Auf dieses Urteil hatten die EU-Mitgliedstaaten gehofft: Deutschland darf einreisenden EU-Ausländern Sozialleistungen verweigern. Falls Immigranten nur das Ziel hätten, „in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen, obwohl sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen“, sei auch ein Ausschluss möglich.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zog damit einen Schlussstrich unter eine emotionale Debatte, die nicht zuletzt beim EU-Gipfel vor wenigen Wochen den britischen Premierminister David Cameron elektrisiert hatte. Der befürchtete ein ganz anderes Urteil und wollte seine Kolleginnen und Kollegen schon mobilisieren, neue Gesetze zur Ausgrenzung von Ausländern anzugehen.
Das wird nicht nötig sein. Denn die Richter bekräftigten den deutschen Standpunkt in wesentlichen Teilen. Wer nicht „genügend“ Geld zur Sicherung seiner Existenz habe, kann sich auch nicht auf das europäische Recht der Freizügigkeit berufen und somit liege auch keine Diskriminierung gegenüber den einheimischen Deutschen vor, bestätigten die Richter und schlossen damit den Fall einer rumänischen Mutter ab, die Ende letzten Jahres mit ihrem Sohn in die Bundesrepublik eingereist war. Obwohl sie weder Arbeit hatte noch suchte, beantragte sie Sozialleistungen, die das Jobcenter verweigerte. Daraufhin klagte sie.
Das höchste Gericht der EU bekräftigt die ohnehin bestehenden Leitlinien über das Recht, sich frei zwischen den Mitgliedstaaten zu bewegen. Sie sehen vor, dass innerhalb der ersten drei Monate nach einer Einreise kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht. In der Zeit nach dem dritten Monat bis zu fünf Jahren gibt es einen Anspruch, vorausgesetzt die betreffende Person verfügt – wie es offiziell heißt – „über ausreichende eigene Existenzmittel“. Also einen Job. Dies entspricht der Regelung, die für alle EU-Mitgliedstaaten gilt.
In diesem Fall kann ein Mitgliedstaat auch einen EU-Bürger ausweisen.
Nein. Sie muss in einem wichtigen Punkt nachgebessert werden. Deutschland geht mit seiner derzeitigen Praxis nämlich über die EU-Freizügigkeitsrichtlinie hinaus, indem pauschal alle EU-Ausländer vom Bezug der Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Dies widerspricht den europäischen Gesetzen, denn die schreiben eine Einzelfallprüfung vor. Auch der EuGH bekräftigt diese Sicht und gibt damit denjenigen Recht, die wie die Europäische Kommission von der Bundesrepublik bereits Änderungen verlangt hatte. Genau genommen muss künftig jeder Fall einzeln entschieden werden.
Haben deshalb schon in der
Vergangenheit deutsche Gerichte EU-Ausländern Hartz IV zugesprochen?
Ja. Mehrfach haben die Sozialgerichte diverser Bundesländer Sozialleistungen in einzelnen Fällen zugesprochen, weil sie auf die individuellen Umstände des Klägers eingegangen sind. Es geht also nicht darum, durch die Hintertüre ein Recht auf Sozialleistungen wieder einzuführen, sondern lediglich darum, die Besonderheiten jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen.
Nach der Öffnung der EU-Binnengrenze zu Rumänien und Bulgarien sind in diesem Jahr rund 100 000 Menschen aus den beiden Ländern nach Deutschland eingereist. Die Arbeitslosigkeit bei dieser Gruppe liegt bei derzeit 9,2 Prozent – im Januar betrug sie noch 11,4 Prozent. Allerdings stieg auch die Zahl der Hartz-IV-Anträge deutlich.
Wie will Deutschland gegen
Sozialmissbrauch vorgehen?
Im August hat die Koalition Änderungen an der Freizügigkeitsrichtlinie vorgestellt und Anfang November im Bundestag beschlossen. Demnach kann, wer Sozialleistungen missbraucht, ausgewiesen werden und mit einer fünfjährigen Sperre der Wiedereinreise belegt werden. Gegen den mehrfachen Bezug von Kindergeld wurden ebenfalls Regelungen erlassen. So sind Zahlungen künftig an die Steuer-Identifikationsnummer gebunden.
Für die Richter steht fest: Da die Klägerin nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, haben sie und ihr Sohn kein Recht auf Aufenthalt in Deutschland.