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BERLIN
Große Mehrheit für Betreuungsgeld
dpa
 |  aktualisiert: 09.11.2012 20:58 Uhr

Gegen den erbitterten Widerstand der Opposition hat die Koalitionsmehrheit das Betreuungsgeld durchgesetzt. SPD und Grüne kündigten in der äußerst harten und hochemotionalen Debatte im Bundestag an, bei einem Wahlerfolg das umstrittene schwarz-gelbe Gesetz als eine der ersten Regierungsmaßnahmen wieder zu kassieren. Sie streben zugleich eine Verfassungsklage an, der sich auch die Linke anschließen will. Dagegen sieht die Koalition nun den Weg frei für „echte Wahlfreiheit“ von Eltern bei der Betreuung ihrer kleinen Kinder.

Der Deutsche Frauenrat, das Kinderhilfswerk und der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisierten die Entscheidung scharf. Gegner fürchten vor allem falsche Anreize für ärmere Eltern und Migrantenfamilien: Sie könnten ihre oft besonders auf Förderung angewiesenen Kinder nicht in eine Kita schicken.

310 der insgesamt 330 Abgeordneten von Union und FDP stimmten am Freitag in namentlicher Abstimmung für das auch intern lange umstrittene Gesetz. Die Koalition verzeichnete damit aus den eigenen Reihen weniger Gegenstimmen und Enthaltungen als zunächst befürchtet. Unter den Ablehnern befand sich die FDP-Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper. Die FDP-Familienpolitikerin Miriam Gruß enthielt sich. 282 Parlamentarier der Oppositionsfraktionen stimmten dagegen.

In der fast zweistündigen Aussprache bezeichnete der designierte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück das Betreuungsgeld als „schwachsinnig“ und gesellschaftlich rückwärtsgewandt. Es werde von der großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Das dafür vorgesehene Geld gehöre in der Ausbau der Kindertagesstätten.

Das Betreuungsgeld schaffe für Frauen Anreize, nach der Geburt eines Kindes länger dem Beruf fernzubleiben. Das werde ihre späteren Berufschancen mindern. Steinbrück: „Weniger Frauen werden eine eigene Berufsbiografie schreiben, weniger Kinder werden Chancen auf frühe Bildungsförderung haben.“ Das Gesetz führe zurück „in die Biedermeier-Idylle“ – mit dem Bild vom Vater am Arbeitsplatz und der Mutter daheim am Herd.

Steinbrück wie auch andere Redner der Opposition hielten der Koalition vor, das umstrittene Gesetz nach mehreren vergeblichen Anläufen nun „unter einem Höchstmaß der Selbstdisziplinierung“ und unter „Selbstverleugnung“ der FDP im Parlament durchzudrücken.

Redner der Koalition warfen Steinbrück Unredlichkeit und Heuchelei vor. Der FDP-Politiker Patrick Meinhardt verwies darauf, dass die SPD in der Großen Koalition zusammen mit der Union 2008 mit dem Gesetz zum Ausbau der Kindertagesstätten das Betreuungsgeld selbst mit auf den Weg gebracht habe. Das Gesetz sei von den damaligen SPD-Bundesministern Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel im Kabinett mit abgesegnet worden. „Sie sind die rote Betreuungstroika“ rief Meinhardt.

Die SPD hielt dagegen, bei der Betreuungsgeld-Formulierung in dem alten Gesetz von 2008 habe es sich lediglich um einen Prüfauftrag gehandelt. Mit diesem Kompromiss habe man damals die Zustimmung der CSU zum gewünschten bundesweiten Ausbau der Kindertagesstätten erreicht.

Das neue Gesetz über das Betreuungsgeld macht nach den Worten der CSU-Familienpolitikerin Dorothee Bär den Weg frei „für Wahlfreiheit der Eltern bei der Betreuung kleiner Kinder“. Ein guter Entwurf sei durch die zum Teil auch kontroversen Debatten innerhalb der Regierungskoalition in den vergangenen Wochen noch besser geworden, sagte Bär. Beim Streit um die Verfassungskonformität des Gesetzes stehe Expertenaussage gegen Expertenaussage, sagte die CSU-Politikerin zu der von der Opposition wie vom Bundesland Hamburg angedrohten Verfassungsklage.

Grünen-Chef Jürgen Trittin hielt der Koalition vor, die Ablehnung ihres eigenen Sachverständigenrates wie auch der Wirtschaft zu ignorieren. Gut ausgebildete junge Frauen würden trotz Fachkräftemangels länger vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Auch könne bei bundesweit 220 000 noch fehlenden Kita-Plätzen von Wahlfreiheit keine Rede sein.

Betreuungsgeld

Eltern, die für ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr keinen Kita-Platz oder keine staatlich geförderte Tagesmutter in Anspruch nehmen, erhalten ab 1. August 2013 ein Betreuungsgeld von zunächst 100 Euro monatlich, ab 2014 dann 150 Euro. Ab August 2013 haben Eltern für Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr alternativ einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Ein Ergänzungsgesetz soll sicherstellen, dass diejenigen Eltern, die sich das Betreuungsgeld nicht bar auszahlen lassen, den Betrag zur privaten Altersvorsorge oder für ein Bildungssparmodell nutzen können. Dann gibt es zusätzlich 15 Euro monatlich. Zum Bildungssparmodell werden im Ergänzungsgesetzentwurf nur vage Aussagen gemacht. Die Koalition rechnet mit 1,1 Milliarden Euro Kosten pro Jahr, die Opposition mit zwei Milliarden.

 
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