Frage: Herr Hofreiter. Sind Tunesien, Algerien und Marokko sichere Herkunftsländer, in die wir Flüchtlinge zurückschicken können?
Anton Hofreiter: Ich bin da skeptisch – vor allem bei Marokko und Algerien. Marokko hat die Westsahara besetzt, dort gibt es einen eingefrorenen Bürgerkrieg, Homosexualität ist nach wie vor strafbar und wie in Algerien wird auch in Marokko in den Gefängnissen gefoltert. Wenn Sie dort unpolitisch leben, haben Sie vermutlich keine Probleme. Wenn Sie ein kritischer Journalist sind oder ein Menschenrechtsaktivist, bekommen Sie schnell Probleme.
Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann hat angedeutet, im Bundesrat für die Pläne der Koalition zu stimmen, die den Maghreb für sicher erklären will. Verrät er die grünen Ideale?
Hofreiter: Nein. Wir schauen uns das alle sehr kritisch an und führen die Debatte gewissenhaft mit Blick auf die Lage vor Ort und die innenpolitische Verantwortung. Winfried Kretschmann agiert verantwortlich, wenn er das erst genau prüft. Im Übrigen ist bei der Forderung nach mehr sicheren Herkunftsländern viel Symbolpolitik im Spiel. Um Menschen, ohne Aufenthaltsrecht zurückschicken zu können, ist ein Rücknahmeabkommen mit dem jeweiligen Land oft hilfreicher als der Status des sicheren Landes.
Im Gegenzug könnten Sie womöglich eine Amnestie für Altfälle durchsetzen, für Menschen also, die teilweise seit Jahren in Deutschland leben und bisher nur geduldet sind.
Hofreiter: Diese Leute sind teilweise seit vielen Jahren bei uns, ihre Kinder gehen hier zur Schule, sie sprechen deutsch und kennen häufig kein anderes Land als unseres. Es ist notwendig, dass diese Menschen einen sicheren Status bekommen und dauerhaft bleiben können.
Hält Deutschland ein zweites Jahr mit einer Million Flüchtlingen aus?
Hofreiter: Von diesen Zahlenspielereien halte ich nichts. Obwohl sich die Bundesregierung als handlungsunfähig erwiesen hat und zutiefst zerstritten ist, haben Länder und Kommunen die Geflüchteten bisher sehr gut aufgenommen. Wenn es uns gelingt, diese Menschen auch gut zu integrieren, haben alle etwas davon, auch die, die schon lange hier leben. Natürlich haben wir noch nicht genug Lehrer, natürlich kommen da nicht nur Engel – am Ende aber kann das, was wir gerade erleben, ein Gewinn für unser Land sein.
Was kann die Bundesregierung von Bayern lernen? Kein Bundesland hat mehr Flüchtlinge aufzunehmen und keines hat weniger Probleme damit.
Hofreiter: Man kann vor allem eines lernen: Wie wichtig eine starke kommunale Verwaltung ist. Bei mir zu Hause im Landkreis München arbeiten die CSU und wir Grüne sehr gut zusammen, das liegt aber auch daran, dass der Landrat von der CSU ganz andere Positionen vertritt als sein Parteichef, etwa bei der Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Was man nicht von Bayern lernen kann, zeigt uns die Staatsregierung, denken Sie nur an das Gehetze von Herrn Seehofer von der angeblichen Herrschaft des Unrechts. Man kann nicht den Eindruck erwecken, das Land sei handlungsunfähig und gleichzeitig Teil der Koalition sein, die dieses Land regiert.
Nicht erst seit den Ereignissen von Bautzen und Clausnitz fragen sich viele Menschen, ob der Politik die Probleme über den Kopf gewachsen sind. Wie kommt Deutschland heraus aus dieser Spirale von Überforderung und Fremdenfeindlichkeit?
Hofreiter: Indem wir dem Rassismus geschlossen entgegentreten und handwerklich gutes Management betreiben. In Sachsen ist die Lage sicherlich besonders dramatisch. Wir erleben dort ein regelrechtes Staatsversagen. Die Sachsen sind eben nicht so immun gegen Rechtsextremismus wie ihr früherer Ministerpräsident Kurt Biedenkopf behauptet hat. Auch Herr Tillich hat das Problem lange ignoriert und den Initiativen gegen Rechts sogar noch Knüppel zwischen die Beine geworfen. Auf dem rechten Auge ist er völlig blind. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Behörden versagen und die Polizei die Schuld auch noch bei den Flüchtlingen sucht.
Soll der Verfassungsschutz auch die Alternative für Deutschland beobachten? Oder macht es einen Unterschied, ob eine Partei „nur“ rechtspopulistisch ist wie die AfD oder rechtsextremistisch wie die NPD?
Hofreiter: Es gibt natürlich noch Unterschiede zur NPD, auch wenn einige Funktionäre der AfD, wie Herr Höcke aus Thüringen, schon offen rechtsextremistisch argumentieren. Was eine mögliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz angeht, bin ich aber auch aus einem anderen Grund etwas zurückhaltender. Bisher hat er sich im Umgang mit dem Rechtsextremismus ja wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Denken Sie an den Umgang mit der rechtsextremen Terrorbande NSU.
Durch die Flüchtlingskrise hat sich die Tektonik der Politik stark verschoben. Die CSU und Teile der CDU begehren gegen die eigene Kanzlerin auf, dafür schließt ein grüner Ministerpräsident Frau Merkel in sein Nachtgebet ein. Wo führt das alles noch hin?
Hofreiter: Ich will darüber nicht spekulieren, aber natürlich wird die AfD nur noch stärker, je länger Herr Seehofer stänkert oder Frau Klöckner und Herr Wolf in Baden-Württemberg versuchen, sich auf dem Rücken der Kanzlerin zu profilieren. Es besteht die Gefahr, dass die AfD auch im nächsten Jahr in den Bundestag einzieht. Dagegen werden wir kämpfen. Hass ist keine Alternative für Deutschland. Die AfD ist eine Schande für jedes Parlament.
Sie gelten als Befürworter eines rot-rot-grünen Bündnisses, duzen aber auch viele CSU-Abgeordnete. Sind Sie der Mann, der das Eis zwischen den Grünen und der Union bricht?
Hofreiter: Entscheidend ist nicht die persönliche Stimmung, sondern die Frage, in welcher Koalition man grüne Politik durchsetzen kann. So wie der Reformerflügel im Falle des Falles auch Rot-Rot-Grün wollen müsste, so müsste der linke Flügel auch Schwarz-Schwarz-Grün wollen.
Schwarz-Schwarz-Grün?
Hofreiter: Ja, inzwischen muss man von Schwarz-Schwarz-Grün reden. CDU und CSU zeigen ja gerade sehr deutlich, dass es sich bei ihnen um zwei höchst unterschiedliche Parteien handelt.
Anton Hofreiter
Schon als Schüler trat der Bayer den Grünen bei. Heute ist der 46-Jährige einer von zwei Vorsitzenden ihrer Bundestagsfraktion und einer der Wortführer der Parteilinken. Der promovierte Biologe aus Sauerlach bei München will die Grünen auch als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führen. Entschieden wird das per Urwahl. rwa/Foto: dpa