Über Robert Habeck gibt es diese Geschichte mit den Fischern und dem vielen Rum. Vielleicht, sagen Parteifreunde, die seinen Aufstieg bei den Grünen seit Jahren verfolgen, sagt diese Erzählung am meisten über ihn aus. Die Geschichte geht so: Schleswig-holsteinische Küstenfischer gelten als eher wortkarg und verschlossen. Von Politkern, noch dazu von den Grünen, die ständig die Überfischung der Meere beklagen, halten sie in der Regel nicht so viel. Wenn ein Politiker dann auch noch Doktor der Philosophie und Kinderbuchautor ist, spricht nicht gerade viel dafür, dass die herben Fischer zu ihm einen guten Draht finden.
Doch als Robert Habeck 2012 Landwirtschafts-, Energie und Umweltminister in Kiel wurde, so die Geschichte weiter, da ist er erst mal mit den Fischern auf ihren Kuttern hinaus aufs Meer gefahren. Und hat sich auf hoher See bei der einen oder anderen Buddel Rum ihre Sichtweise, ihre Probleme angehört. Am Ende waren die Fischer nicht nur von der Trinkfestigkeit des Politikers überzeugt, sondern hörten auch seinen Argumenten zu. Dass die Fischer auch auf die Tier- und Umweltschützer zugehen müssen, wenn sie ihren Fang weiter verkaufen wollen, weil die Verbraucher kritisch geworden sind. Und dass der Schutz der Bestände auch und vor allem in ihrem Interesse liegt.
Genauso, heißt es über Robert Habeck – und so erzählt er es immer wieder selbst – ist er auch auf die Landwirte zugegangen, die dem Grünen zunächst ebenso skeptisch gegenüberstanden. Und hat mit ihnen geredet, über Umweltschutz und Milchpreise, Stromtrassen und Windkraftanlagen, Wölfe und Düngemittel. Selbst der Landesbauernpräsident als Vertreter der eher konservativen norddeutschen Bauernschaft spricht von einem Vertrauensverhältnis zu dem Grünen.
Überhaupt: Habeck, so heißt es, hat in seinem durchaus heiklen Amt mit allen eine gemeinsame Gesprächsbasis gefunden, auch wenn es in der Sache oft geknirscht hat. Mit Jägern ebenso wie mit Umweltaktivisten, mit Energiekonzernen und Milchviehhaltern. Und was noch viel wichtiger ist: Er hat auch deren, im Öko-Milieu ungeliebte Positionen vor den Mitgliedern seiner eigenen Partei vertreten.
Zu seinem Ruf als begnadeter Vermittler zwischen teils völlig gegensätzlichen Positionen mag Habeck ein Stück weit durch geschickte Selbstdarstellung beigetragen haben. Doch das Image als Gummistiefel-Minister hat den 48-Jährigen zum großen Hoffnungsträger seiner Partei gemacht.
Bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen am Freitag und Samstag in Hannover kandidiert Habeck für einen der beiden Posten in der Doppelspitze. Die beiden bisherigen Parteichefs treten nicht mehr an – und sie hinterlassen unterschiedlich große Lücken. Mit Cem Özdemir, der aus Meinungsumfragen regelmäßig als beliebtester Grüner und einer der populärsten deutschen Politiker überhaupt hervorgeht, tritt das wohl wichtigste Aushängeschild, das die Partei in den vergangenen Jahren hatte, in die zweite Reihe zurück. Zumindest fürs Erste. Özdemir hatte bereits vor geraumer Zeit angekündigt, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Dass er gerne in einer Jamaika-Koalition am Kabinettstisch Platz genommen hätte, am liebsten als Außenminister, ist ein offenes Geheimnis bei den Grünen.
Durch die in der Partei geltende Ämtertrennung, die eine zu große Machtanhäufung verhindern soll, hätte Özdemir auch nicht gleichzeitig Minister und Parteichef sein können. Doch bekanntlich ist das Bündnis von Union, FDP und Grünen, mit dem viele rechneten, auf der Zielgeraden geplatzt. Özdemir ist also künftig „nur noch“ einfacher Bundestagsabgeordneter.
Seine bisherige Co-Vorsitzende Simone Peter dagegen hat an der Parteispitze nur wenige Grüne nachhaltig überzeugt. Und nach außen blieben unglückliche Äußerungen wie Pech an ihr kleben. So kritisierte Peter etwa Anfang 2017 die Kölner Polizei für ihren Einsatz in der Silvesternacht. Die hatte mit einem massiven Aufgebot wohl massenhafte Ausschreitungen und Übergriffe wie in der berüchtigten Silvesternacht ein Jahr zuvor verhindert. Doch Simone Peter warf der Polizei vor, sie habe „knapp tausend Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft“ und stellte die Frage nach Rechts- und Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. In der darauffolgenden Welle der Empörung, die über Peter hereinbrach, sprangen ihr kaum prominente Parteifreunde zur Seite. Auch später schaffte sie es nicht mehr, bleibende Akzente zu setzen. Auf Robert Habeck lastet nun die Erwartung, das Schwergewicht Cem Özdemir zu ersetzen. Seine Wahl gilt als sicher. Dass sich seine beiden Mitbewerberinnen Annalena Baerbock (37) und Anja Piel (52) gegen ihn durchsetzen werden, damit rechnet kaum einer in der Partei.
Für Habeck hält der Parteitag aber eine andere Hürde bereit: das bereits erwähnte Prinzip der Ämtertrennung. Seinen „Traumjob“, wie Habeck sein Ministeramt in Kiel bezeichnete, will er nicht so einfach sang- und klanglos hinter sich lassen. Er wünscht sich eine einjährige Übergangszeit, begründet dies damit, dass er in seiner Heimat noch eine Reihe wichtiger Aufgaben erledigen und ein geordnetes Haus hinterlassen wolle. Der Parteitag müsste entweder beschließen, für Habeck eine Ausnahme zu machen oder sogar die Satzung zu ändern, was durch die erforderliche Zweidrittelmehrheit schwierig werden könnte. Es zeichnet sich inzwischen ab, dass Habeck tatsächlich eine Zeit lang Parteichef und Landesminister sein darf – wenn auch vielleicht nicht ein ganzes Jahr.
Es gibt zwar manche, die vermuten, dass Habeck sein Ministeramt nur deshalb nicht bereits niedergelegt hat, um nicht mit leeren Händen dazustehen, falls er in Hannover nicht an die Parteispitze gewählt wird. Doch für seine Wahl spricht auch die grüne Tradition, dass sich – wenn möglich – ein Mann und eine Frau die Spitzenämter teilen.
Wichtiger noch ist in der Ökopartei das Prinzip, dass jeweils ein Vertreter des eher linken Fundi-Flügels und des gemäßigteren Realo-Flügels zum Zug kommen soll. Anja Piel gilt als Fundi-Grüne, Annalena Baerbock wird dem Realo-Flügel zugerechnet. Auch den pragmatischen Habeck sortieren viele, gerade aus dem linksgrünen Lager, ebenfalls bei den Realos ein. Er selbst hat sich indes immer dagegen gewehrt, für und von einem der beiden Lager vereinnahmt zu werden. Die Einteilung seiner Partei in zwei konkurrierende Flügel hält er für überflüssig, überholt, ja gefährlich. In der Bevölkerung koste der Eindruck der Zerrissenheit nur Wählerstimmen, ist er überzeugt.
In seinem Landesverband Schleswig-Holstein hat der Familienvater, der mit einer Schriftstellerin verheiratet ist, mit der er vier 15 bis 21 Jahre alte Söhne hat, den Realo-Fundi-Gegensatz längst überwunden. Dem Wähler gefällt das offenbar. Bei den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen im Mai 2017 holten die Grünen mit 12,9 Prozent der Stimmen ein für grüne Verhältnisse traumhaftes Ergebnis.
Auch was das Verhältnis zu anderen Parteien betrifft, kennt Robert Habeck keine Scheuklappen. Sein Ministeramt trat er als Teil einer Koalition seiner Grünen mit der SPD und dem „Südschleswigschen Wählerverband“, der Vertretung der dänischen Minderheit, an. Doch mit der Wahl 2017 änderten sich die Verhältnisse im Land. Der überraschende Wahlsieger hieß Daniel Günther von der CDU. An der rauen norddeutschen Küste regiert nun eine Jamaika-Koalition von CDU, Grünen und FDP. In der neuen Regierung behielt Habeck einfach sein Amt. Trotzdem hielten sich die Stimmen in Grenzen, der begeisterte Surfer drehe sich wie ein Fähnchen im Wind.
Auch im Bund, das ist kein Geheimnis, hätte der schleswig-holsteinische Vizeministerpräsident gerne eine Jamaika-Koalition gesehen. Obwohl er dann vielleicht gar nicht als Parteivorsitzender kandidiert hätte, um zu vermeiden im Schatten von grünen Bundesministern zu verkümmern. Doch seitdem FDP-Chef Christian Lindner die Sondierungsgespräche platzen ließ, wodurch nun vieles auf eine neue Große Koalition deutet, führt an Habeck als Parteichef offenbar kein Weg mehr vorbei. Die Erwartungen sind riesig, denn für die Ökopartei steht vieles auf dem Spiel.
Den Grünen stehen ziemlich sicher weitere vier Jahre in der Opposition bevor. Nach dem mauen Wahlergebnis vom September sind sie kleinste Fraktion im Bundestag. Neben FDP und AfD droht ihnen ein enormer Verlust an Aufmerksamkeit.
Habeck wird zugetraut, die Grünen als mögliche Regierungspartei im Gespräch zu halten. Das Heil sieht er nicht in lauter Fundamentalopposition. „Wir sollten unsere Politik so ausrichten, dass wir bei wichtigen Themen eine gesellschaftliche Mehrheit erreichen können“, umreißt er seine Strategie. Die Grünen will er zur „Ideenwerkstatt der Republik“ machen. Auf die richtige Mischung aus Vision und Realismus komme es an. Die Partei müsse sich ehrlich den Problemen stellen, um weiterzukommen. Zuallererst in seiner streitlustigen Truppe für Versöhnung sorgen will Habeck, der bei der Kür der grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl im vergangenen Jahr fast Platzhirsch Cem Özdemir ausgestochen hätte. Nur 75 Stimmen fehlten Habeck damals zur Sensation. Jetzt steht Habeck davor, Özdemir als Parteichef nachzufolgen. Doch vor dem Wechsel aus seinem Kieler Ministerbüro mit Meerblick in die Parteizentrale der Grünen in Berlin-Mitte steht erst einmal der Parteitag in Hannover.
Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen
Der Parteitag der Grünen in Hannover soll nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche einen Neubeginn für die Partei markieren. Das Treffen von 825 Delegierten am Freitag und Samstag sei ein „Zeichen des Aufbruchs und der Erneuerung für die nächsten vier Jahre“, sagt Michael Kellner, Bundesgeschäftsführer der Grünen.
Am Samstag wird ein neuer Bundesvorstand gewählt. Die bisherigen Vorsitzenden Cem Özdemir und Simone Peter treten ab. Um die Nachfolge bewerben sich Robert Habeck, Umweltminister aus Schleswig-Holstein, Annalena Baerbock, Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg, und Anja Piel, niedersächsische Fraktionschefin.
Am Freitag debattieren die Delegierten über eine Änderung der Satzung, die Habeck den Wechsel an die Parteispitze ermöglichen soll, ohne dass er sofort sein Ministeramt abgeben müsste. Bisher ist das nicht erlaubt. Allerdings kommt eine Änderung nur zustande, wenn es dafür eine Zweidrittelmehrheit gibt. Anträge, die Trennung von Amt und Mandat komplett abzuschaffen, wurden in dieser Woche zurückgezogen. Zudem soll auf dem Parteitag ein neues Grundsatzprogramm angestoßen werden. dpa