Tränengasschwaden zogen über den Taksim-Platz, Wasserwerfer rollten an, mit Pfefferspray und Gummikugeln attackierte die Polizei die Demonstranten. Im Sender CNN International gingen diese Bilder um die Welt. Aber der türkische Ableger CNN Türk, der doch eigentlich noch näher an den Ereignissen hätte dran sein müssen, brachte eine Dokumentation über das Leben der Pinguine. Fehlanzeige auch beim Nachrichtensender NTV: Für seine Zuschauer fanden die Massenproteste, die seit Anfang Juni wie ein Tsunami durch 74 der 81 türkischen Provinzen rollten, allenfalls in kurzen Ausschnitten statt.
Die immer wieder niedergeknüppelten Demonstrationen enthüllten nicht nur, wie die Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan mit Andersdenkenden umgeht. In den vergangenen drei Wochen hat sich auch gezeigt, dass in der Türkei die meisten Medien regierungskritische Themen lieber meiden. Sie üben Selbstzensur.
Beispiel CNN Türk: Der Sender gehört zur Dogan-Gruppe. Firmenpatriarch Aydin Dogan war als Chef des größten türkischen Medienkonzerns und der drittgrößten Familienholding des Landes ein mächtiger Mann. Aber dann legte er sich mit einem an, der noch mächtiger ist: Tayyip Erdogan. Immer wieder berichteten Dogan-Medien kritisch über die Regierung, deckten Korruptionsskandale im Umfeld der Regierungspartei AKP auf. Erdogan warf Dogan vor, er betreibe eine „Schlammschlacht“ gegen die Regierung. Der Premier verglich Dogan gar mit dem Gangsterboss Al Capone und rief die Bevölkerung zu einem Boykott der Dogan-Medien auf – ein beispielloser Vorgang in einem demokratischen Land.
Steuerstrafe für CNN Türk
2009 brummten die türkischen Finanzbehörden dem Dogan-Konzern Steuerstrafen von rund 2,5 Milliarden Euro auf. Dogan erklärte, er fühle sich „bedroht, erpresst, unter Druck gesetzt“. Erdogan wolle „uns zerstören, weil wir ihm nicht gefügig sind“, sagte Dogan. Der Ministerpräsident gewann die Schlacht: Unter dem Damoklesschwert der Steuerstrafe, die den Konzern in die Pleite getrieben hätte, musste Dogan Teile seines Medienimperiums verkaufen. Mehrere regierungskritische Kommentatoren und Kolumnisten wurden entlassen. Aydin Dogan zog sich Anfang 2010 aus der Leitung der Mediengruppe zurück.
Das Exempel, das Erdogan an Dogan statuierte, zeigt Wirkung. Die meisten türkischen Medien sind längst zahm geworden. Das hängt auch mit der engen Verflechtung der Medienkonzerne mit anderen wirtschaftlichen Interessen zusammen, etwa im Energiesektor. Gerade dort ist man als Unternehmer auf gute Beziehungen zur Regierung angewiesen. Was passiert, wenn man sich zu weit aus dem Fenster lehnt, zeigt das Beispiel des Senders Halk-TV. Er berichtete im Livestream fast ununterbrochen von den Protesten. Die staatliche Rundfunkbehörde RTÜK belegte Halk-TV vergangene Woche mit einem Bußgeld. Der Sender habe mit seinen Programmen „die physische, geistige und moralische Entwicklung von Kindern und jungen Menschen gefährdet“, hieß es zur Begründung. Zensur auch im Internet: Tausende Internetseiten sind in der Türkei wegen „schädlicher Inhalte“ gesperrt, darunter das Portal Wikileaks. Jetzt plant die Regierung Gesetze, um soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook „in Ordnung zu bringen“, so Ali Sahin, Medienexperte der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Im jährlich aufgestellten globalen Pressefreiheitsindex der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) rutscht die Türkei immer weiter ab. In diesem Jahr liegt sie unter 179 Ländern auf Platz 154.
Nicht immer bleibt es bei Bußgeldern und Verboten. Nach Angaben von RoG vom Dezember 2012 saßen damals 72 türkische Medienmitarbeiter in Haft, davon mindestens 42 Journalisten. Die Türkei sei „das weltgrößte Gefängnis für Journalisten“, kritisiert RoG, es herrsche „ein Klima der Einschüchterung“.
Schelte für ausländische Medien
Die European Federation of Journalists spricht sogar von 66 inhaftierten Journalisten. Das New Yorker Komitee zum Schutz von Journalisten stellt fest, die Türkei sei „noch vor China und dem Iran die Nation mit den meisten inhaftierten Journalisten weltweit“. Die Regierung bestreitet, dass die Medienleute wegen ihrer Berichterstattung hinter Gittern sitzen.
Erdogan hatte in den vergangenen Tagen mehrfach auch ausländische Medien beschuldigt, sie fachten die Proteste in der Türkei an. Europaminister Egemen Bagis nannte insbesondere die BBC und CNN. Diese Sender hätten mit „stundenlangen Berichten“ das Ansehen der Türkei geschädigt.