Frühmorgens, ein schlichtes Wohnviertel im Nordosten des US-Bundesstaats Iowa. In dem kaum 30 Quadratmeter kleinen Friseurladen „Hairport“ in Waterloo brummt der Rasierer von Trent Keller, darunter sinken die dichten Locken seiner afroamerikanischen Kundschaft zu Boden. „2008 habe ich Barack Obama gewählt“, sagt der silberbärtige Schwarze mit der kräftigen Brille. „Er hat eine Menge bewirkt und das Land aus der Wirtschaftskrise geführt. Aber 2012 konnte ich es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, für Abtreibung, Drogenfreigabe und all diese Dinge zu stimmen.“
Der 42-Jährige hat hohen Besuch: Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Rand Paul ist in seinem kleinen Geschäft zu Gast, leger mit Jeans und Gesundheitsschuhen. „Die Trennung von Kirche und Staat ist ein Fehler“, sagt der Senator aus Kentucky. „Wir brauchen Amtsträger mit einer moralischen Grundlage.“
Der 52-Jährige verspricht bessere Bildungschancen, eine Justizreform und Gehör für die Anliegen der Agrarindustrie, von der hier alle leben; vom weltgrößten Landmaschinenbauer John Deere bis zur Ethanolbranche, die sich von der demokratischen Regierung ausgebremst fühlt. Die gerade mal 20 Zuhörer sind angetan, sie laden den Republikaner zum Gebet.
Politikveranstaltungen beim Friseur, Afroamerikaner, die Barack Obama nicht wählen, konservative Bio-Produzenten: Iowa ist ein besonderes Pflaster – und vor beinahe jeder Präsidentschaftskür mitverantwortlich für einen kräftigen Rechtsruck. Am 1. Februar finden hier auch 2016 wieder die landesweit ersten Vorwahlen statt. Bei den Demokraten liegt Hillary Clinton so weit vorn, dass von Spannung keine Rede sein kann. Für Republikaner aber bietet der Drei-Millionen-Einwohner-Staat die Chance, mit vergleichsweise geringem Aufwand bundesweit bekannt zu werden.
Zwei Hürden gibt es auf diesem Weg. Die überdurchschnittlich weiße, stark evangelikal geprägte Bevölkerung ist sehr viel konservativer als andere Teile des Landes. Das verlangt Bewerbern klare Bekenntnisse ab. Außerdem fordert die Tradition demütiges Klinkenputzen auch von denjenigen, die, wie Rand Paul, vom Magazin „Time“ noch 2014 als „interessantester Mann in der Politik“ bezeichnet wurden. New Jerseys Gouverneur Chris Christie kürte dasselbe Blatt 2013 ob seiner vermeintlichen Unausweichlichkeit zum „Elefanten im Raum“; nun tingelt er zeitgleich mit Paul durch mager besuchte Cafés. Die frühere Chefin des Weltkonzerns Hewlett-Packard, Carly Fiorina, hat in einer entlegenen Bio-Raffinerie Mühe, überhaupt auf eine zweistellige Zuhörerzahl zu kommen.
Iowas Wähler nehmen ihre Vorreiterfunktion ernst. Sie bestehen darauf, die Kandidaten direkt kennenzulernen. Allerdings honorieren sie die Ochsentour diesmal kaum: Keiner der Genannten kommt derzeit im Staat über fünf Prozent Zustimmung, nicht einmal Präsidentenbruder Jeb Bush.
In Führung lag bislang der Einzige, der sich für mühsame Kleinveranstaltungen zu schade war: Donald Trump. Der Milliardär schwebt zu seinen Events gewöhnlich im Privatflieger ein, er übernachtet nur selten. Im Gegensatz zu Politikern wird ihm dieser Luxus nicht als Abgehobenheit angekreidet, der Bombast passt zum Image des starken Mannes. Der Rest des Feldes hofft auf eine Chance, wenn seine Kampagne implodiert.
Nicht nur die Umfragen zeigen in Iowa erste Erosionen für den Immobilienzar mit der charakteristischen Föhnwelle. Wer sich umhört, registriert quer durch den Staat eine neue Bewegung: Sie gilt dem texanischen Senator Ted Cruz. „Ich bezweifle, dass Trump wirklich konservativ ist“, sagt der 28-jährige Alex Carlson. Immerhin drohe der Milliardär mit einer unabhängigen Kandidatur. Carlsons Frau Aubrey, ebenfalls 28, erklärt, neben entschiedenem Vorgehen gegen den Terrorismus sei politische Erfahrung wichtig. „Das spricht für Ted Cruz.“ Die Carlsons arbeiten als Einrichtungsanalyst und Personalrekrutiererin in Des Moines.
Sie sind zwei Autostunden nach Cedar Rapids gereist, um bei einer raren Großveranstaltung mehrere Kandidaten gleichzeitig zu erleben: Den „Rising Tide Summit“ der konservativen Lobbyorganisation „Freedom Works“ besuchen fünf Bewerber und knapp 2000 Aktivisten. Trump allerdings nicht, der hält parallel seine eigene Audienz.
Der bisherige Zweite, Ben Carson, verkauft seinen Aufstieg vom Getto-Kind zum Star-Chirurgen als religiöse Erwählungsgeschichte und verkündet: „Ich denke, dass Gott mit dem Land dasselbe vorhat.“ Seine Umfragewerte sind nach absurden Äußerungen etwa über ägyptische Pyramiden als Getreidespeicher aber deutlich gesunken. Star des Treffens ist Ted Cruz, ein Berufspolitiker, der sich um politische Korrektheit kaum mehr schert als Haudegen Donald Trump. Cruz und seinem 44-jährigen Senatskollegen Marco Rubio aus Florida werden inzwischen die realistischsten Chancen auf die Kandidatur eingeräumt. Aber der vergleichsweise moderate Rubio ist zu der erzkonservativen „Freedom Works“-Veranstaltung nicht erschienen.
Wenige Tage nach dem Amoklauf von San Bernardino hat Cruz in Iowa zunächst einen Waffenladen für seinen Wahlkampf gewählt. Nun steht er in Anzug und roten Cowboystiefeln auf der Bühne und spart nicht mit kernigen Worten: Er werde den Islamischen Staat mit einem Explosionsteppich in die Vergessenheit bomben, verspricht der Tea-Party-Held für den Fall seiner Wahl.„Ich weiß nicht, ob Sand in der Dunkelheit glühen kann, aber wir werden es herausfinden.“ Für Cruz ist das eine maßvolle Formulierung. Bei seinen Parteigenossen in Washington gilt er als arroganter Poser, der lieber den Kongress gegen die Wand fährt als auf eine steile Geste zu verzichten. Außer pompösen Kampagnen zur Verteidigung des Christentums hat er bislang wenig erreicht, aber seine Anhänger lieben die Mischung aus Feuer und ätzendem Spott, mit der er Kompromisse bedenkt. Neuerdings bemüht er sich um ein staatstragendes Profil, doch die „Washington Post“ hat noch Anfang Dezember getitelt: „Jeder, nur nicht Ted Cruz“.
Viele Republikaner misstrauen den sogenannten Mainstream-Medien allerdings, und dem Politikbetrieb sowieso. „In den vergangenen Jahren haben wir gelernt, dass die Regierung lügt, wenn sie nur den Mund aufmacht“, sagt Ruth Cooper, eine 69-jährige pensionierte Fabrikarbeiterin. Zusammen mit ihrem Mann Roger, einem 72-jährigen ehemaligen Vertriebsangestellten, macht sie seit Jahrzehnten im Bezirk Basisarbeit für konservative Kandidaten.
„Wir wünschen uns einen ehrlichen Bewerber, der Israel unterstützt und ein Christ ist. Jemanden, der den Herrn liebt und rechtschaffene Dinge für unser Land tun will“, sagt Ruth. „Wir haben noch keine Entscheidung getroffen, es gibt diesmal sehr viele Bewerber“, ergänzt ihr Mann. „Aber wir mögen beide Ted Cruz.“
Als Cruz die Aufnahme syrischer Flüchtlinge ablehnte, habe er das mit einer „sehr mitfühlenden Haltung“ getan. Die Stimmung in der Halle ist aufgeheizt: Ein Zwischenrufer wünscht dem Präsidenten den Tod, ohne davon vom Redner, einem schwarzen Geistlichen, in die Schranken gewiesen zu werden. Dann beschuldigt Rick Santorum Obama, mit seinem Iran-Deal die nukleare Zerstörung der Welt zu befördern.
Aber daran sei dem Islam ja gelegen. „So geht es einem, wenn man Politiker wählt, über deren Hintergrund man sich nicht im Klaren ist.“
Es gibt Abnehmer für solches Gedankengut. „Was mich am meisten an Obama stört, ist, dass er die Terroristen nicht ,islamisch nennt“, erklärt der 69-jährige Paul Jefson am nächsten Tag in Mason City, wo Katholik Santorum mit einer Freikirche Gottesdienst feiert. „Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass er selbst einen starken Glauben an dasjenige hat, was sie tun.“ Dass der Präsident den selbst ernannten Gotteskriegern die religiöse Legitimation absprechen will, leuchtet dem Ex-Bürgermeister einer Nachbargemeinde nicht ein.
Die Gemeindemitglieder in Mason City sind freundlich, sie wollen nicht der Diskriminierung bezichtigt werden. „Es gibt vermutlich schon auch gute Muslime“, sagt eine ältere Dame: „Das ist wie bei den Schwarzen.“ Genannt werden will sie dann doch lieber nicht.
Trump gilt in Bezug auf sein Christentum als unsicherer Kandidat, und manchen ist er zu impulsiv. Seinen bislang spektakulärsten Knaller hat er zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht gezündet: Kurz nachdem eine Umfrage der Universität Monmouth Cruz in Iowa an der Spitze sieht, fordert Trump die „komplette und totale Grenzschließung für Muslime, die in die Vereinigten Staaten einreisen“. Viele konservative Kandidaten distanzieren sich; zwei Drittel der US-Wähler bekennen, sie hätten Angst vor einer Trump-Präsidentschaft. An der republikanischen Basis steigt seine Zustimmungsrate aber prompt.
Und nicht alle Proteste wirken glaubwürdig. Trumps innerparteiliche Konkurrenten haben oft selbst schon mit Ressentiments gezündelt. Nicht wenige hoffen, seine Anhänger für sich zu gewinnen, wenn der Feldzug des Showmans irgendwann endet. Rand Pauls Büro weicht Medienfragen nach Trumps Grenzplänen aus. Cruz erweist sich als Meister des doppelzüngigen Statements. „Das ist nicht meine Politik“, teilt er anfänglich mit und ist damit zunächst aus der Schusslinie. „Ich glaube nicht, dass die Welt meine Stimme in diesem Kritikerchor braucht“, schiebt er einen Tag später aber nach.
„Ich lobe Donald Trump für seine Unerschrockenheit und dafür, dass er Amerikas Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit lenkt, unsere Grenzen zu sichern.“ Die neueste Umfrage sagt: Cruz liegt im konservativen Feld erstmals auch landesweit auf Platz zwei.
Vorwahlen in den USA
In den USA werden die Kandidaten für das Amt des Präsidenten nicht von den Spitzen der Parteien bestimmt, sondern von der Basis der einzelnen Bundesstaaten. Die Vorwahlen von Iowa – sie finden 2016 am 1. Februar statt – und New Hampshire am 9. Februar bilden traditionell den Auftakt, danach folgt South Carolina. Wer in keinem dieser Staaten einen Durchbruch schafft, muss oft bald danach aufgeben, weil ihm die Spenden ausgehen. Dass die Vorwahlen nicht in allen 50 Bundesstaaten gleichzeitig stattfinden, lässt auch jenen Kandidaten Chancen, die nicht sofort im ganzen Land Wahlkämpfe finanzieren können. Allerdings ist die Bevölkerungsstruktur der Vorreiterregionen nicht repräsentativ. In der jüngeren Vergangenheit profitierten davon bei den Republikanern oft Vertreter der radikalkonservativen Tea-Party-Bewegung. Überparteilich mehrheitsfähige Kandidaten setzten sich erst später durch und durften bis dahin nicht zu gemäßigt wirken.
2012 etwa positionierte sich Mitt Romney in der Vorwahlphase so weit rechts, dass er später in der politischen Mitte Probleme bekam. Text: Jsz