Während sich Donald Trump den Fragen der Medien stellt, lässt Kim Jong Un sich bejubeln. Der Umgang mit der Presse mag dem Diktator fremd sein. Aber Massen, die ihm begeistert zuwinken – das ist ihm von zu Hause vertraut. Vielleicht hat er nicht erwartet, das auch im fernen Singapur vorzufinden. Doch als Kim Jong Un am Hotel St. Regis aus der Limousine steigt, brechen die Schaulustigen in Begeisterung aus. Kim grinst breit und winkt staatsmännisch zurück.
Kim, der Sieger. Auch wenn Donald Trump sich am Dienstag als großer Macher darstellt, hat sein nordkoreanischer Kontrahent nach Ansicht von Experten das bessere Geschäft gemacht. „Die gemeinsame Erklärung enthielt noch weniger konkrete Details als die Erklärung von Panmunjom in der vergangenen Woche“, sagt Ben Forney vom Asan Institute for Policy Studies in Seoul. Zwar erklärt sich Kim zur „vollständigen Denuklearisierung“ bereit. „Doch es fehlen überprüfbare Kriterien dafür.“ Die Erklärung bringe keine der beiden Seiten verlässlich auf den Weg der Deeskalation, sagt Forney.
Stattdessen kann Kim sich als wichtiger Führer bestätigt fühlen. Trump behandelt ihn mit größten Respekt. Überhaupt geben beide sich den ganzen Tag über besonders staatsmännisch. Sie gehen gemessenen Schrittes, lächeln, schütteln Hände, machen wohlgesetzte Äußerungen. Trump wirkt allerdings vor den Kameras deutlich lockerer, während Kim etwas steif danebensteht. Kein Wunder, der US-Präsident ist seit 40 Jahren auch im Mediengeschäft und hat eine zweite Karriere als TV-Star verfolgt.
Kim dagegen muss sich im Allgemeinen nicht mit den Medien herumschlagen. Er gibt sich zwar sichtbar Mühe, nicht aus der Rolle zu fallen. Doch ab und zu scheitert er – nämlich dann, wenn ihm die schwüle Hitze in Singapur zusetzt. Er gerät schon bei wenigen Schritten in den offenen Säulengängen des Capella-Hotels auf der Insel Sentosa ins Schwitzen und wird dann kurzatmig. Wenn er durch den Mund atmet und Trump von unten anblickt, wirkt der Koreaner mehr wie der Sohn des 37 Jahre älteren Mannes. Zugleich ist den beiden Gesprächspartnern die gegenseitige Sympathie anzusehen. Der Handschlag fällt kräftig aus, aber nicht dominant – so, wie Trump es mag. Tatsächlich scheint Kim dem US-Präsidenten hinter verschlossenen Türen mächtig geschmeichelt zu haben. Denn Trump lobt ihn hinterher über den grünen Klee. Es sei bemerkenswert, wie gut Kim sein Land regiere – und das, obwohl er schon in so jungen Jahren die Macht übernehmen musste. Kim sei „unglaublich talentiert“, eine „bemerkenswerte Persönlichkeit“, ein „ganz besonderer junger Mann“. So etwas sagt Trump über Leute, die er zwar nicht für schwach hält, die ihm aber auch nicht widersprechen und seine Fähigkeiten nicht infrage stellen.
Ohne Pause verhandelt
Nach dem Gipfel tritt Donald Trump vor die Medien und leitet mit Elan eine Pressekonferenz, bei der er eine Reihe der für ihn typischen Äußerungen zum Besten gibt. Er muss sich harten Fragen stellen – und enttäuscht bei den Antworten nicht. Der 71-Jährige sagte, er habe 25 Stunden lang nicht geschlafen und stattdessen ohne Pause verhandelt. Das nährt ein Gerücht, das sich schon seit dem Vortag hielt: Dies sei gar nicht das erste Treffen der beiden Staatsführer gewesen, Kim und Trump hätten sich bereits am Montag heimlich abgesprochen. Das würde zumindest die Existenz eines unterschriftsreifen Dokuments erklären. Andererseits war das Dokument auch unklar genug, um rasch auf Basis vorhandener Absprachen formuliert worden zu sein. Trump ging gegenüber der Presse über die Lücken in der gemeinsamen Erklärung einfach hinweg. „Der Prozess beginnt jetzt sehr schnell“, erklärte er. Die Übereinkunft werde zu „weitreichenden Ergebnissen“ führen.
Trump zeigte sich rundum zufrieden mit seiner Leistung als Verhandlungsführer. „Wir haben einen sehr intensiven halben Tag miteinander verbracht und fantastische Ergebnisse erzielt.“ Seine Leistung gehe weit über das hinaus, was andere Präsidenten vor ihm mit Nordkorea erreicht haben. Experten widersprechen hier. Bereits 1993 und danach noch mehrfach haben Kims Vater und Großvater ähnliche Vereinbarungen unterschrieben. Sie haben sie stets wieder gebrochen. Deshalb wollten Trumps Vorgänger George Bush und Barack Obama den Nordkoreanern keine Zugeständnisse machen, ohne dass diese konkret in Vorleistung gehen. Hier sieht Forney ein großes Defizit des Gipfels. Trump hat von Kim bisher nur ein Versprechen bekommen. Er habe sich dafür leichtfertig bereiterklärt, gemeinsame Militärmanöver mit Südkorea aufzugeben. Trump tat sie als „Kriegsspiele“ ab, doch Experte Forney sieht hier ein Zugeständnis, das Trump teurer hätte verkaufen sollen.
Herrscher auf der Weltbühne
Für Kim dagegen ging ein Traum in Erfüllung, den schon sein Vater hegte: auf der Weltbühne als mächtiger Herrscher ernst genommen zu werden. Er begegnet dem mächtigsten Mann der Welt auf Augenhöhe. Das ganze Treffen glich in seinem Verlauf mehr und mehr der Inszenierung zweier Propagandisten, sie sich darüber einig sind, einen Erfolg produzieren zu müssen. Gleich zu Anfang stand ein Foto-Termin mit freundlichem Lächeln, als der Präsident und der Diktator sich pünktlich um neun Uhr vor einer Reihe nordkoreanischer und amerikanischer Fahnen die Hand gegeben haben.
Das Fiasko um den G7-Gipfel in Kanada war damit in Singapur wieder komplett vergessen – im Vordergrund stand Trump, der Macher, der das Unmögliche möglich macht. „Ich weiß genau, wie man zu einem Deal kommt, und ich habe es hier genauso gemacht“, brüstete er sich. Trump hat tatsächlich durch sein eigenwilliges Verhalten eine lange verkrustete Situation aufgebrochen. Schon im Wahlkampf hatte er dahergesagt, er sei zu einem Treffen mit Kim bereit. Bereits das hat Händeringen und Kopfschütteln bei US-Diplomaten ausgelöst. Doch nur dieses Treffen, nur diese Respektbezeugung für den Außenseiter Kim, hat den Vertrag möglich gemacht.
Bisher hat sich das Format der beiden Machtmenschen an einem Tisch als wirksamer erwiesen als die Sechsparteiengespräche, an denen sich Nordkorea sowie Japan, Südkorea, Russland, die USA und weitere Spieler bislang abzuarbeiten pflegten. Das zeigt aber auch, in welcher Richtung Trump die Weltpolitik umgestaltet: weg von Multilateralismus, mit vielen Ländern und Organisationen. Hin zum Bilateralismus: viele kleine Deals einzelner Nationen untereinander. Die Rückkehr der starken Männer ist in vollem Gange.