Anton Hofreiter ist Biologe von Beruf und ein naturverbundener Mensch. „Es geht darum, dass unsere Ökosysteme stabil bleiben“, sagt der neue Co-Fraktionsvorsitzende der Grünen, ehe er auf das zu sprechen kommt, was er den „naturwissenschaftlichen Kern“ grüner Politik nennt, den Klimaschutz und den Kampf gegen das Kohlendioxid. Hofreiter selbst besitzt kein Auto. Und wenn er einmal eines brauche, erzählt der 43-Jährige, leihe er sich den VW Golf seines Vaters.
Einen Tag vor dem Sondierungsgespräch mit der Union sitzt die neue Fraktionsspitze der Grünen vor den Hauptstadtjournalisten und zeigt sich wenig euphorisch. „Im Moment bin ich sehr, sehr skeptisch“, sagt Hofreiter. Auch Katrin Göring-Eckart, seine Mitvorsitzende, macht nicht den Eindruck, als wolle sie Angela Merkel eine Große Koalition um jeden Preis ausreden.
Die Fraktionsspitze hatte aber noch einen anderen Grund für eine eher gedrückte Stimmung. Der Grund: Ein Mitarbeiter des Grünen-Abgeordneten Tom Koenigs ist unter dem Verdacht des Kindesmissbrauchs verhaftet worden. Der Leiter des Gießener Wahlkreisbüros von Koenigs soll mehrere Kinder sexuell missbraucht haben. Staatsanwaltschaft und Polizei teilten mit, ein bereits am Dienstag verhafteter 61-Jähriger stehe unter dem dringenden Verdacht, seit 2007 drei Mädchen und einen Jungen im Alter von sechs bis zwölf Jahren mehr als 160 Mal missbraucht zu haben. „Kindesmissbrauch ist ein furchtbares Verbrechen, das natürlich in aller Härte juristisch geahndet werden muss“, sagte Katrin Göring-Eckardt, „wir sind alle sehr erschüttert.“
Dennoch stand das Sondierungsgespräch im Mittelpunkt. Es sind derzeit vor allem vier Themenbereiche, bei denen Union und Grüne weit auseinanderliegen. • Energie: CDU und CSU wollen die Förderung der erneuerbaren Energien auf den Prüfstand stellen und Vergütungen nicht mehr für 20 Jahre garantieren. Die Grünen pochen auf einen kräftigen Ausbau der Erneuerbaren und wollen bei ihrem „Aufbruch für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit“ auch die Rabatte für die Wirtschaft kräftig kürzen. • Inneres: Mit dem Flüchtlingsdrama vor der italienischen Insel Lampedusa ist unversehens noch ein höchst emotionales Thema auf die Tagesordnung der Sondierungsrunde gerutscht. Dass Friedrich das Einwanderungsrecht nicht lockern will, facht bei den Grünen die Skepsis gegenüber einem schwarz-grünen Bündnis noch an. Sie bestehen darauf, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnimmt. • Steuern: Eine befristete Vermögensabgabe zum Schuldenabbau wird mit der Union genauso wenig zu machen sein wie das von den Grünen propagierte Ende des Ehegattensplittings. Trotz der bitteren Niederlage bei der Bundestagswahl hat die Partei ihre umstrittenen Steuerpläne für Gut- und Besserverdiener noch nicht ganz aufgegeben. • Familie: Das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld lehnen die Grünen strikt ab. Für die Union ist es praktisch unverhandelbar. Sie kann sich nach Auskunft eines Regierungsmitgliedes als Kompensationsgeschäft allenfalls ein neues Programm zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuung vorstellen.
In die Karten blicken lassen sich die Fraktionsvorsitzenden der Grünen so wenig wie Angela Merkel und Horst Seehofer. „Ich werde jetzt nicht sagen, was die roten Linien sind“, wehrt Hofreiter ab. Als zentrale Punkte, an denen die Union sich weit auf sie zubewegen müsste, nennt Katrin Göring-Eckardt den Klimaschutz und das weite Feld der „offenen Gesellschaft“, zu dem sie nicht nur eine neue Asylpolitik und ein liberaleres Staatsbürgerschaftsrecht zählt, sondern auch einen Verzicht auf das umstrittene Speichern von Telefon- und Internetverbindungen. Den Vorwurf, die Grünen seinen noch so mit sich selbst beschäftigt, dass sie gar nicht ans Regieren denken dürften, lässt sie nicht gelten: „Natürlich sind wir bereit und in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen.“
Mitregieren? In der Opposition bleiben? Auch wenn noch nichts entschieden ist – auf den Golf seines Vaters kann Anton Hofreiter in jedem Fall verzichten. Als Fraktionschef hat er Anspruch auf einen Dienstwagen. Mit Informationen von dpa