voran. Laut The Border Consortium (TBC) leben rund 110 000 Menschen in den neun Flüchtlingslagern entlang der Grenze zu Burma (Stand Anfang 2015). Die ältesten Lager bestehen seit 30 Jahren.

Am Lagereingang des Ma Ra Ma Lung Camps steht ein Checkpoint mit Sandsäcken, Stacheldraht und einer Wellblechhütte. Dahinter auf den ersten Blick pure Urwaldromantik. Die Schranke schwingt nach oben, die Soldaten winken durch. Hinter laubbedeckten Bambushütten ragt der Dschungel wie eine grüne Wand auf. Das Lager wirkt ein wenig wie ein Öko-Camp. Auf den Bambushütten liegen Blätterdächer. Die kleinen Häuser stehen auf Holzstelen, nicht auf Beton-Fundamenten wie in Dörfern der Thais. Zum Bau verwenden die Bewohner, was der Urwald hergibt. Viel mehr könnten sich die meisten nicht leisten. Andere Baumaterialien sind von den thailändischen Behörden nicht erwünscht. Obwohl die Camps seit Jahrzehnten bestehen, sind sie offiziell stets nur temporäre Lager geblieben. Die Hütten sollen Provisorien bleiben.

Durch das Camp schlängelt sich glänzend ein Fluss im Sonnenlicht. Nan Paw Htoo?s Hütte steht nicht weit vom Ufer entfernt: ein kleines Bambushäuschen auf Stelzen. Die 46-Jährige hat Angst davor, ihre Unterkunft in nicht allzu ferner Zukunft verlassen zu müssen. Im Lager befürchten die Menschen die Auflösung der Camps. Die Situation eines Flüchtlings in Thailand ist weitgehend rechtlos.

Das Königreich hat bis heute die Flüchtlingskonvention von 1951 nicht ratifiziert. Es gibt weder ein Flüchtlingsgesetz noch ein funktionierendes Asylverfahren. Flüchtlinge, die außerhalb der vorgesehenen Lager für Burmesen leben, gelten als illegal.

Wollte die 46-jährige Nan Paw Htoo das Lager in Richtung Thailand verlassen, sie bräuchte eine Sondererlaubnis. Nur die Grenze zu Burma ist offen. Niemand kontrolliert hier die Grenzgänger. Wäre sie nicht durch eine Behinderung beeinträchtigt, könnte sie den Status als Arbeitsmigrantin in Thailand anstreben. Doch ist das Arbeitsvisum abgelaufen, droht meist die umgehende Abschiebung nach Burma. Nan Paw Htoo wüsste gar nicht, wie sie eine Reise, geschweige denn eine Rückkehr bewerkstelligen soll. Vor drei Jahren hatte ihre Mutter einen Schlaganfall. Zuvor verschwand ihr Bruder spurlos, als er die Grenze überschritt, um die Lage im Heimatdorf Ta Tong zu erkunden. Kurz darauf starb die Schwester während einer Schwangerschaft. Flüchtlingsschicksale. Jetzt sind die beiden Frauen auf sich gestellt. Mehrmals am Tag wäscht die 46-Jährige ihre inkontinente Mutter. Jedes Mal eine Herausforderung für die kleinwüchsige Frau, die zudem noch an Osteogenesis imperfecta leidet.

„Ich habe Glasknochen. Was passiert, wenn ich einmal unachtsam bin und stürze? Wer kümmert sich dann um meine Mutter, wenn meine Knochen gebrochen sind?“ Nan Paw Htoo seufzt.

Vor sich hat sie auf einem kleinen Tisch Bananenblätter liegen und füllt sie mit einem Teig. Auf ihre kleinen Per-Ei-Per-Kuchen schwören die Schulkinder. „Mit dem kleinen Kuchenverkauf bringe ich mich und meine Mutter so einigermaßen durch“, sagt die 46-Jährige und lächelt. „Aber wissen Sie, meine Mutter würde den Transport nach Burma nicht überleben. Selbst wenn, wir würden vor dem Nichts stehen“, sagt Nan Paw Htoo.

In der kleinen Handicap-International-Werkstatt des Camps fertigt Kwan Kyi Prothesen für Minenüberlebende wie Htee So Eh an. „Ich bin jeden Tag froh, wenn es keine neuen Unfälle auf burmesischer Seite gibt“, meint er. Er hat selbst ein Bein bei einer Explosion verloren. „Das Leben in einem Flüchtlingslager ist traurig und hart genug. Aber in meinem Heimatdorf gab es anstatt Entwicklung nur jahrzehntelangen Krieg. Und ich habe Angst, dass er wieder beginnt“, fügt er hinzu. Vor allem für Kranke, Menschen mit Behinderung und Kinder und Jugendliche bieten die Lager Schutz.

Kwan Kyis Tochter leidet unter Zerebralese. „Wir haben dank der Physiotherapie so viel mit unserer kleinen Su Gyi Na geschafft. Sie geht in die Schule wie alle anderen Kinder. Ich will gar nicht daran denken, was eine Rückkehr für sie bedeuten würde.“

Wer spenden will, kann dies auf folgendes Konto der Hilfsorganisation tun: Handicap International Stichwort: „Flüchtlinge Thailand“, Bank für Sozialwirtschaft

IBAN: DE07 7002 0500 0008 8172 00 BIC: BFSWDE33MUE

 
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