
Während seiner ersten USA-Reise als Arbeitsminister hat Hubertus Heil (SPD) unter anderem Washington und Detroit besucht. Dabei warnte er nicht nur vor den von Donald Trump geplanten Autozöllen, sondern interessierte sich auch für die US-Sozialpolitik. Ein Gespräch über Abgehängten im Rostgürtel, die Lehren für Deutschland und warum er die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung durchsetzen will.
Hubertus Heil: Ich wollte erfahren, wie der Strukturwandel hier abgelaufen ist, welche Brüche es gegeben hat und welche Fehler gemacht worden sind. Diese Region hat nach der Finanzkrise die höchste Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten erlebt. Sie scheint sich jetzt Stück für Stück zu berappeln. Das finde ich hochinteressant auch für uns.
Heil: Ich komme aus einer niedersächsischen Stadt mit 50.000 Einwohnern. In meiner Jugend waren da 10 000 Menschen im Stahlwerk beschäftigt. Inzwischen sind es 800. Wir haben schwierige Zeiten erlebt, am Ende aber einen erfolgreichen Strukturwandel hingekommen. Nun steht die Automobilindustrie vor einem erneuten rasanten Strukturwandel durch die Digitalisierung und die Elektromobilität. Da ist es sehr hilfreich, sich in Regionen mit einem ähnlich starken produzierenden Gewerbe umzusehen und zu lernen, was man richtig oder falsch machen kann.
Heil: Die Demokraten haben nicht richtig mobilisiert. Viele Wähler sind zuhause geblieben, weil die Partei mit Hillary Clinton als zu abgehoben wahrgenommen wurde. Viele Arbeiter haben sich zudem im Stich gelassen gefühlt – und haben aus Frust und Enttäuschung einen Präsidenten gewählt, der ihnen als erstes die Krankenversicherung wegnimmt.
Heil: Wir müssen aufpassen, dass Ängste und Sorgen von Menschen nicht von Anderen politisch instrumentalisiert werden. Dazu brauchen wir eine aktive Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik, um den Veränderungsprozess zu organisieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die sich anstrengen und hart arbeiten, am Ende des Tages nicht die Wertschätzung bekommen, die Ihnen zusteht.
Heil: Nein, Populismus lehne ich in jeder Spielart ab. Aber Politik muss Probleme lösen und darf gleichzeitig nicht aus den Augen verlieren, was die alltäglichen Sorgen der Menschen sind. Die dürfen sich nicht im Stich gelassen fühlen. Gute Politik muss beides sein: realistisch und mitfühlend.
Heil: Nein. Es ist ein Kernversprechen des Sozialstaats, dass man nach einem harten Arbeitsleben eine ordentliche Rente hat. Dieses Versprechen wird für viele Menschen derzeit nicht mehr eingelöst, die aufgrund ihrer niedrigen Löhne im Alter oft nicht mehr bekommen als die staatliche Grundsicherung. Mir geht es darum, das Vertrauen der Menschen in die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung wiederherzustellen.
Heil: Jetzt kommen Sie bloß nicht mit dem überstrapazierten Klischee der Zahnarztgattin! Das Beispiel ist konstruiert und übertrieben. Voraussetzung für die Grundrente ist, dass Menschen ihr Leben lang gearbeitet haben, wobei Kinder- und Erziehungszeiten mitgerechnet werden. Es geht um die Anerkennung von Lebensleistung, nicht um Bedürftigkeit. Mein Gesetzesentwurf wird zielgerichtet die Menschen erreichen, die es angeht: die Friseurin, den Lagerarbeiter oder die Altenpflegerin, die im Moment oft auf die Grundsicherung zurückgeworfen werden.
Heil: Ich werde als zuständiger Bundesminister im Mai einen Gesetzesentwurf vorlegen. Es wird ein Vorschlag sein, der das Problem löst. Im Koalitionsvertrag steht ausdrücklich, dass wir die Lebensleistung von Menschen respektieren und Altersarmut bekämpfen wollen. Genau das werde ich tun, ohne neue Hürden zu erreichten. Mein Gesetzesentwurf wird keine Bedürftigkeitsprüfung vorsehen. Die halte ich weder für richtig noch für notwendig.
Heil: Das ist ein erheblicher finanzieller Kraftakt und wird einen mittleren einstelligen Milliardenbetrag im Jahr kosten - das sollte es unserer Gesellschaft aber auch wert sein.
Heil: Ich will eine Grundrente, die den Namen auch verdient. Mein Vorschlag zielt nicht auf einen kommenden Wahlkampf. Ich will ihn in dieser Regierung umsetzen.
Heil: Für mich ist es eine Frage der Überzeugung, dass wir die Grundrente endlich umsetzen. Wir sollten das nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben. Die Menschen, für die wir das machen, haben das verdient.
Heil: Das sehe ich komplett anders. Die SPD führt nicht abstrakte ideologische Debatten, sondern will den Lebensalltag von Menschen konkret verbessern. Das zielt auf die Mitte der Gesellschaft und ist genau der Ansatz der Gouverneurin.