Früher wäre das ein Termin unter vielen gewesen. Einer von 20 oder mehr, an einem ganz gewöhnlichen Außenminister-Arbeitstag. Kurze Rede, ein paar Gespräche, ein Statement für die Kameras. Der normale Betrieb. So aber ist das alles für Guido Westerwelle wieder neu. Und überhaupt: Was heißt schon normal, wenn man an Blutkrebs erkrankt ist?
15 Monate nach der Diagnose auf akute Leukämie hat sich der ehemalige FDP-Vorsitzende erstmals wieder bei einem offiziellen Termin in Berlin gezeigt. In den noblen Räumen der „Westerwelle Foundation“ am Kurfürstendamm lud der 53-Jährige zum Empfang für 22 ausländische Nachwuchsleute aus der Politik, die auf Einladung seiner Stiftung noch bis Sonntag in Berlin sind. In seiner zehnminütigen Begrüßungsrede ging Westerwelle nur kurz auf seine Krankheit ein.
Aus „offensichtlichen Gründen“ seien ihm solche Veranstaltungen in letzter Zeit nicht möglich gewesen. „Umso mehr bin ich glücklich und dankbar, sie heute Abend hier persönlich begrüßen zu können.“ Dann ging es weiter im Text. Auf den ersten Anschein wirkte Westerwelle dabei wie immer. Die Haare wieder voll, die Stimme fest, der Rücken gerade. Auch auf Anzug und Krawatte verzichtete er nicht, auch wenn das längst keine Pflicht mehr wäre.
Aus der Nähe jedoch sieht man die Spuren der Chemotherapie in seinem Gesicht. Auch das Sprechen strengt ihn nach einer Weile an. Westerwelle war drei Jahrzehnte lang einer der Kraftmeier der deutschen Politik. Im Juni 2014, nur wenige Monate nach dem FDP-Wahldebakel und dem Abschied aus dem Auswärtigen Amt, bekam er bei einem Routinetermin die böse Diagnose. Mehr als drei Monate lag er dann in der Universitätsklinik Köln. Vor ziemlich genau einem Jahr bekam er dort eine Knochenmark-Transplantation. Nach der Entlassung verbrachte er viel Zeit auf Mallorca, wo er zusammen mit seinem Mann Michael Mronz ein Haus hat.
Gelegentlich konnte man den beiden auf dem Flughafen Köln/Bonn begegnen. Zwischendurch tauchte er mal bei einem Reitturnier auf, bei den Festspielen in Salzburg oder bei einem Jazzfest der Bonner FDP. Viel sagte er dabei nicht. Auf Facebook bedankte er sich zwischendurch für die vielen guten Wünsche. „Ich bin zuversichtlich“, schrieb er im Juni. „Es wird werden.“ Und es scheint zu werden.
Gesund ist Westerwelle noch nicht, aber es geht ihm wieder deutlich besser. Er muss Medikamente schlucken, immer noch regelmäßig in die Klinik. „Alles in sicherer medizinischer Betreuung“, sagt er dazu, mehr nicht.
Interviews oder Talkshow-Auftritte lässt Westerwelle noch sein. Auch auf so gewöhnliche Dinge wie das Händeschütteln verzichtet er, wenn es irgend geht. Stattdessen hat er sich angewöhnt, zur Begrüßung die Hand aufs Herz zu legen. Für alle Fälle trägt er in der Jackentasche ein Fläschchen mit Desinfektionsmittel. Die Tagesform schwankt. Erst am Sonntag entschied er, wieder in die Öffentlichkeit zu gehen. „Ich kann das jetzt verantworten.“
In der Stiftung sagt er dann auch ein paar Sachen zur Flüchtlingskrise. Die Tagespolitik, erzählt er, hat er auch in den letzten 15 Monaten verfolgt. „Selbstverständlich. Man wird ja kein anderer, nur weil man etwas durchzumachen hat.“ Aber ins Detail gehen will er nicht. „Ich habe kein Interesse, eine tagespolitische Nachrichtenlage zu produzieren.“ Solche Sätze hätte man von Westerwelle früher nie gehört.
Zum Ende will einer von ihm dann auch noch wissen, ob er an eine Rückkehr in die Politik denkt. Die Antwort fällt denkbar knapp aus: „Ich habe wirklich anderes im Kopf als solche Überlegungen.“