Vor zwei Jahren schon hat Hans-Jochen Vogel die niederschmetternde Diagnose bekommen: Parkinson, Schüttellähmung. Seine Familie und seine Freunde wussten davon, die Öffentlichkeit nicht – bis jetzt. In einem bewegenden „Stern“-Interview hat der frühere SPD-Chef die Krankheit nun öffentlich gemacht.
Vielleicht, so sagt der 88-Jährige, kann sein Beispiel ja anderen Menschen helfen, die ebenfalls an der unheilbaren Nervenkrankheit leiden. Vielleicht kann er ihnen Mut machen, „indem ich ihnen zeige, dass man auch in diesem Zustand noch geraume Zeit ein selbstbestimmtes Leben führen kann“.
In dem Münchner Altenheim, in dem der einstige Minister, SPD-Vorsitzende und Fraktionschef seit 2006 mit seiner Frau Lieselotte (87) lebt, heißt es am Donnerstag, er sei nicht zu sprechen. „Aus gesundheitlichen Gründen“, wie er über eine Mitarbeiterin ausrichten lässt. Zu viele Anrufer hätten sich schon nach ihm erkundigt.
„Warum soll ich klagen?“
Im „Stern“ aber gibt Vogel, Münchner Oberbürgermeister von 1960 bis 1972, einen Einblick in sein Leben mit der Krankheit. „Das Zittern habe ich noch unter Kontrolle, aber es wird wohl unvermeidlich stärker werden“, sagt er in dem Interview. Andere Symptome zeigten sich schon deutlicher: „Ich fühle permanent eine leichte Benommenheit. Beim Gehen fällt es mir schwer, die Richtung zu halten.“ Er stolpere häufiger, sein Namensgedächtnis sei nicht mehr so gut wie früher, seine Schrift werde kleiner und unvollständiger. Wenn ihm ein Name nicht einfalle, helfe ihm seine Frau.
Vogel gibt sich betont sachlich, was seine Krankheit angeht: „Warum soll ich klagen? Es würde ja doch nichts ändern.“ Beim Einschlafen habe er zuletzt an den Tod gedacht. „Plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf: Na, wie oft wirst du wohl noch aufwachen?“
Angst vor dem Tod habe er aber nicht. „Angst ändert ja nichts am Lauf der Dinge. Der Tod kommt trotzdem.“ Er habe gelernt, den Tod als einen selbstverständlichen Bestandteil des Lebens zu akzeptieren.
„Das macht nicht jeder“, sagt Günther Deuschl von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie über Vogels Offenheit. „Sie finden selten einen Parkinson-Patienten, der sagt, er gehe damit offen um.“ Auch viele Politiker litten unter Parkinson, sagt der Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung werde die Krankheit aber oft verschwiegen. Dank der Forschung könnten Patienten inzwischen bis zu zehn Jahren mit der Krankheit leben, ohne dass jemand etwas bemerkt.
Vogel hat sich anders entschieden. Er spricht offen darüber. Ebenso wie Kabarettist und Schauspieler Ottfried Fischer, der seine Parkinson-Erkrankung im Jahr 2008 öffentlich machte und inzwischen sehr davon gezeichnet ist. „Er steht natürlich immer neben mir, das weiß ich schon, der Kollege Parkinson“, schreibt Fischer in seiner Biografie. „Aber dadurch bin ich auch nie allein.“
Weltweit sind nach Angaben der Deutschen Parkinson Gesellschaft rund 4,1 Millionen Menschen an Parkinson erkrankt, rund 280 000 sind es in Deutschland. Studien gehen allerdings davon aus, dass sich die Zahl der Patienten bis 2050 weltweit auf 8,7 Millionen verdoppeln wird. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen, erste Symptome treten meist im Alter zwischen 50 und 60 Jahren auf.
„Dem Herrgott nicht vorgreifen“
Bei dem US-Schauspieler Michael J. Fox („Zurück in die Zukunft“) ging es allerdings schon viel früher los. Schon im Alter von 29 Jahren wurde die Krankheit bei ihm diagnostiziert. Er gründete eine Stiftung zum Kampf gegen Parkinson und sammelte inzwischen Hunderte Millionen Euro.
Auch Ex-Fußballtrainer Udo Lattek hat Parkinson, der Star-Dirigent Kurt Masur und Box-Legende Muhammad Ali. Der spanische Maler Salvador Dalí (1904-1989) und Country-Legende Johnny Cash (1932-2003, „Ring of Fire“) hatten ebenfalls Parkinson.
Unvergessen ist das öffentliche Leiden von Papst Johannes Paul II., der in den Jahren vor seinem Tod im Jahr 2005 schwer von Parkinson gezeichnet war und kaum noch sprechen konnte. Der US-Schauspieler Robin Williams hatte Parkinson im Frühstadium, als er sich im August im Alter von 63 Jahren umbrachte.
Sich selbst das Leben zu nehmen, komme für ihn nicht infrage, sagt Hans-Jochen Vogel. „Ich will dem Herrgott nicht vorgreifen. Das ist nicht meine Zuständigkeit.“ Er habe seine ganz eigene Art gefunden, mit der Krankheit umzugehen. „Park in der Sonne“ nennt er sie. Das klingt schöner.