An ein wirtschaftliches Ärgernis für Siemens in Frankreich könnte sich ein juristisches anschließen: Nachdem der Münchner Konzern einen Auftrag von rund 260 Millionen Euro für den Ausbau der U-Bahn im nordfranzösischen Lille an den französischen Konkurrenten Alstom verloren hat, hat die dortige Staatsanwaltschaft Vorermittlungen gegen Siemens eingeleitet.
Martine Aubry, als Bürgermeisterin der Stadt auch Vorsitzende der Metropolregion Lille und zugleich Chefin der regierenden französischen Sozialisten, wirft dem deutschen Industriekonzern unlautere Methoden vor.
Wie ihr Stellvertreter Eric Quiquet französischen Medien anvertraute, habe Aubry just einen Tag vor der entscheidenden Zusammenkunft der Kommission für die Auftragsvergabe eine E-Mail einer Siemens-Managerin aus Berlin erhalten, die darin massiven Druck ausgeübt und vor Konsequenzen einer negativen Entscheidung gewarnt habe. Sie habe dabei über Informationen verfügt, die sie gar nicht hätte haben dürfen, erklärt Quiquet.
Zudem habe der Chef von Siemens Frankreich, Christophe de Maistre, kurz vor der Entscheidung um ein Gespräch mit Aubry zu dem Thema gebeten. Quiquet spricht von „erstaunlichen Praktiken“ der Siemens-Führung, über die man die Justiz informiert habe. Siemens möchte sich nicht zu den Vorgängen äußern, wies aber den Vorwurf zurück, Druck ausgeübt zu haben.
Das Angebot von Alstom lag um elf Millionen Euro über dem von Siemens. Seit Bestehen der U-Bahn in Lille hat Siemens deren Züge gebaut. Quiquet zufolge gaben deutlich geringere Unterhaltungskosten auf lange Sicht den Ausschlag für den französischen Konzern, die den höheren Ursprungspreis kompensiert hätten.