Die britische Botschaft in der Wilhelmstraße gehört zu den Gebäuden, an denen sich in Berlin die Geister scheiden. Ein futuristischer Bau von der Jahrtausendwende mit zwei poppigen Baukörpern in Hellblau und Lila, die nach draußen ragen. Auch zwölfeinhalb Jahre nach der Eröffnung durch Queen Elizabeth II. haben sich Deutschlands Hauptstädter noch nicht daran gewöhnt. Jetzt gibt es noch einen zusätzlichen Aufreger: einen zeltähnlichen Aufbau auf dem Dach von Her Majesty's Embassy, den bislang kaum jemand so richtig wahrgenommen hat.
Nach einem Bericht der Tageszeitung „The Independent“ soll es sich dabei um einen Horchposten der britischen Geheimdienste handeln. Nach dem vermeintlichen „Nest“ auf dem Dach der US-Botschaft wäre das dann schon die zweite Spionageeinrichtung, die innerhalb von wenigen Tagen mitten im deutschen Regierungsviertel enttarnt wird. Auch dieses Mal gehen die Informationen auf Dokumente zurück, die der amerikanische Ex-Geheimdienstler Edward Snowden beiseitegeschafft hat. Dem „Independent“ zufolge befindet sich die merkwürdige Struktur schon seit der Eröffnung der Botschaft im Jahr 2000 auf dem Dach. Sie sehe anderen Abhörstationen des britischen Geheimdiensts GCHQ „frappierend ähnlich“. Und tatsächlich ähnelt das Konstrukt auch dem Horchposten, mit dem Briten und Amerikaner bis zum Fall der Mauer im November 1989 auf dem Berliner Teufelsberg die Kommunikation in Ostberlin belauschten.
In Großbritannien wird die Angelegenheit nach außen hin totgeschwiegen. Dem Nachrichtensender BBC News war die Angelegenheit am Dienstag keine Sendeminute wert. Offiziell gibt es von britischer Seite dazu keinen Kommentar. Botschafter Simon McDonald ließ nur ausrichten: „Wir können zu geheimdienstlichen Aktivitäten keine Auskunft geben.“ Einige werten das schon als halbes Eingeständnis, dass auf dem Dach tatsächlich Geheimdienstler aktiv sind.
So musste McDonald – auf Posten in Berlin schon seit Oktober 2010 – am Nachmittag auch zum ersten Mal zum Rapport ins Auswärtige Amt. Auf eine offizielle Einbestellung, wie sie im Oktober US-Botschafter John Emerson erleben musste, verzichtete der amtierende Außenminister Guido Westerwelle. Der FDP-Politiker überließ das Gespräch auch dem Leiter seiner Europa-Abteilung. Aber McDonald sei klargemacht worden, dass „das Abhören von Kommunikation aus den Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission ein völkerrechtswidriges Handeln wäre“, hieß es anschließend.
Für die Bundesregierung sind die Berichte über die Bespitzelung durch einen weiteren engen Partner nicht wirklich eine Überraschung. Zusammen mit Australien, Kanada und Neuseeland kooperieren die USA und Großbritannien im „Five Eyes“-Verbund zum Austausch geheimer Informationen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes ist auch die britische Botschaft bereits seit Bekanntwerden der NSA-Affäre im Juli verstärkt im Visier der deutschen Spionageabwehr.
Interessanter dürfte die politische Reaktion werden. Das persönliche Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Großbritanniens Premierminister David Cameron galt bisher als ausgezeichnet. Die passende Chemie zwischen beiden soll schon über manches inhaltliche Problem mit dem EU-Rebellen Großbritannien hinweggeholfen haben, berichten Diplomaten. Doch nicht zuletzt wegen der britischen Spionage gegen sogenannte „Freunde“ wächst der Groll.
Was können die Briten abhören?
Im Skandal um die weitreichende Überwachung von Internet- und Telekommunikationswegen kann sich auch das umfangreiche Späharsenal des britischen Geheimdienstes GCHQ sehen lassen.
Tempora: Dieser Codename bezeichnet umfassende Überwachungsmöglichkeiten des globalen Internetverkehrs. Die Briten zapfen dazu die Unterseekabel an, über die Daten um die Welt rasen. Dabei hilft ihnen die geografische Lage vor Europa. Abhörstation: Am Dienstag berichtete die „Süddeutsche“, dass der GCHQ gemeinsam mit der NSA eine Abhörstation auf Zypern betreibe. Hier laufen mehrere Unterseekabel entlang, die Europa mit dem Nahen Osten verbinden.
Spähen aus der Botschaft: Großbritannien soll von seiner Berliner Botschaft aus das Regierungsviertel abhören können. Luftbilder deuteten auf einen Horchposten auf dem Dach der Botschaft hin, schrieb das britische Blatt „The Independent“. Text: dpa