Der, um den sich seit Tagen alles drehte, der die Schlagzeilen beherrschte und die Große Koalition an den Rand einer erneuten Krise brachte, saß nicht mit am Tisch. Dabei ging es nur um ihn. Bei ihrem mit Spannung erwarteten Krisentreffen redeten die Chefs von CDU, CSU und SPD, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Innenminister Horst Seehofer und Fraktionschefin Andrea Nahles, zwar über Hans-Georg Maaßen, aber nicht mit ihm. Vor allem aber redeten sie über sich. Denn es galt, sowohl die seit mehr als einer Woche schwelende Causa Maaßen zu klären, als auch einen Bruch der Großen Koalition nach gerade einem halben Jahr nach der Vereidigung zu verhindern.
Ein Deal, der niemand beschädigt
Am Ende stand ein typischer Kompromiss, der einzig darauf ausgelegt war, dass alle Beteiligten irgendwie ihr Gesicht wahren können und niemand so beschädigt wird, dass die Koalition in Gefahr gerät. Der 55-jährige Maaßen muss zwar seinen Hut nehmen und verliert seinen Job an der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz, wird aber gleichzeitig zum beamteten Staatssekretär im Innenministerium befördert, wo es bereits acht beamtete und parlamentarische Staatssekretäre gibt – ein Aufstieg, politisch wie finanziell. Denn mit dem Wechsel ist eine Beförderung in eine höhere Besoldungsstufe verbunden. Ein Deal, der niemand beschädigt. Einerseits setzte sich SPD-Chefin Andrea Nahles durch, die seit Donnerstag eine Ablösung Maaßens an der Spitze des Verfassungsschutzamtes gefordert hatte. Andererseits konnte Innenminister Horst Seehofer von der CSU, der am Mittwochabend nach der Sondersitzung des Innenausschusses und am Donnerstag vor dem Bundestag Maaßen noch demonstrativ sein Vertrauen ausgesprochen hatte, dem Wechsel zustimmen, kann er doch nun in seinem Ministerium weiter vertrauensvoll mit Maaßen zusammenarbeiten.
Kein Mangel an Gerüchten und Spekulationen
Wofür Maaßen im Ministerium für Inneres, Bau und Heimat zuständig sein soll, will Innenminister Seehofer am heutigen Mittwoch bekanntgeben. Wer ihm an der Spitze des Verfassungsschutzes nachfolgt, ist noch offen. Im Gespräch sind unter anderem der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete und Innenexperte Clemens Binninger oder die Chefin des baden-württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz, die parteilose Beate Bube.
Die Entscheidung, Maaßen von der Spitze des Bundesamtes für Verfassungsschutz abzuberufen, war im Hintergrund ohnehin längst gefallen, nachdem sich Angela Merkel auf die Seite der SPD gestellt und sich ebenfalls für die Ablösung Maaßens ausgesprochen hatte. Nun galt es nur noch, eine Lösung zu finden, der auch Horst Seehofer zustimmen konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Vier-Augen-Gespräch mit Angela Merkel
Hinter den Kulissen wurde eifrig telefoniert und an Konzepten gefeilt. Den ganzen Tag über herrschte an Gerüchten und Spekulationen kein Mangel. Horst Seehofer, der nach seinen ursprünglichen Themen am Dienstag in seiner Eigenschaft als Bauminister auf dem „Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik“ in Frankfurt am Main eine Rede halten und an einer Pressekonferenz teilnehmen wollte, hatte kurzfristig seine Teilnahme abgesagt und beriet sich vor dem Krisentreffen mit seinen engsten Vertrauten im Innenministerium. Am späten Nachmittag führte er im Kanzleramt zunächst ein Vier-Augen-Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, um eine gemeinsame Linie der Unionsschwestern zu erzielen, erst danach stieß SPD-Chefin Andrea Nahles dazu. „Die Lage ist sensibel, der Vorgang ist sensibel und deshalb muss man auch umsichtig damit umgehen“, hatte er am Montagabend gesagt, wobei er sich optimistisch zeigte, „dass wir wegen unserer Verantwortung auch für das Fortbestehen der Regierung morgen auch zu abschließenden Entscheidungen kommen“.
Kritik von Vertretern der Opposition
Der frühere SPD-Chef Martin Schulz erhöhte derweil den Druck auf die Koalition und forderte die Entlassung Maaßens. Der Behördenchef habe „den Rahmen verlassen, in dem sich ein Verfassungsschutzchef bewegen sollte“, sagte er. „Ein SPD-Innenminister hätte Maaßen schon längst entlassen.“ Gleichzeitig verknüpfte Schulz die Zukunft Maaßens mit der von Innenminister Horst Seehofer. „Ich bin sicher: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Seehofer ausgewechselt wird. Weil er immer die falschen Konsequenzen zieht, nicht nur im Fall Maaßen.“
Führende Unionspolitiker gingen dagegen auf Konfrontation zum Koalitionspartner und stellten sich demonstrativ hinter Maaßen. „Hier wird ein Mensch nach allen Regeln der Kunst fertiggemacht, zum Opfer gemacht – das geht deutlich unter die Gürtellinie“, sagte der baden-württembergische CDU-Innenexperte Armin Schuster, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
Vertreter der Oppositionsparteien übten massive Kritik an der Entscheidung der Koalitionäre. „Horst Seehofer nimmt die SPD auf den Arm: Die Sozialdemokraten fordern Maaßens Abberufung, Seehofer befördert ihn zum Staatssekretär“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionschef Stephan Thomae gegenüber dieser Zeitung. „Der CSU-Vorsitzende kann sich offenbar alles erlauben, sogar gegenüber der Bundeskanzlerin. Das Possenspiel um den Verfassungsschutzpräsidenten zeigt einmal mehr den dramatischen Autoritätsverlust der Regierungschefin.“ Von einer „unfassbaren Mauschelei“, sprach Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. „Wer illoyales Verhalten und Kuschelei mit der AfD belohnt statt ahndet, hat jedes Gespür für Anstand verloren. Und die SPD macht alles mit.“ Und Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch höhnte: „Das Innenministerium ist keine Resterampe für politisch unhaltbare Beamte.“