Der Atomvertrag zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft ist rund um den Globus als ein historischer Fortschritt begrüßt worden. Barack Obama nannte die 100-seitige Vereinbarung, die den Atomstreit nach 13-jährigem Ringen beilegt, einen Erfolg für die amerikanische Diplomatie. Jahrzehntelang sei die Islamische Republik ein „eingeschworener Gegner der Vereinigten Staaten“ gewesen, erklärte der US-Präsident. Er hoffe, die nahöstliche Region, die so viel Leid und Blutvergießen erfahre, werde nun in eine andere Richtung gehen. Obama hat dem amerikanischen Kongress sogar mit einem Veto gedroht, falls dieser das Atomabkommen noch zu kippen versuchen sollte. „Ich werde gegen jegliche Gesetzgebung ein Veto einlegen, die die Umsetzung dieses Deals verhindert“, sagte er.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach von einem Hoffnungszeichen für die ganze Welt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier wertete die Einigung als „Beweis, dass weltpolitische Konflikte mit Dialog und Beharrlichkeit“ gelöst werden könnten. Man habe einen Konflikt beigelegt, „der die Welt zwischenzeitlich sogar an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung gebracht hat“.
Der iranische Griff nach der Atombombe werde auf absehbare Zeit verlässlich und nachprüfbar ausgeschlossen. Irans Präsident Hassan Rouhani sprach von einem neuen Kapitel, weil sich das gegenseitige Misstrauen nun Schritt um Schritt verringern ließe. „Heute ist ein Tag des Aufbruchs in eine bessere Zukunft für unsere Jugend, für mehr Fortschritt und Wohlergehen“, sagte er in einer Fernsehrede an sein Volk.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu dagegen geißelte die Einigung als „schweren Fehler von historischen Dimensionen“. Zu den Kritikern zählen auch Saudi-Arabien und die Golfstaaten, die eine Hegemonie des Iran im nahöstlichen Machtgefüge befürchten. Der französische Präsident François Hollande forderte Teheran auf, dem Westen nun auch zu helfen, den Syrienkrieg zu beenden. Der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar erwartet deshalb nun die „Mutter aller Lobbyschlachten“ vonseiten der Gegner des Deals. Netanjahu werde alles versuchen, um die Vereinbarung mithilfe des US-Kongresses noch zum Scheitern zu bringen, sagte der Politikwissenschaftler der Deutschen Presse-Agentur.
Das hochkomplexe und detaillierte Vertragswerk soll den Bau einer iranischen Atombombe verhindern. Die Islamische Republik verpflichtet sich, zwei Drittel seiner 19 000 Uranzentrifugen abzubauen und unter die Aufsicht der Wiener Atombehörde IAEO zu stellen. 95 Prozent des bisher angereicherten Urans wird außer Landes gebracht oder vernichtet. Der Restbestand auf iranischem Territorium bleibt für 15 Jahre auf maximal 300 Kilogramm mit einem Anreicherungsgrad von 3,67 Prozent beschränkt. Im gleichen Zeitraum darf eine Anreicherung nur in Natanz stattfinden, nicht in der zweiten unterirdischen Anlage von Fodor, die zu einer Forschungseinrichtung umgebaut wird. Der nahezu fertige Schwerwasserreaktor in Arak muss so umgerüstet werden, dass er kein Plutonium mehr erzeugen kann. Iran verpflichtet sich zudem, keine weiteren Reaktoren dieses Typs oder eine Wiederaufbereitungsanlage zu bauen. Darüber hinaus erhält die IAEO für das nächste Vierteljahrhundert außerordentliche Kontrollrechte.
„Heute ist ein Tag
des Aufbruchs in eine
bessere Zukunft für
unsere Jugend, für mehr
Fortschritt und Wohlergehen.“
Im Gegenzug werden die westlichen Sanktionen schrittweise gelockert oder aufgehoben – nach Auskunft von Diplomaten frühestens zu Beginn des kommenden Jahres 2016, nachdem Teheran seine Atom-Zugeständnisse erfüllt hat. Sollte der Iran gegen Teile des Vertrags verstoßen, können Sanktionen sofort wieder in Kraft treten, auch dann, wenn der Sicherheitsrat – wie bei Syrien – durch ein Veto von Russland und China blockiert werden sollte. Das UN-Waffenembargo bleibt weitere fünf Jahre in Kraft, das Embargo für Raketenteile weitere acht Jahre.
Im Iran hatten die Menschen in den letzten Tagen gespannt und nervös auf die erlösende Nachricht aus Wien gewartet. Immer wieder mussten sie ihre Jubelpartys verschieben, weil die Gespräche im Palais Coburg auf der Stelle traten. Doch nach dem feierlichen Schlussakkord am Dienstag gab es am Abend auf den Straßen Teherans kein Halten mehr. Hupende Autokorsos kreisten durch die Hauptstadt.
Zehntausende tanzten auf spontanen Straßenfesten, um das Ende der Sanktionen und der jahrzehntelangen Isolierung zu feiern. „Jeder Iraner ist heute glücklich“, sagte eine junge Frau dem Sender Al Dschasira „Schade, dass das Ganze nicht schon früher passiert ist.“ Der Oberste Revolutionsführer Ali Chamenei lud Präsident Rouhani und das gesamte Kabinett am Abend zum Ramadan-Fastenbrechen in seine Residenz ein – ein Zeichen, dass auch der mächtigste Mann im Gottesstaat die Vereinbarung billigt.
Denn der Erfolg in Wien könnte der Islamischen Republik bald einen beispiellosen Investitionsboom bescheren. Mehr als 100 Milliarden Dollar Öleinnahmen liegen festgefroren im Ausland, die in den kommenden Jahren in das Land zurückfließen. Zahlreiche europäische Nationen waren bereits mit großen Delegationen in Teheran, vor allem Autohersteller und Pharmakonzerne. Am Sonntag hat sich auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kurzfristig angesagt. Dem Iran fehlen mindestens 100 neue Passagierflugzeuge. Seine Öl- und Gasindustrie hat einen Investitionsrückstau von 50 bis 100 Milliarden Dollar. Die Hälfte der 20 Millionen Autos ist inzwischen mehr als 25 Jahre alt.
„Iran wird ein Riesengeschäft“, frohlockt ein westlicher Wirtschaftsexperte. „Die Islamische Republik ist eine Goldgrube.“ Mit Informationen der Dpa
Was das Atomabkommen für die arabische Welt bedeutet
Saudi-Arabien: Das sunnitische Königreich betrachtet den schiitischen Iran als Erzfeind und befürchtet einen noch größeren Einfluss Teherans. Ein Iran mit Atomwaffen wäre für Saudi-Arabien ein Albtraum. Die Golfstaaten wollten deshalb von den USA umfassende Sicherheitsgarantien, was Washington ablehnte. Sollten die Saudis von dem Abkommen nicht überzeugt sein, könnten sie ihr eigenes Nuklearprogramm beschleunigen – und selbst nach Atomwaffen streben.
Syrien: Iran ist Syriens wichtigster Verbündeter: Ohne Hilfe aus Teheran wäre das Regime von Baschar al-Assad schon gestürzt. Es gibt zwei Szenarien: Ein wirtschaftlich stärkerer Iran könnte seine Hilfe für Damaskus aufstocken – was den Bürgerkrieg verlängern dürfte. Das andere Szenario: Nach dem Atomabkommen wird der Iran stärker in die internationalen Bemühungen um eine politische Lösung für den Konflikt eingebunden – das könnte den Weg zu neuen Verhandlungen ebnen.
Irak: Der Iran hat Einfluss im Nachbarland, dessen Regierung von Schiiten dominiert wird. Von Teheran unterstützte schiitische Milizen sind im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) führend. Das Abkommen könnte die Zusammenarbeit der Milizen mit dem US-Militär vereinfachen, das die irakische Armee unterstützt und Luftangriffe gegen den IS fliegt.
Jemen: Saudi-Arabien wirft Teheran vor, die schiitischen Huthi-Rebellen in dem Bürgerkriegsland mit Geld und Waffen zu unterstützen. Riad will verhindern, dass Teheran und schiitische Kräfte größeren Einfluss im Jemen bekommen. Das Abkommen könnte dazu führen, dass Saudi-Arabien und seine arabischen Verbündeten ihre Hilfe für die gestürzte Regierung vergrößern. Text: Dpa