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„Hans Scholl wollte ,das Rechte tun' und setzte es in die Tat um“
Das Gespräch führte Alexander Michel
 |  aktualisiert: 03.03.2018 02:55 Uhr

Am 22. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl hingerichtet. Sie waren wegen „Wehrkraftzersetzung“, „Feindbegünstigung“ und „Vorbereitung zum Hochverrat“ durch NS-Richter Roland Freisler zum Tode verurteilt worden. Die Geschwister gehörten zum inneren Kreis der „Weißen Rose“, eine Widerstandsgruppe gegen die nationalsozialistische Diktatur. Enttarnt worden waren sie bei einer Flugblattaktion an der Universität München. Über Hans Scholl gibt es jetzt eine neue Biografie von Robert Zoske.

Frage: Herr Zoske, Sie schreiben in Ihrem Buch, in der Wahrnehmung der Widerstandsbewegung der Weißen Rose stünde Sophie Scholl vor ihrem Bruder Hans. Worauf gründet die Einschätzung?

Robert Zoske: Sophie Scholl und Hans Scholl wurden von Anfang an – seit die ältere Schwester Inge Aicher-Scholl 1952 mit der Erinnerungsarbeit begann – nahezu als eine Einheit gesehen. Das ist verständlich, denn sie hatte ihre Geschwister verloren und sie sah sie in erster Linie als Bruder und Schwester. Von da an war nur noch von den „Geschwistern Scholl“ die Rede, was fast den Eindruck vermittelte, sie seien keine eigenständigen Individuen gewesen.

Damit wurde die Rolle von Sophie Scholl aufgewertet, und es entstand die Botschaft: Beide waren gleich stark im Widerstand präsent. Das ist ganz klar falsch. Zudem war man – das war die zweite Stufe der Aufwertung – zu Recht begeistert, dass eine so junge Frau mit 21 Jahren so aktiv im Widerstand war.

Ist die „Weiße Rose“ ohne Hans Scholl denkbar?

Zoske: Nein. Man kann nur darüber spekulieren, ob Hans Scholl allein gehandelt hätte. Klar ist: Er fand in Alexander Schmorell einen Seelenverwandten, der den NS-Staat genauso wie er ablehnte – wenn auch aus teilweise anderen Beweggründen. Beide Freunde haben sich in ihrem Drang nach Freiheit aneinandergekoppelt.

Ohne ihre Leistung zu schmälern und ihren Mut kleinzureden: Sophie Scholl war also eher unterstützend tätig?

Zoske: Genau. Und wichtig war der Mut, den sie ihrem Bruder und Alexander Schmorell gemacht hat, das war eine emotionale Stütze. Nur hatte sie mit den Flugblättern nichts zu tun, auch wenn sie das in den Verhören behauptet hat. Sie wollte sich vermutlich mit der ganzen Sache identifizieren.

Wo liegen die Unterschiede in der Persönlichkeit von Hans und Sophie Scholl?

Zoske: Ich will das anhand eine Bildes in der Hamburger Kunsthalle schildern, ein abstraktes Gemälde des Malers Ernst Wilhelm Nay. Es heißt „Akkord in Rot und Blau“ und symbolisiert für mich die unterschiedlichen Charaktere der beiden. Das expressive Rot des Bildes steht für Hans Scholl, seine Charismatik, seinen Elan und vielleicht auch für das Unbedachtsame, Stürmische seines Handelns; das Dunkelblau des Gemäldes steht für Sophie Scholls Nachdenklichkeit, ihr überlegtes Handeln, auch ihre Zurückhaltung. Das sind zwei unterschiedliche Töne, aber beide zusammen ergeben einen großartigen Akkord.

Scholl unterhielt, wie Sie hervorheben, eine homoerotische Beziehung zu seinem Freund Rolf Futterknecht. Trugen die juristischen Probleme, die ihm das bereitete, zu seiner NS-Gegnerschaft bei?

Zoske: Aufgrund von Futterknechts Aussage wurde Scholl 1937 auf Grundlage des Homosexuellen-Paragrafen 175 angeklagt, und ihm wurde zudem der Missbrauch Abhängiger vorgeworfen. Also wurde Scholl vom NS-Staat in zwei wesentlichen Dingen ausgebremst. Die Botschaft war erstens: Außerhalb der Hitlerjugend gibt es keine Jungenpädagogik.

Zweitens: Ein Teil deiner Sexualität bringt dich ins Gefängnis, wenn du ihn auslebst. Es wäre für Scholl fast einer Selbstaufgabe gleichgekommen, wenn er sich danach noch mit dem NS-Staat identifiziert hätte. Für ihn war die Freiheit entscheidend, denken, fühlen und lesen zu dürfen, was er wollte.

Vor dem Hintergrund der späteren Standardaussage, von der Judenvernichtung nichts gewusst zu haben, ist bemerkenswert, dass Scholl und Schmorell in einem Flugblatt den Holocaust in Polen direkt anprangern. Woher könnte ihr Wissen stammen?

Zoske: Beide waren als Sanitätssoldaten in Russland im Einsatz und müssen einiges gehört haben. Später bahnte sich auch der Kontakt zu Falk Harnack an, der Verbindungen zum Widerstand der „Roten Kapelle“ hatte und dessen Bruder Arvid 1942 hingerichtet wurde. Auch von dort könnte Scholl Informationen erhalten haben.

Die Hitler-Attentäter um Graf Stauffenberg haben eine Bombe gezündet, die „Weiße Rose“ hat Flugblätter verschickt. Wie unähnlich oder ähnlich sind die beiden Formen des Widerstands?

Zoske: Zunächst konnte man von Offizieren, die jenseits des 40. oder 50. Lebensjahrs standen, Widerstand viel eher erwarten als von den jungen Studenten. Hans Scholl erwartete Widerstand etwa von Professoren, Pastoren oder Ärzten. „Ich will das Rechte tun“, sagte er und setzte es dann in die Tat um. Das ist mutiger und bewundernswerter als das, was der Stauffenberg-Kreis unternommen hat, denn deren Mitglieder haben als Soldaten in höherer Position das Grauen an und hinter der Front gesehen und wussten viel genauer als Scholl oder Schmorell, was passierte. Daher würde ich ihren Widerstand moralisch höher bewerten als den der Militärs. Vergleichbar ist jedoch die nationalkonservative Ausrichtung der beiden Gruppen.

Robert M. Zoske (65) studierte evangelische Theologie. Von 1986 bis 2017 war er Pastor der Evangelisch Lutherischen Kirche in Norddeutschland. 2014 promovierte er in Hamburg mit einer Doktorarbeit über den christlich motivierten Widerstand von Hans Scholl. Im C.H.Beck Verlag ist jetzt seine Biografie über den studentischen Widerstandskämpfer erschienen: Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose, München 2018, 368 Seiten, 26,95 Euro.

 
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